Stephan Küng, Mediapulse stellt die Schweizer Onlineforschung ein (persoenlich.com berichtete). Ist dies das berühmte Ende mit Schrecken?
Es ist bedauernswert, aber die Gründe sind nachvollziehbar, nachdem das Projekt für eine Kampagnenforschung im letzten Jahr eingestellt werden musste. Dadurch fallen gewisse Synergien weg. Als Ende mit Schrecken würde ich das nicht bezeichnen, da ja intensiv an einer Folgelösung gearbeitet wird.
Aber wäre eine Weiterführung ein Schrecken ohne Ende gewesen?
Mediapulse als Stiftung mit einem Gesetzesauftrag darf gar kein Verlustprojekt finanzieren. Entsprechend blieb der Mediapulse gar nichts anderes übrig, als das Projekt einzustellen, wenn die Hauptabnehmer die Kosten als nicht mehr tragbar beziffern.
«Wir wünschen uns seit Jahren verlässliche Zahlen zu Kampagnenreichweiten»
Sie erwähnten das Projekt für die Online-Kampagnenforschung. Die Situation hat sich laut Mediapulse im Sommer 2023 zusätzlich verschärft, als die Medienanbieter diese versenkten. Sprich: Alle brauchen Zahlen, aber niemand will bezahlen?
Für uns als IGEM stand die Online-Kampagnenforschung schon immer im Zentrum. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Investition in eine Kampagnenforschung viel wichtiger ist als die Investition in eine Traffic- beziehungsweise Audience-Erhebung. Dies primär, wenn ich meinen Hut als Mediaplaner anhabe. Wir wünschen uns seit Jahren verlässliche Zahlen zu Kampagnenreichweiten. Ohne Online-Kampagnenreichweiten ist eine konvergente Währung im Bereich Videobewegtbild nicht realisierbar. Aus diesem Grund war der Single-Source-Ansatz von Mediapulse äusserst interessant.
Und trotzdem kam das Ende …
Vielleicht haben dies viele Online-Publisher weniger im Fokus, da man es gewohnt ist, vermeintlich alles messen zu können. Die Mediaplanung jedoch benötigt plattformübergreifende Reichweiten auf definierbare Zielgruppen, was die am Markt angewandten Auslieferungssysteme schlicht nicht bieten können. Entsprechend setzen wir uns dafür ein, dass hier die Prioritäten gesetzt werden, wenn wir in der Situation sind, dass nicht das gesamte Spektrum der Onlinenutzung erhoben werden kann. Das Nicht-Vorhandensein einer Kampagnenforschung hat für uns die grössere Tragweite als die zu erwartende Lücke in den Traffic- beziehungsweise Audience-Daten. Allerdings wird aktuell bereits an einer alternativen Erhebung für Online-Kampagnenforschung gearbeitet, übrigens zusammen mit Mediapulse und Kantar.
Blenden wir zurück: Der Swiss Media Data Hub hätte nach Net-Metrix die neue Onlinewährung werden sollen, wurde aber 2019 eingestellt. 2021 kam die heutige Traffic-Data-Lösung. Audience Data verzögerte sich bis zum Sommer 2022. War von Anfang an der Wurm drin?
Vielleicht kann man nachträglich sagen, dass das Konzept des Swiss Media Data Hub eine Dimension zu gross war im Verhältnis zur Grösse des Marktes Schweiz. Seitens IGEM fanden wir den anschliessend entwickelten Ansatz der Mediapulse mit Single Source basierend auf dem erweiterten TV-Panel sehr interessant – und gerade auch im Hinblick auf eine konvergente Währung sehr erfolgsversprechend. Wobei für uns natürlich vor allem eine Währung für Onlinekampagnen im Zentrum stand. Die einzelnen Schritte waren für uns immer nachvollziehbar. Nachträglich ist es immer einfach zu sagen, dass der Wurm drin gewesen sei.
Die Publisher erwähnen in einem eigenen Statement, dass die Kosten vor dem Hintergrund des herrschenden Kostendrucks in den Medienhäusern zu hoch gewesen seien. Ist Onlineforschung zu einem Luxusgut geworden?
