29.09.2024

Anne Walser

«Als Produzent muss man Feuer fangen»

Anfang nächstes Jahr kommt Anne Walsers neuer Film «Stiller» in die Schweizer Kinos. Die Mitbesitzerin von C-Films spricht über ihr Schaffen als Produzentin und sagt, was sie antreibt.
Anne Walser: «Als Produzent muss man Feuer fangen»
«Wir brauchen für Filme Aufhänger, sonst gehen sie im übersättigten Filmmarkt unter»: Anne Walser ist Mitbesitzerin von C-Films. (Bild: zVg, Aliocha Merker)

Anne Walser, wir sitzen in Ihrem Büro in Zürich bei Ihrer Firma C-Films AG. Zu Ihren Füssen ein wunderschöner weisser Hund. Ist er auch schon ein Filmstar?
Bis anhin ist Beauvoir (weisse Schäferhündin) höchstens Star in meinem eigenen Lebensfilm! Einmal gab es die Chance, bei «Sisi und ich», aber sie war zu gross, weil sie in der Szene in einer Tasche hätte sitzen müssen (lacht). Aber sie begleitet mich gerne auf Filmsets. Da wird sie von allen Seiten verwöhnt, und sie ist sehr gesellig.

Wie einfach ist es, Serien und Filme zu machen? Eine Idee, dann das Fernsehen oder grosse Verleiher anrufen, damit sie das Geld geben, Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler finden, und schon ist der Film fertig?
Schön wärs! Aber meist dauert es fünf bis zehn Jahre, ehe aus einer Idee ein fertiges Produkt wird. Nehmen wir «Die Mittagsfrau», einen Film nach einem Buch von Julia Franck. Deren Verlag rief mich vor etwa zwölf Jahren an und fragte, ob ich nicht an der Verfilmung Interesse hätte. Ich las das Buch und ja: war begeistert. Aber ich hatte noch keine Idee, wie: Immerhin war es ein sehr deutscher Stoff mit wenig oder keinem Bezug zur Schweiz. Aber im Kopf sah ich den Film, und im Herzen spürte ich ihn … Deshalb liess ich nichts unversucht, und etwas störrisch muss man in diesem Geschäft sein!

Damit kommen wir zum Punkt: Was ist denn eine Filmproduzentin, ein Filmproduzent eigentlich? Er führt bei den Filmen in der Regel nicht Regie, er spielt auch selten selbst mit. Warum ist sie, warum ist er der wichtigste Teil einer Produktion?
Eine Filmidee bleibt eine Idee, wenn nicht ein Produzent oder eine Produzentin Feuer fängt, ein entsprechendes Team für den Film motiviert und vor allem auch Finanzierungspartner für die Sache gewinnen kann. Am Schluss ist eine Filmproduktion ein Unternehmen wie jedes andere auch. Nachfrage und Angebot müssen eingeschätzt werden, Risiken beurteilt, Ausgaben und Einnahmen jongliert. Zunächst muss man als Produzent Feuer fangen; und dann beginnt die aufwendige Arbeit, Konzepte und Präsentationen zu bauen. Das mache ich in der Regel selbst in meinem Team, um ausländische Co-Produzenten, um Fernsehanstalten im In- und Ausland, um die verschiedenen Förderinstitutionen zu begeistern und das vorab erstellte Budget abzusichern. Da geht es in der Regel um Millionen. Qualvolle Arbeit, immer warten auf Entscheidungen, denen zahlreiche Änderungen und Verbesserungen folgen. Meist bedeutet das: einen Schritt nach vorne und fünf zurück. Um Partner zu gewinnen, ist es auch wichtig, vorab schon den möglichen Regisseur, die möglichen HauptdarstellerInnen anzufragen und ihr Commitment für den Film zu gewinnen. Wir nennen das Packaging – bestmögliche Elemente rund um das Projekt zu sammeln, um künftige Auswertungschancen abzusichern. Zum Beispiel bei unserem Film «Sisi und ich», einer schweizerisch-deutschen Koproduktion, die im Februar 2023 bei den Berliner Filmfestspielen Premiere hatte, war es vermutlich ausschlaggebend für die Realisation, dass wir den Shooting-Star Frauke Finsterwalder als Regisseurin hatten und zudem die mittlerweile Oscar-nominierte Sandra Hüller für die Hauptrolle gewinnen konnten.

