05.09.2024

IGEM-Digimonitor

«TV-Zuschauer werden gezielter einschalten»

Frauen nutzen Tools mit künstlicher Intelligenz deutlich seltener als Männer. Dies ist eine der Erkenntnisse aus dem neusten IGEM-Digimonitor. Siri Fischer, Geschäftsführerin der Interessensgemeinschaft elektronische Medien, über die KI-Skepsis bei Frauen, Generationengräben bei Social Media und die TV-Zukunft.
IGEM-Digimonitor: «TV-Zuschauer werden gezielter einschalten»
«Meine KI-Nutzung schwankt, aber im Durchschnitt würde ich sagen, dass ich wöchentlich ein oder mehrere KI-Tools nutze», so Siri Fischer, Geschäftsführerin der Interessensgemeinschaft elektronische Medien (IGEM). (Bild: Melanie Ohnemüller)

Siri Fischer, was haben Sie ChatGPT oder ein anderes KI-Tool das letzte Mal gefragt?
Wegen der Rad-WM müssen wir unseren Gaming-Event am 26. September neu virtuell durchführen. Ich habe ChatGPT und Copilot gebeten, diese Info an unsere Gäste verständlich zu formulieren. Am gleichen Tag habe ich in einem Praxisbeispiel für Studierende an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) die Tools gefragt, welche Medien man für eine Werbekampagne auswählen soll, die sich an junge Frauen in der Schweiz richtet.

Und mit den Antworten waren Sie zufrieden?
Mit den Textvorschlägen für unsere Gaming-Gäste war ich eigentlich zufrieden und habe sie dann weiterbearbeitet. Mit dem vorgeschlagenen Mediaplan hingegen war ich nicht so happy. Aber zumindest bot er eine gute Grundlage für eine kritische Diskussion mit den Studierenden über die Schweizer Mediennutzung – und die Vorurteile darüber.

«Die Beantwortung von Fragen ist der wichtigste Nutzungszweck von KI für die Schweizer Bevölkerung»

Nutzen Sie häufig KI-Tools?
Meine KI-Nutzung schwankt, aber im Durchschnitt würde ich sagen, dass ich wöchentlich ein oder mehrere KI-Tools nutze. Wie der Durchschnitt der Schweizer Bevölkerung nutze ich KI-Anwendungen vor allem für Texte und Übersetzungen. Die Beantwortung von Fragen, wie das Beispiel mit dem Mediaplan, mache ich ansonsten kaum, da mir die Antworten der KI einfach zu wenig verlässlich sind. Die Beantwortung von Fragen ist aber der wichtigste Nutzungszweck von KI für die Schweizer Bevölkerung.

Sie sprechen den aktuellen IGEM-Digimonitor an. Laut der aktuellen Studie nutzt die Mehrheit der unter 35-Jährigen bereits KI, bei den 15- bis 19-Jährigen sind es gar 70 Prozent. Überrascht Sie dieses Resultat?
Nein, besonders überrascht hat mich das nicht. Es gibt ja doch einige KI-Tools, die man niederschwellig und ohne hohe Kosten ausprobieren kann. Und viele KI-basierte Angebote sind doch recht praktisch, insbesondere auch wenn man noch in Ausbildung ist. Überrascht hat mich eher, dass die Frauen in allen Altersgruppen ab 20 Jahren bei der KI-Nutzung deutlich hinter den Männern hinterherhinken. Ich hoffe sehr, dass sich hier nicht eine Schere öffnet und die Frauen sich nicht abhängen lassen.

Spannend ist ein Blick auf die Social-Media-Plattformen. Man könnte fast sagen: «Jedem Tierchen sein Pläsierchen» – sprich: Jede Generation hat ihre eigene Plattform. Dieser Generationengraben dürfte in den kommenden Studien noch grösser werden, oder?
Social-Media-Plattformen profitieren von enormen Netzwerkeffekten. Sie haben einen grossen Anreiz, bei der Anzahl User zu wachsen. Und breites Wachstum ist nur zur Bevölkerungsmitte hin möglich. Wachsende Plattformen werden so eingemittet, während stagnierende in ihren Nischen bleiben. Wenn eine junge coole Plattform also mit der Zeit älter und breiter wird, gibt es wieder Platz für einen neuen Newcomer bei den Jungen. Das ist vielleicht momentan «BeReal». Und in zwei, drei Jahren kommt die nächste Plattform. Ich erwarte daher nicht, dass der Generationengraben grösser wird, sondern dass einfach andere Plattformen darin auftauchen.

