Interview: Sherin Kneifl, Bilder: Novartis
Frau Riggenbach, Novartis beschreibt sich als «innovatives Arzneimittelunternehmen». Innovation beinhaltet immer auch das Unbekannte. Inwiefern ist dieser Aspekt in der Kommunikation ein Vorteil oder eine Schwierigkeit?
Innovation steht stets für etwas Neues, noch nie Dagewesenes und ist somit automatisch auch erklärungsbedürftig. Besonders bei einem so grundlegenden Thema wie der Gesundheit, die uns alle betrifft, wollen und müssen wir uns stets neu erklären. Die Life-Sciences haben in den letzten Jahrzehnten eine unglaublich schnelle Entwicklung hingelegt: Heute sprechen wir von personalisierten Therapien, Nuklearmedizin und Zell- und Gentherapien. Aus «Science-Fiction» wurde Realität – und auf diese Reise müssen wir die Menschen mitnehmen. Ich persönlich sehe dies aus kommunikativer Sicht als eine grosse Chance, Innovation auch innovativ zu kommunizieren. Der Novartis Pavillon verkörpert diesen Ansatz: Das ganze Gebäude ist im Kern ein erlebbarer Kommunikationskanal.
Was war die Vision für den Pavillon, und welche Botschaft wollten Sie mit der Medienfassade unbedingt vermitteln?
Der Novartis Pavillon ist ein Ort der Begegnung und des Lernens, an dem Industrie und Gesellschaft zusammenfinden. Das Herzstück ist die interaktive Multimedia-Ausstellung «Wonders of Medicine», mit der wir der Bevölkerung die Relevanz, aber auch die Komplexität unserer Industrie näherbringen wollen. Die Region Basel ist mit nahezu 800 Unternehmen im Life-Sciences-Bereich global einer der bedeutendsten Standorte auf dem Gebiet – und doch gab es selbst hier nur sehr beschränkte Angebote, die Welt der Pharmaindustrie kennenzulernen. Dies wollten wir ändern. Gleichzeitig war es uns sehr wichtig, nicht nur zu senden, sondern auch zu empfangen: Wir haben ein Medium der Zweiwegkommunikation geschaffen und bieten beispielsweise anhand von öffentlichen Events eine Plattform für den Dialog. Die Medienfassade ist die Haut, die all dies einerseits umgibt und gleichzeitig verkörpert. Genau wie bei einer menschlichen Zelle übernimmt auch bei unserem Pavillon die Haut die Kommunikation mit der Aussenwelt. Die Botschaft lautet: Hier gibt es etwas zu entdecken.
Aus welchem Grund haben Sie sich für iart als kreativen Partner für das Projekt entschieden?
Mit iart waren wir bereits für die Umsetzung der Ausstellung «Wonders of Medicine» in Kontakt. Die gesamte Idee des Novartis Pavillon entstand um diese Ausstellung herum, die schon Jahre vorher in Planung war. Durch das bestehende Involvement wuchs im Verlauf des Projekts auch die Idee der Medienfassade. Die Agentur war hierbei ein bedeutender Impulsgeber.
Erst die kreative Verschmelzung von Konzept, Design und Technik ermöglicht die Entstehung der für iart typischen magischen Momente. Welcher Moment war für Sie in der Umsetzung magisch?
Als wir das erste Mal Kunst auf der Fassade gesehen haben, also die erste Bespielung mit echten Inhalten. In dem Augenblick habe ich so richtig begriffen, dass wir ein neues Medienformat für digitale Kunst geschaffen haben. Das war ein Gänsehautmoment.
Welche erfreulichen Ergebnisse sehen Sie heute, zwei Jahre nach der Verwirklichung, mit denen Sie gar nicht gerechnet hätten – ausser dem ADC Award?