«Ich kann ohne Bücher nicht leben; und Bücher sind nichts anderes als Filme im Kopf»

Warum macht frau diesen harten Job? Für den Glanz an den Premieren, für den Gang über den roten Teppich, für die eigene Eitelkeit, fürs Geld? Und wie ist die Karriere von Anne Walser in diesem glamourösen Business verlaufen?
Ich war schon immer eine Leseratte. Ich kann ohne Bücher nicht leben; und Bücher sind nichts anderes als Filme im Kopf. Schon als Mädchen sah ich meine Bücher direkt vor mir, sprach mit den Figuren aus meinen Lieblingsromanen, stellte mir deren Welten physisch vor. Vielleicht basieren deshalb einige meiner wichtigsten Filme auf (erfolgreichen) Büchern: Ich habe drei Filme nach Erfolgsromanen von Martin Suter gemacht, «Der Teufel von Mailand», «Der letzte Weynfeldt» und «Der Koch». Dann natürlich «Die Mittagsfrau», wie gesagt nach dem Bestseller von Julia Franck. C-Films hat zudem auch den Erfolgsroman «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier unter der Regie von Oscar-Preisträger Bille August verfilmt, und aktuell «Stiller» nach dem Meisterwerk von Max Frisch. «Stiller» läuft im Jahr 2025 in den Schweizer Kinos an. Schon bald kann man den Trailer auf YouTube anschauen: Ich bin richtig stolz auf diese Neuverfilmung mit Stefan Haupt als Regisseur und mit Albrecht Schuch und Paula Beer in den Hauptrollen! Ein kluges, eindrückliches Werk, an dem – wage ich zu behaupten – auch Meister Frisch seine Freude hätte. Wenn wir uns keiner Romanvorlagen bedienen, so lassen wir uns bei unseren Projekten vielfach von Aktualitäten und Trends inspirieren, nicht selten auch von historischen Ereignissen. Wir brauchen für Filme Aufhänger, sonst gehen sie im übersättigten Kinomarkt unter. Bestes Beispiel ist das Reformationsjahr für unseren Film «Zwingli», der fast 300'000 Zuschauer ins Kino lockte. Oder die Tragödie um den Flugzeugabsturz der Swissair über Halifax im Jahre 1998 … eine Katastrophe, die unser ganzes Land und viele andere Nationen in Schockstarre versetzte. «111» wird ab September in Halifax, Kanada, und in der Schweiz gedreht.

Anne Walser, Sie sind ganz in Ihren Filmgeschichten verhaftet, haben aber die Frage nach Ihrer persönlichen Karriere noch nicht beantwortet.
Ich habe nach der Matura in Zürich ganz viel ausprobiert. Mich hat zu vieles interessiert: Architektur, Fotografie, Jura. So habe ich viel gejobbt, Praktika absolviert, Augen und Ohren offen gehalten. Darunter war etwa auch eine Stelle als Produktionsassistentin bei Tele24 und als Videojournalistin beim Sender TV3. Die Entertainment-Branche gefiel mir, weil sie sehr vielseitig war. Aber irgendetwas fehlte mir dennoch, und so erschien es wie ein Wink des Schicksals, als ich im Café Odeon sass, einer Kollegin von meinen Zweifeln erzählte und mir gegenüber der Produzent Edi Hubschmid sass. Er hat das Gespräch zufällig mitbekommen, und da er mit zwei Kollegen gerade an der Idee bastelte, die Filmabteilung der Condor als eigenständige Firma auszulösen, lud er mich zum Vorstellungsgespräch ein. So lernte ich auch P. C. Fueter und Peter Reichenbach kennen, die zwei weiteren Partner der damals frisch gegründeten C-Films AG. Ohne zu wissen, worauf ich mich einliess – vom Filmemachen hatte ich wenig bis keine Ahnung! –, sagte ich zu. Die drei Produzenten bestimmten mein Leben nachhaltig. Sie schenkten mir Vertrauen, forderten mich und lehrten mich, was Filmemachen eigentlich heisst. Wunderbare Mentoren und Menschen, denen ich vieles zu verdanken habe! 2008 habe ich meinen ersten eigenen Film als selbstständige Produzentin gemacht: «Marcello, Marcello» von Denis Rabaglia. Eine schweizerisch-deutsche Koproduktion, die zu 100 Prozent in Italien spielt, was für mich als Erstlingsproduzentin ein hartes, aber umso lehrreicheres Meisterstück war.

Da waren Sie noch nicht an der C-Films AG direkt beteiligt. Wann sind Sie eingestiegen?
Nein, ich bin langsam die Leiter hochgeklettert. Die C-Films war zwar längst zu meiner Familie geworden, wo ich meine berufliche Erfüllung fand, aber die Beteiligung erfolgte erst 2012. Ich wollte auch unternehmerisch die Verantwortung mittragen. Ich habe erst 30 Prozent und später dann 45 Prozent der Anteile der Firma übernommen. Die unternehmerische Verantwortung, zusätzlich zu der Verantwortung, die man als Produzentin für einzelne Projekte, aber vor allem auch für all die involvierten Menschen trägt, sorgt neben vielen Schweissperlen auch für grosse Freude. Die Arbeit ist für mich keine Arbeit. Sie begleitet mich rund um die Uhr, und mein Team ist auch ein Teil meiner Familie geworden.