Trotz des Streaming-Booms bleibt Fernsehen das Leitmedium. Wie sehen Sie die Zukunft des traditionellen TV-Konsums in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Ich weiss nicht, ob man heute überhaupt noch von einem «traditionellem TV-Konsum» sprechen kann. In der Fernsehnutzung hat sich bereits in den letzten zehn Jahren so viel verändert. Wenn sich die TV-Nutzung in den nächsten zehn Jahren so weiterentwickelt wie in den letzten zehn Jahren, wird vor allem die tägliche Nutzung zurückgehen, und die Zuschauerinnen und Zuschauer werden eher punktuell und gezielter, sei es für zeitgebundene Inhalte wie News, Sport oder Shows, einschalten. Auf Ebene der Wochenreichweite des Fernsehens sind die Auswirkungen dagegen kleiner. Auf der anderen Seite gibt es Faktoren, welche die Zukunft des Fernsehens positiv unterstützen: Zuletzt hat TV durch Corona nochmals einen deutlichen Schub bekommen. In praktisch jedem Schweizer Haushalt steht ein TV-Gerät – 91 Prozent der Personen zwischen 15 und 75 Jahren nutzen mindestens gelegentlich ein TV-Gerät. Und jene Generationen, die mit dem TV aufgewachsen sind, haben in Zukunft einen grösseren Anteil an der Bevölkerung.

«Nicht einmal jeder hundertste Nutzer von Instagram oder Facebook ist bereit, dafür zwölf Franken oder mehr pro Monat auszugeben»

Obwohl die Bereitschaft, für digitale Inhalte zu zahlen, gering ist, zahlen viele Nutzer für werbefreie Erlebnisse auf Plattformen wie Disney+ und YouTube. Was bedeutet das für die Monetarisierung digitaler Inhalte in der Zukunft?
Es gibt gegenläufige Entwicklungen: Auf der einen Seite sind die Schweizerinnen und Schweizer bereit, für hochwertigen Content und Werbebefreiung zu bezahlen. Als Beispiel dafür sei Netflix mit seinen total 3,4 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern genannt, von denen bisher 100 Prozent werbefreien Content sehen. In etwas geringerem Ausmass gilt das auch bei Spotify und Disney+: Bei Disney+ nutzen 69 Prozent der total 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die werbefreie Form. Bei Spotify sind es 66 Prozent der total 3,5 Millionen Hörerinnen und Hörer. Auf der anderen Seite steht zum Beispiel YouTube, wo nur 7 Prozent der total fünf Millionen Nutzerinnen und Nutzer für werbefreies YouTube Premium bezahlen. Auch bei Social Media werden die Premium- oder werbefreie Angebote kaum nachgefragt.

Haben Sie Zahlen dazu?
Nicht einmal jeder hundertste Nutzer von Instagram oder Facebook ist bereit, dafür zwölf Franken oder mehr pro Monat auszugeben. Anscheinend ist dort der Content nicht gut genug – oder die Werbung bislang noch zu wenig nervend –, als dass die Leute dafür bezahlen wollen. Irgendwo in der Mitte dazwischen liegen dann die digitalen News-Portale: Dort nutzen 29 Prozent der total 6,1 Millionen digitalen Leserinnen und Leser ein kostenpflichtiges Abo. Bis jetzt sind dies vor allem Personen in Führungspositionen, mit grösserem Einkommen oder mit höherer Bildung. Gerade das Wachstum über diese Bevölkerungsgruppen hinaus stellt eine Herausforderung dar.

Eine Zahl machte letzte Woche an der Radio Night und am SwissRadioDay die Runde: Audio – also Radio, Podcasts und Streaming – erreicht 99 Prozent der Bevölkerung. Ist die Schweiz also ein auditives Volk?
Ja, man kann definitiv sagen, dass die Schweizer Bevölkerung viele Audioinhalte konsumiert. Aber: Audio ist flüchtig, kaum greifbar. Darum wird die Bedeutung von Audio im Alltag der Bevölkerung wohl oft unterschätzt.

Was im IGEM-Digimonitor nicht steht, aber Ralf Brachat von Swiss Radioworld an der Radio Night erwähnte: Nur 4 Prozent des Werbekuchens wird von Audio besetzt. Müsste dieses Kuchenstück nicht viel grösser sein?
Grundsätzlich folgen die Werbegelder der Mediennutzung. In der Tat ist die Nutzung von Audioinhalten in der Schweiz sehr gross. Man darf aber nicht vergessen, dass sich doch wesentliche Anteile dieser Audionutzung nicht werblich belegen lassen. Das ist einerseits politisch so gewollt, zum Beispiel mit dem Verbot von Radiowerbung auf den Radiosendern der SRG und dem Verbot von Audio- oder anderer Onlinewerbung auf den Plattformen der SRG wie PlaySRF/RTS/RSI et cetera. Auf der anderen Seite sind die Schweizerinnen und Schweizer auch «zu reich» beziehungsweise leisten sich viele ein werbefreies, teureres Abo zum Beispiel auf Spotify. Damit sind diese Spotify-Hörerinnen und -Hörer dann auch nicht mehr werblich zu erreichen. Mit der enormen Audionutzung wachsen das Inventar und die Werbemöglichkeiten im Audiobereich aber dennoch. Daher scheint mir weiteres Wachstum der Audiowerbeausgaben gut möglich  – und sowohl die von Media Focus erhobenen Brutto-Spendings im Radio und Audio wie auch Ralf Brachat von der Swiss Radioworld scheinen diese Entwicklung zu bestätigen.

