Bakel Walden, Sie pendeln derzeit zwischen Bern und Malmö. Wo gefällt es Ihnen besser?
(Lacht.) Oft noch in Bern. Das Wetter ist einfach besser als in Skandinavien. Aber es ist schön dort, ich war auch schon zwei, drei Mal vor Ort. Das meiste machen wir aber telefonisch, um es einfach zu halten.
Sie müssen Glück bringen: Seit letztem Sommer sind Sie Vorsitzender des Aufsichtsgremiums des Eurovision Song Contest (ESC) – und schon führt der Schweizer Nemo die Wettquoten an …
Da gibt es eine ganz klare Trennung. Als Chairman der ESC Reference Group bin ich neutral, da geht es wirklich um den gesamten Song Contest. Als SRG-Mitarbeiter freut mich natürlich, dass Nemo so gut unterwegs ist. Aber das eine hat Gott sei Dank mit dem anderen gar nichts zu tun.
Werden Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen der Reference Group oft auf Nemo angesprochen?
Ja. Wir haben ja einige Themen, aber wenn es dann wirklich um die Künstler geht, gab es auch schon sehr viel positives Feedback. Wir haben eine Menge tolle Künstlerinnen und Künstler beim ESC. Natürlich ist es grossartig, dass Nemo so begeistert.
Sie selbst sind ja der erste Schweizer, der dieses Amt bei der Reference Group innehat. Ehrt Sie das?
Die European Broadcasting Union (EBU) als Dachorganisation des Eurovision Song Contest hat in der Schweiz, in Genf, ihr Hauptquartier. Es freut mich sehr, dass nun auch die Schweiz auf diese Art vertreten ist. Seit den 90er-Jahren gibt es diese Reference Group. Und ich bin sehr froh, dass die Schweiz nun hier so präsent sein darf.
Die ESC Reference Group überwacht unter anderem die jährlichen Vorbereitungen des gastgebenden Fernsehsenders. Läuft alles mit rechten Dingen im Moment?
Bei den Vorbereitungen – insbesondere dem ganzen kreativen Konzept – sind die Kolleginnen und Kollegen vom schwedischen Fernsehen SVT sehr gut unterwegs. Das wird eine tolle Show. Wie immer ist es gerade jetzt in den Wochen davor extrem herausfordernd. Da kommen ganz viele Puzzleteile zusammen. Aber ich glaube, wir können uns auf eine tolle Woche in Malmö freuen.
Der ESC betont stets seine unpolitische Ausrichtung und Haltung. Mehrere Teilnehmende haben nun aber ihre Solidarität mit Menschen im Gazastreifen sowie in Israel zum Ausdruck gebracht. Wie politisch erleben Sie derzeit den ESC?
Es ist natürlich eine ganz grosse Diskussion mit den Krisenherden in der Welt, insbesondere mit Nahost. Da passiert sehr viel, vor allem im Bereich Social Media. Da gibt es sehr viele Dinge, die absolut nicht akzeptabel sind, sehr viel Hate Speech und negative Nachrichten auch den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber. Die EBU hat ja dazu ein Statement abgegeben. Das ist herausfordernd für das Produktionsteam. Man versucht bestmöglichst damit umzugehen.
«Hate Speech ist absolut nicht akzeptabel»
Sie erwähnen es: Die EBU hat den Hate Speech verurteilt (persoenlich.com berichtete). Machen Ihnen solche Hetzkampagnen Sorgen?
Absolut, weil man muss hier wirklich trennen: Die EBU als Mitgliedorganisation diskutiert jedes Jahr über Beiträge und die Teilnehmerliste. Die EBU hat sich auch klar für alle teilnehmenden Länder ausgesprochen. Die Künstlerinnen und Künstler haben damit nichts zu tun – sie wollen ihre Emotion, ihre Kreativität in Malmö teilen. Das ist ihr Fokus. Hate Speech, die Angriffe im Netz, der Hass, der ihnen dort entgegenschlägt, ist absolut nicht akzeptabel, und das hat die EBU so auch zum Ausdruck gebracht.
Wird der ESC die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen müssen, auch aufgrund der weltpolitischen Lage?
Seit Jahren ist Sicherheit der Nummer-eins-Fokus, zum Beispiel auch das Thema Cybersecurity mit den millionenfachen Votings. Auch dieses Jahr in Schweden sind die Sicherheit vor Ort und die Sicherheit im Netz wichtige Themen. Dieses Jahr wurde nochmals zusätzlich investiert, und die ganzen Vorbereitungen wurden intensiviert.
Müssen Sie damit rechnen, dass einige Länder im letzten Moment aussteigen, wenn der Konflikt in Gaza weiter eskaliert?
Alle hoffen wir natürlich auf erfolgreiche Verhandlungen, auch auf kurzfristige Fortschritte, dass dort die Lage nicht weiter eskaliert und wieder Frieden einkehrt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ganzen Delegationen sind im engen Austausch, sind mitten in den Vorbereitungen. Wir haben keine solchen Informationen und hoffen einfach, dass wir mit allen dann nach Malmö reisen können.
«Dass der Song jetzt schon so viele Leute berührt oder erreicht, das ist toll»
Zurück zur Schweiz: Nemo steht in der Gunst der Buchmacher. Könnte dies nicht auch ein Nachteil sein?
Erstmal ist es einfach eine tolle Leistung von Nemo und vom Team – also von Unterhaltungschef Reto Peritz und Yves Schifferle, Leiter Show und Delegationsleiter bei SRF. Die haben eine ganz tolle Sache zusammengestellt: ein super Song, eine super Performance. Das ist einfach etwas, worüber man sich sehr freuen kann aus Schweizer Sicht. Und zu den Wettquoten: Das ist noch lange hin, es geht noch einen Monat bis Malmö. Da können sich Sachen ändern, da muss man einfach abwarten. Aber dass der Song jetzt schon so viele Leute berührt oder erreicht, das ist toll.