Onlineforschung ist per se viel komplexer als es die Forschung in den Offline-Medien ist – weil sich die Nutzung nicht primär auf lokale Medien beschränkt, sondern sämtliche Plattformen des Internetuniversums zur Auswahl stehen. Ich wage zu behaupten, dass ein Grossteil der Schweizer Onlinenutzung auf globalen und nicht nur lokalen Plattformen stattfindet. Das ist für die Onlineforschung eine zusätzliche Herausforderung, gerade auch weil die internationalen Marktteilnehmer an lokalen Forschungsprojekten grundsätzlich nicht teilnehmen. Das hat mit Sicherheit Auswirkungen auf die entsprechende Forschungsarchitektur und Refinanzierungsmöglichkeiten. Jetzt im konkreten Fall war es nicht etwa eine Preiserhöhung der Mediapulse, sondern eine Erhöhung der zu verteilenden Kosten. Dies, weil nicht alle ursprünglich geplanten Mediahäuser das Projekt unterstützt haben und sich die Kosten so stärker auf die verbleibenden grossen Medienhäuser verteilt haben.
«Ich erachte es als durchaus legitim, dass bei einer solchen Entwicklung Alternativen in Betracht gezogen werden müssen»
In der Mitteilung von Mediapulse ist die Rede von der Finanzierung, die nicht nachhaltig abgesichert werden konnte. Haben die beteiligten Parteien einfach von Beginn weg zu wenig Geld in das Projekt investiert?
Die beteiligten Partner haben bisher bereits substanzielle Beträge in die Onlineforschung investiert. Dass sie die aufgrund der Umstände entstandene Kostenerhöhung nicht mehr tragen wollten, beziehungsweise konnten, heisst nicht, dass sie bisher zu wenig investiert hätten. Ich erachte es als durchaus legitim, dass bei einer solchen Entwicklung Alternativen in Betracht gezogen werden müssen.
«Eine Währung funktioniert nur dann, wenn sie von allen Beteiligten akzeptiert ist», sagte Markus Föbus, damaliger Projektleiter Swiss Media Data Hub, 2017 in einem persoenlich.com-Interview. War Mediapulse gar nicht von allen akzeptiert?
Die Absage zur Onlineforschung ist in erster Linie finanziell begründet. Ich lese daraus keine Ablehnung von Mediapulse als Ganzes. In Zukunft ist ja für einen neuen Forschungsansatz auch eine erneute Zusammenarbeit mit Mediapulse denkbar.
Was war die fachliche Kritik an der Onlineforschung von Mediapulse?
Einer der immer wieder diskutierten Aspekte waren die Fallzahlen. Insbesondere die Frage, ob der extrem fragmentierte Onlinemarkt über einen Panel-Ansatz und ohne weitere Datenquellen verlässlich abgebildet werden kann. Der Entscheid der Marktteilnehmer die erhöhten Kosten nicht tragen zu können, hat jedoch nichts mit dem Forschungsdesign zu tun und wurde nicht aufgrund einer fachlichen Kritik beschlossen.
Die Publisher und die relevanten Verbände haben die Gespräche über alternative Erhebungsmethoden der Onlinenutzung bereits aufgenommen. Ihre Prognose: Wird dies ohne Mediapulse geschehen?
Meiner Ansicht nach hat das Resultat der Evaluation alternativer Erhebungsmethoden aufgezeigt, dass das bestehende Konzept der Mediapulse durchaus zielführend war. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ein Einbezug der Mediapulse im neuen Setup sinnvoll sein könnte.
«Ich denke nicht, dass Quellen wie OneLog den Gesamtmarkt umfassen können»
Die Publisher nutzen das gemeinsame Login-System OneLog. Könnten daraus Daten generiert werden, die als neue Währung taugen?
Sofern die datenschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, könnten Daten aus OneLog und anderen Quellen für eine zukünftige Forschung herbeigezogen werden. Ich denke aber nicht, dass Quellen wie OneLog den Gesamtmarkt umfassen können.