Eine spannende Zahl ist mir auch noch aufgefallen: 74 Prozent der Bevölkerung tragen Stöpsel im Ohr. Könnte es an der hohen Kopfhörernutzung liegen, dass die Reichweite bei den Radiosendern seit Jahren rückläufig ist?
Gemäss dem Digimonitor werden Kopfhörer in erster Linie genutzt, um Musik zu hören. Die Radionutzung mit Kopfhörern folgt erst mit deutlichem Abstand. Und gerade auch bei den jüngeren Personen werden die Kopfhörer eher genutzt um, neben Musik, vor allem auch Social Media, TV-/Video-Streaming oder Podcasts zu nutzen. Zudem hat die Mediapulse vor drei Jahren die Messlücke der nicht erhobenen Kopfhörernutzung in der Radioforschung quantifiziert. Mediapulse geht davon aus, dass die Reichweite von Radio bei einer Berücksichtigung der Kopfhörer je nach Sprachregion um zwei bis drei Prozentpunkte und die Hördauer um rund zehn Minuten ansteigen würde. Dies ist zu wenig, als dass der Radiomarkt die Zusatzkosten für die Erfassung der Radionutzung über Kopfhörer refinanzieren könnte. Solange das so ist, profitieren Radiowerbende dank der nicht erhobenen Kopfhörernutzung von «geschenkten» 2 bis 3 Prozent mehr Medialeistung.

«Der Teletext hat auch mit Gewohnheit zu tun»

Vielleicht sollten Werbetreibende vermehrt auf Teletext setzen. Dieser bleibt auch 40 Jahre nach seiner Einführung relevant. Was macht Teletext für die Schweizer Bevölkerung, insbesondere für jüngere Nutzer, noch immer attraktiv?
Tatsächlich hat der Teletext mit total 2,1 Millionen Usern fast gleich viele Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz wie ChatGPT mit 2,3 Millionen Usern. Und der Teletext hat mehr User als beispielsweise Disney+, Snapchat, TikTok, Apple Pay, Telegram oder X. Der Teletext ist für Sport- und Newsinteressierte eine gute Quelle. Er ist schnell, informativ, bringt es auf den Punkt und hat verlässliche Inhalte. So wurde der Teletext, soweit ich weiss, nie der Fake News beschuldigt. Zudem ist der Teletext über die App oder Website auch auf dem Handy überall verfügbar. Der Teletext hat auch mit Gewohnheit zu tun: Auch bei den Jüngeren, den 15- bis 34-Jährigen, nutzt jede sechste Person mindestens wöchentlich den Teletext. Das ist fast jeder vierte Mann und jede neunte Frau zwischen 15 und 34 Jahren in der Schweiz – pro Woche.

Die Studie zeigt auch regionale Unterschiede in der Mediennutzung. Was fiel Ihnen besonders auf?
Wir sehen seit Jahren, dass die Romandie die digitale Vorreiterin der Schweiz ist. Die Westschweizerinnen und Westschweizer nutzen viel intensiver Social Media und Video-Streaming. Sie gamen häufiger und nutzen mehr Spielkonsolen. Daneben hören die Romands weniger Radio, aber gehen dafür häufiger ins Kino. Im Vergleich dazu kann man vereinfacht sagen, dass das Tessin eine noch etwas traditionellere Mediennutzung hat. Vor allem TV wird in der italienischen Schweiz überdurchschnittlich geschaut. Auch die Digitalisierung scheint im Tessin etwas langsamer fortzuschreiten, zum Beispiel in den Bereichen E-Banking, Videokonferenzen oder Onlineshopping. Es gibt aber auch einige auffallende Ausnahmen: Instagram wird im Tessin mehr genutzt als in der Deutschschweiz, dafür spielt Snapchat kaum eine Rolle in der italienischen Schweiz.

Wie sieht eigentlich Ihre persönliche Mediennutzung aus?
Ich bin nicht die typische Mediennutzerin der Schweiz. Wir haben kein TV- oder Radiogerät und daher nutze ich TV und Radio nur in Streamingform. Dafür habe ich von praktisch allen Schweizer Medien ein Digitalabo – und gehöre dort wohl zur Kategorie Heavy-User. Auch auf Social Media folge ich fast nur verlässlichen Newsanbietern und Medienhäusern. Einzig die Fachpresse wie etwa das persönlich-Magazin und den «Economist» habe ich gedruckt abonniert.


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