Wir freuen uns natürlich sehr über diesen Award und wissen diese Anerkennung zu schätzen. Aber fast noch schöner ist für mich persönlich das tägliche Feedback der Passantinnen und Passanten, die entweder geplant oder zufällig bei Sonnenuntergang am Pavillon vorbeilaufen und somit die Kunst auf der Medienfassade beobachten können. Besonders wenn ich aus der Ferne sehe, wie Menschen gebannt innehalten und ihren Weg erst nach mehreren Minuten fortsetzen, ist dies ein Ergebnis, von dem ich zwar geträumt habe, aber mit dem ich so nicht unbedingt gerechnet habe.
Es geht bei einer solchen Spatial Experience stets um ein emotionales Erzählmittel. Welche Emotionen löst der Pavillon häufig beim Betrachtenden aus?
Faszination und Neugierde. Selbst wenn man nicht weiss, dass es sich bei der Bespielung um wissenschaftsinspirierte Kunst handelt, spürt man die Schönheit, und das macht neugierig auf mehr.
Was waren Ihre Fragen und unumstösslichen Bedingungen für das Projekt?
Nachhaltigkeit. Sie spielt im gesamten Projekt eine zentrale Rolle und liegt auch dem ausgewählten Architekten, Michele De Lucchi, bekanntermassen sehr am Herzen. Im Einklang mit unseren ambitionierten Nachhaltigkeitszielen war uns klar, dass es eine Null-Energie-Medienfassade sein muss.
Die Medienfassade speist sich mittels Solarzellen und LEDs komplett aus sich selbst und verbraucht maximal so viel Strom, wie sie produziert. Liesse sich das Konzept nicht auch auf den Firmensitz anwenden?
Die menschliche Gesundheit und die Gesundheit des Planeten sind untrennbar miteinander verbunden. Als Unternehmen haben wir uns ökologische Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die unser Handeln leiten. Unsere Ziele umfassen, bis 2025 in unseren eigenen Aktivitäten und bis 2030 in unserer gesamten Lieferkette CO2-neutral sowie kunststoff- und wasserneutral zu werden. Bis 2040 wollen wir das Netto-Null-Ziel erreichen. Entsprechend setzen wir an unseren Standorten verschiedene Initiativen um, die neben dem Bezug von erneuerbaren Energien (in einigen Ländern bereits zu 100 Prozent in unseren eigenen Betrieben) auch die Installation von Solarpaneelen umfassen. Die Null-Energie-Medienfassade ist eine Neuheit, von der wir hoffen, dass auch andere sie nutzen werden. Allerdings eignet sich der Ansatz, die komplette Fassade mit organischen Photovoltaik-Paneelen auszustatten, besonders gut für kreisrunde Gebäude und ist für andere Bauten und Standorte möglicherweise nicht optimal.
Wie «environmentally conscious» (Stichwort ESG) ist Novartis, und inwiefern ist dieser Fokus auch ein wichtiger Punkt in der Kommunikation und der Vermarktung?
Unsere ökologischen Nachhaltigkeitsziele werden auch durch externe Indizes (zum Beispiel CDP) bewertet. Im Rahmen unseres integrierten Geschäftsberichts «Novartis in Society» legen wir jedes Jahr nicht nur unseren Fortschritt offen, sondern legen auch dar, in welchen Bereichen unser Unternehmen die grösste Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt hat. Diese Analyse (SEE Impact Analysis) zeigt auf, dass unser bedeutendster Einfluss durch die positive soziale Wirkung unserer Medikamente erzielt wird. Ausserdem gibt es eine signifikant positive Wirkung auf das Bruttoinlandprodukt und die Beschäftigung in den Ländern, in denen wir tätig sind, sowie weitere positive Effekte bei existenzsichernden Löhnen und bei der Mitarbeitendenentwicklung. Wir haben also im S (social) von ESG eine stärkere Wirkung auf die Gesellschaft als im E (environmental) – demensprechend priorisieren wir unsere Ressourcen in der Kommunikation.