Und bis eine neue Erhebungsmethode steht, folgt nun ein Blindflug? Schliesslich haben Schweizer Publisher ab Ende Jahr keine verlässlichen Zahlen mehr …
Verlässliche Zahlen bestehen durchaus. Es gibt andere Studien in der Schweiz, die zumindest teilweise Antworten auf diese Fragen bieten. Ich denke da beispielsweise an die MACH Strategy der Wemf, die Daten für einige Schweizer Websites und Onlineangebote sowie für die wichtigsten ausländischen Plattformen enthält. Diese Daten basieren zwar auf Befragungen und haben keine Dynamik wie die Mediapulse-Daten, aber dafür kann man sie – zumindest für strategische Zwecke – mit sehr detaillierten Konsumdaten verknüpfen. Natürlich ist es bedauerlich, dass eine Datenlücke in der Onlineforschung – Traffic, Audience – entsteht. Aber zumindest für die Mediaplanung ist das meiner Ansicht nach kein Schrecken. Bis Jahresende stehen die Zahlen ja voll zur Verfügung und die Publisher werden alles tun, um längere Datenbrüche zu vermeiden.
«Man kann auch schludrig messen und sehr ausgeklügelt befragen»
Aber Befragungen haben doch nie die Qualität von Messungen …
So stark vereinfacht würde ich das nicht ausdrücken. Denn man kann auch schludrig messen und sehr ausgeklügelt befragen. Befragungen haben oft wenig Dynamik in den Daten, dafür können sie viel stärker in die Tiefe gehen. Beide Ansätze haben somit Vor- und Nachteile. Für uns ist vor allem zentral, dass eine Forschung genügend transparent ist und die Ergebnisse nachvollziehbar sind.
Auf welche aktuellen Zahlen sollen sich Werbeauftraggeber denn noch stützen? Jeder Verlag wird selber messen, vergleichbar sind die Werte wohl kaum.
Würde Online so geplant werden, wie es im Print oder im TV der Fall ist, dann hätten die nicht vorhandenen Nutzerdaten der Onlineplattformen durchaus eine grosse Tragweite. Onlineplanung funktioniert aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auf anderen Grundlagen, Logiken und Prozessen. Hier steht tatsächlich Messung und Analyse der individuell für jede Kampagne definierten KPIs im Vordergrund. Gerade bei programmatischen Buchungen spielen die Mediapulse-Messwerte kaum eine Rolle.
Und was bedeutet das Fehlen der Schweizer Onlineforschung für den IGEM-Digimonitor, den Sie jährlich veröffentlichen?
Unsere Studie Digimonitor ist unabhängig von der Mediapulse und wird komplett durch unsere Mitgliedsfirmen finanziert. Daher sehen wir keinen direkten Impact auf den Digimonitor. Aber: Gemäss unseren Statuten ist die Forschung für alle elektronischen Medien immer auf unserer Agenda und wir unterstützen alle Initiativen, welche die Transparenz und Planbarkeit der elektronischen Medien stärken. Daher werden wir uns als IGEM auch für die zukünftige Onlineforschung engagieren.
Sie selbst sind Inhaber der Mediaagentur TWmedia in Basel, die zur Mediaschneider-Gruppe gehört. Inwiefern wird Ihre Arbeit durch das Fehlen der Mediapulse-Forschung tangiert?
Die aktuelle Onlineforschung der Mediapulse beinhaltet keine Werbedaten. Daher ist sie primär für den Publisher selbst relevant und weniger als Instrument zur Ausführung von Online-Mediaplanung. Wie bereits erwähnt, basiert diese vielmehr auf kampagnenspezifischen KPIs. Das ist auch der Grund, weshalb das Nicht-Vorhandensein einer Online-Kampagnenforschung eine grössere Tragweite hat als die zu erwartende Datenlücke. Wir werden unsere Arbeit auch weiterhin in der jetzigen Qualität gewährleisten können.
Wann hat die Schweiz Ihrer Meinung nach wieder eine verlässliche Onlineforschung?
Wir hoffen und zählen auf die beteiligten Publisher, dass sich die Datenlücke zeitlich im Rahmen hält. Und wenn ich wünschen könnte, hätte ich gerne im Jahr 2025 eine Online-Kampagnenforschung.
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26.09.2024 22:40 Uhr