Bei der Punktvergabe geht es immer auch um Sympathien zwischen den Ländern. Hat hier die Schweiz überhaupt eine Chance – trotz des guten musikalischen Beitrags?
Ja, absolut. Da gibt es auch immer wieder Analysen dazu: Welche Länder geben sich eigentlich welche Punkte? Es hat sich in den Jahren immer gezeigt, dass die guten Songs, die ankommen beim breiten Publikum, die setzen sich durch. Unabhängig, ob gewisse Musikmärkte sich da eher die Punkte geben. Und das Schweizer Image im Ausland ist ja auch sehr positiv. Also ich denke, da sind alle Chancen intakt.
36 Jahre nach Céline Dion wäre dies der dritte Sieg für die Schweiz. Hand aufs Herz: Planen Sie in Gedanken bereits die Durchführung des ESC 2025?
Wichtig ist jetzt wirklich erstmal, in Malmö einen tollen Auftritt zu haben. Aber es stimmt – und nun wieder aus dem Blick der Reference Group: Es bietet sich an, zu jenen Ländern, die jetzt in den Wettquoten vorne sind, sich erste Überlegungen zu machen und Gespräche zu führen. Da geht es vor allem um Organisatorisches: Wir besprechen intern nun, wer was am Wochenende in Malmö sagt und wer welche Aufgabe hat. So richtig los geht es dann natürlich hinterher, aber das dann wirklich mit Hochdruck, denn es kommt bereits auf die ersten Tage an.
In der Schweiz wird aktuell über die SRG-Initiative «200 Franken sind genug» diskutiert. Wenn der ESC 2025 in der Schweiz stattfinden würde, wäre das Fluch oder Segen?
Für mich ist es ganz klar: Es wäre phänomenal, es wäre ein Wahnsinnserfolg für das Team, für die Musikszene in der Schweiz und auch für die SRG. Ich selbst komme aus dem redaktionellen Bereich Unterhaltung – und Unterhaltung steht ja auch immer wieder mal im Schatten, manchmal auch in der Kritik. Es wäre wirklich toll. Es ist ja nicht nur die Show per se. Der Eurovision Song Contest ist auch eine Chance für die Schweiz, sich zu präsentieren. Aber, und das stimmt auch, es wäre eine grosse Herausforderung mit einem engen Finanzrahmen, mit einem umstrittenen Finanzrahmen der SRG. Da wird bei den Ausgaben genau hingeschaut. Da werden wir uns engagieren auch mit allen Partnerinnen und Partner. Aber es ist eine Riesenchance, was total positiv ist. Noch sind wir nicht da.
«Ich bin mir sicher, dass die Schweiz das auch schaffen wird»
Sie sprechen die Finanzen an. Eine Durchführung in der Schweiz würde viel kosten. Der SRF-Delegationsleiter Yves Schifferle wollte kürzlich keine Zahlen nennen. Lassen Sie die Katze aus dem Sack?
Das hängt ja von ganz vielen Faktoren ab: Wie hoch sind die Ausgaben, zum Beispiel im Sicherheitsbereich? Oder wie sieht die Inflation aus? Gleichzeitig gibt es auch Einnahmen durch Ticketverkäufe. Entscheidend wird sein, in welcher Halle der Event durchgeführt wird. Und wer sind die Sponsoren? Das ist alles noch nicht klar. Es ist eine Mammutaufgabe, die aber schon ganz verschiedene Länder – ob gross oder klein – in den letzten Jahren bewältigt haben. Und da bin ich mir sicher, dass die Schweiz das auch schaffen wird.
Produzent wäre die European Broadcasting Union. Inwiefern gibt es da fertige Konzepte, die die SRG einfach übernehmen könnte im Falle eines Falles?
Das stimmt, es gibt ganz viel Unterstützung. Es gibt Know-how von Mitgliedsländern, die das schon gemacht haben. Es gibt bei der EBU auch ein Eventteam. Und es gibt freie Mitarbeitende, die mit dem Eurovision Song Contest auch im nächsten Jahr im nächsten Land sind. Das ist fast eine Art Wanderzirkus. Man kann also auf sehr viele Themen und teilweise auch auf fertige Pakete zurückgreifen. Aber der sogenannte Host Broadcaster, also verantwortlich für alles vor Ort und die Produktion der Show, wäre dann die SRG.
Und Sie würden dann im nächsten Jahr in den Ausstand treten?
Mein Fokus als Chairman ist ja, alle Mitglieder zu vertreten. Die Situation hätte es auch noch nie gegeben, dass der Chairman beim gleichen Sender arbeitet, der dann auch gewinnt. Aber da kann man natürlich auch eine Abgrenzung machen. Und operativ liegt das auch woanders und nicht bei mir.
Zu einem Contest in ganz anderer Sache: Bei der SRG diskutiert wird die Nachfolge von Generaldirektor Gilles Marchand. Sie tauchten bisher auf keinem Wahlkarussell auf. Haben Sie sich beworben?
Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn die Frage nicht gekommen wäre (lacht). Im Ernst: Es ist natürlich ein absolut spannendes Thema. Aber wie Sie sehen, habe ich sehr viele Aufgaben – von Projekten der digitalen Transformation bis zum ESC. Ich habe bei jeder Diskussion um das Thema immer gesagt: No comment. Dem bleibe ich jetzt auch treu und fokussiere mich mit Freude auf meine Arbeit.