Der Pavillon ist mit wissenschaftlich inspirierten Kunstwerken bespielt. Nach welchen Kriterien haben Sie die Kunstschaffenden ausgewählt?
Wir haben dazu ein Gremium aus internen und externen Vertreterinnen und Vertretern ins Leben gerufen, wobei die Leitung bei der Novartis-Kunstkuration lag. Das HEK Basel war ebenfalls massgeblich involviert sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Novartis.
Ist Wissenschaft eine Kunst?
Das kann ich mit einem klaren Ja beantworten.
Was steht im zweiten Halbjahr 2024 auf dem Ausstellungsprogramm für den Pavillon?
Die Ausstellung «Wonders of Medicine», die in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch erlebt werden kann, ist eine interaktive Dauerausstellung. Sie erzählt, wie der Körper funktioniert, wie Forschende neue Arzneimittel entwickeln und wie die Zukunft der Gesundheitsversorgung aussehen könnte. Daneben bereitet die kostenlose Eventserie «Behind the Science» die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Themen in einfacher Sprache auf. Dabei besprechen wir zum Beispiel die DNA, den Nobelpreis, das Auge oder feiern den Pi(e)-Day, an dem Mathematikerinnen und Mathematiker traditionell die Zahl Pi zelebrieren und gleichzeitig Pie essen.
Wie kommt der Pavillon beim grossen Publikum an?
Ausgesprochen gut! Seit der Eröffnung vor knapp zwei Jahren durften wir bereits mehr als 150 000 Besucherinnen und Besucher in dem Gebäude begrüssen. Wir freuen uns sehr, dass das Angebot so gut angenommen wird.
Immer mehr Big Player in der Schweiz werben damit, was sie konkret für das Land tun. Steht das auch für Ihre Kommunikation im Raum?
Selbstverständlich sprechen wir über unseren Beitrag zur Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft. Doch als tief in der Schweiz verwurzeltes Unternehmen mit über 250-jähriger Geschichte ist dies für uns nicht neu. Beispielsweise veröffentlichen wir seit über zwanzig Jahren eine entsprechende Broschüre mit Daten, Fakten und Highlights auf einen Blick. Der Pavillon verfolgt einen ganz anderen Ansatz: Die Life-Sciences-Industrie ist eine der wichtigsten Säulen der Schweizer Wirtschaft, und doch fehlte das Angebot, sich darüber ausführlich zu informieren und dazu in Dialog zu treten. Dieser Austausch zwischen Industrie und Gesellschaft ist aber extrem wichtig in unserer heutigen Zeit – und wird meiner Einschätzung nach zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Inhalte, die wir im Pavillon vermitteln, sind allerdings keine Werbung – und das war uns auch extrem wichtig. In der gesamten Ausstellung findet unser Logo nicht statt, das heisst, die Ausstellung ist Novartis-agnostisch, und wir setzen uns auch kritisch mit Themen wie dem Zugang zur Medikamentenversorgung oder dem Grossbrand in Schweizerhalle auseinander. Dieser transparente Austausch zwischen einer der wichtigsten Leitindustrien des Landes und der Bevölkerung ist heutzutage ein Muss.
Flexibilität und Agilität sind der Kern kreativer Arbeit. Wie bewahrt sich ein internationaler Multi-Riese diese Flexibilität und Agilität?
In dieser Hinsicht haben Wissenschaft und Kreativität viel gemeinsam. Wissenschaftliche Innovation verläuft nicht geradlinig, und Serendipität spielt oft eine bedeutende Rolle. Wir behalten «Treiber» wie Flexibilität, Agilität, Begegnung und Kommunikation bewusst bei, indem wir beispielsweise unsere Arbeitswelten danach ausrichten. Der Novartis-Campus in Basel ist international bekannt dafür, durch seine spezifische architektonische, raumplanerische und auch künstlerische Gestaltung ein Ort der Inspiration zu sein. Nicht zufällig steht am Eingangstor geschrieben: «Campus of innovation, knowledge, encounter».