«Ich fühle mich privilegiert, eine solche Arbeit ausüben zu dürfen»

Was sind die berührendsten Themen, die Sie unbedingt machen wollten und umsetzen konnten?
Das muss ich überlegen … Ich würde als Erstes meinen Film «Akte Grüninger» (2016) nennen, weil er ein wenig schönes Kapitel der Schweizer Geschichte wieder ans Licht gebracht hat und dem Menschen Grüninger, der im Zweiten Weltkrieg Jüdinnen, Juden und deren Kinder hundertfach gerettet hat, ein berührendes Denkmal setzte. Grüninger war zudem eine Figur, von der ich erstmals von meinem Grossvater erfuhr, der damals selbst an der Grenze als Soldat tätig war. Und da mein Grossvater einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben ist, verspürte ich so das Gefühl, ihm ein wenig näherzukommen. Das Projekt «Youth» war natürlich ebenfalls ein Meilenstein. Grosse Weltstars wie Michael Caine und Harvey Keitel in der herrlichen Schweizer Bergwelt agieren zu sehen, war ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde. Weiter habe ich für das Schweizer Fernsehen unter anderem «Weglaufen geht nicht» gedreht, eine fiktive Geschichte um die Parasportlerin Élodie, die nach einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt ist. Das berührte mich insofern, als auch ich glaube, dass man im Leben nie aufgeben darf, egal was passiert. Ich lernte im Zuge dieses Films viele Menschen kennen, die durch Schicksalsschläge stärker geworden sind. Das ist das Schöne an meinem Beruf: Jeder Film transportiert in neue Welten, konfrontiert mit neuen Themen, inspiriert mit neuen Menschen und Geschichten. Ich hüpfe während meiner Arbeit von den Küsten von Halifax ins tiefste Mittelalter, zurück ins Italien der 1970er-Jahre oder in die Welt der pulsierenden Grossstadt Brüssel, wo unter anderem eine Thrillerserie von mir angesiedelt ist. Ich fühle mich privilegiert, eine solche Arbeit ausüben zu dürfen!

Aufgeben gibt es nicht, scheint Ihr Motto zu sein. Und doch gibt es Grenzen der Belastbarkeit, physisch wie psychisch. Wie gehen Sie bei einem solchen Arbeitspensum, das auch mit Reisen, unzähligen Zoom-Konferenzen, exakter Budgetarbeit und vielen auch negativen Bescheiden durch Förderstellen und Geldgebern einhergeht, mit der eigenen Work-Life-Balance um?
Ich mag den Ausdruck Work-Life-Balance eigentlich ganz und gar nicht. Für mich ist Arbeit auch immer «Life». Wenn es anders wäre, müsste ich etwas ändern. Aber natürlich gibt es da noch mehr als nur die Filmwelt. Ich bin wahnsinnig gerne in der Natur und wandere oder bin mit dem Rad unterwegs. Im Ernst: Gelbe Wanderschilder lassen mein Herz höherschlagen! Zudem habe ich loyale, interessante Freunde, einen inspirierenden Lebenspartner, der selbst Unternehmer ist, einen tollen Bruder und die besten Eltern. Mit ihnen zu kochen, genüsslich Wein zu trinken, zu diskutieren, das ist Erholung pur! Und natürlich verdanke ich unserem Hund Beauvoir viele Stunden in der Natur, in der Allmend, im Dolderwald oder in den Davoser Wäldern, wo mein Partner und ich regelmässig hinfahren. Zu guter Letzt: Ich bin noch immer eine Leseratte. Und ich kann mich gut und gerne in schöner Umgebung während Stunden in ein Buch vertiefen. Drehbücher ausgeschlossen (lacht). Wichtig für mich ist auch zu wissen, dass meine Arbeit niemals endet. Ich habe noch viele Projekte, die ich gerne realisieren möchte, die C-Films hat eine volle Pipeline, unter anderem mit dem grossartigen Krimiserienprojekt «Maloney» für das SRF oder der Romanverfilmung «Eurotrash» von Christian Kracht. Zudem diverse Serienprojekte, die wieder ganz andere Herausforderungen an uns stellen als Filme. Unser Team ist sehr gut aufgestellt, topmotiviert und schafft es auch, mich aufzuheitern, wenn es mal nicht nach meinem Widder-Kopf gehen sollte. Und natürlich mache ich auch Yoga, habe sogar in New York die Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht. Wenn gar nichts mehr geht, geht es auf die Matte.   



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