Bakel Walden, der Countdown zum Eurovision Song Contest (ESC) in Basel läuft. Wie ist Ihre Stimmung so kurz vor dem Grossanlass?
Ganz viel Vorfreude, gemischt mit einer gesunden Portion Anspannung. Jetzt geht es nur noch um Wochen, bis es endlich losgeht mit dem diesjährigen ESC. Es ist ein bisschen wie Geburtstag, Weihnachten und Klassentreffen zusammen.
Was bedeutet es für Sie, den Eurovision Song Contest zu begleiten, der nach 36 Jahren wieder in die Schweiz zurückkehrt?
Begonnen habe ich meine Karriere vor 25 Jahren im Unterhaltungsbereich als Praktikant in der RTL-Showabteilung. Jetzt beim ESC in einer übergeordneten Funktion mitarbeiten zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes, zudem unter dem Motto «Welcome Home». Es ist wie bei einem ehemaligen Balljungen, der einen Champions-League-Final mitorganisieren darf.
«Die Reference Group hat ein klareres und transparenteres Regelwerk verabschiedet»
Nach den Kontroversen um die Israel-Proteste und den Ausschluss des niederländischen Kandidaten in Malmö: Welche konkreten Änderungen wurden für Basel beschlossen und wie weit ist der Reformprozess fortgeschritten?
Wichtig war, das Feedback nach Malmö rasch und konsequent in Entscheide umzusetzen. Hier sind wir in den letzten Monaten sehr weit gekommen. Die Reference Group hat ein klareres und transparenteres Regelwerk verabschiedet, mehr Ressourcen für Schlüsselthemen wie Kommunikation bereitgestellt und vor allem beim Thema «Wohlergehen der Delegationen» mit konkreten Massnahmen einen Fokus gesetzt.
Im Vorgespräch erwähnten Sie konkrete Massnahmen wie «Welfare Manager» und «Disconnected Zone». Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Die «Disconnected Zone» ist ein Rückzugsort für die Delegationen ohne Drehs, Fotos, Social Media et cetera. Hier kann man abschalten – gedacht als Insel der Ruhe beim grössten Musik-Live-Event der Welt. Das wird sicherlich Druck von den Künstlerinnen und Künstlern in der sogenannten «Delegation Bubble» nehmen. Der «Welfare Manager» steht den Delegationen als Ansprechpartner bei Problemen und Sorgen zur Verfügung und kümmert sich um konkrete und praktikable Lösungen. Damit haben wir schon beim letzten Junior Eurovision Song Contest sehr gute Erfahrungen gemacht und dehnen das Konzept jetzt auf den grossen Contest aus.
Sie erwähnten das Regelwerk. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sprachen Sie von einem Verhaltenskodex nach olympischem Vorbild. Was steckt dahinter?
Das Regelwerk eines solchen Wettbewerbs ist durchaus komplex. Mit dem Code of Conduct haben wir die relevantesten Regeln in einem Dokument verständlich zusammengefasst. Alle Delegationen bekennen sich im Vorfeld explizit dazu. Es geht hier um an sich selbstverständliche Themen wie Fair Play, Respekt und einen sicheren Produktionsort. Es ist ein wichtiges und verbindliches Signal, dass sich die Teilnehmenden explizit zu diesen gemeinsamen Regeln bekennen.
Der maltesische Song «Kant» sorgte für Kontroversen (persoenlich.com berichtete). Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Jedes Jahr kommt es bei einer kleinen Anzahl von eingereichten Songs zu Diskussionen rund um Texte, Bühnenshows et cetera. Mit Malta war das Kernteam der European Broadcasting Union (EBU) schon seit Januar in Kontakt und hat darauf hingewiesen, dass der Songtitel problematisch ist. Die Reference Group als Vertreterin aller Teilnehmerländer hat dann gemäss den ESC-Regeln entschieden. Und die sind klar: Die Texte müssen für ein internationales Publikum aller Altersstufen geeignet sein. Jetzt wurde der Text angepasst und wir können uns nun hoffentlich anderen Dingen widmen. Denn solche Diskussionen sind nicht unbedingt die Highlights meiner ESC-Arbeit und spiegeln nicht wider, wofür dieser grossartige Musikevent steht.
Sie haben vorletzte Woche das Head of Delegation Meeting in Basel erlebt. Wie war die Stimmung und welche Themen bewegten die Delegationen?
Ich habe die Stimmung als sehr positiv wahrgenommen. Die Atmosphäre war deutlich gelöster als noch vor einem halben Jahr, als noch viele Themen aufgearbeitet werden mussten. Jetzt sind wir gemeinsam mehrere Schritte nach vorn gegangen und die Vorfreude auf Mai ist merklich spürbar. Daran haben die tolle Arbeit der ESC-Teams der SRG und der EBU sowie das starke Engagement und die wunderbare Gastfreundschaft der Host City Basel einen grossen Anteil.
Wie blicken die Delegationen auf die verbleibende Zeit bis zum ESC und wie läuft der Countdown aus Ihrer Sicht?
Jetzt beginnt die wirklich intensive Zeit mit der Vorbereitung für die Bühnenshow, die Moderation und viele Promotionsaktivitäten. Die Zeit rast förmlich und bald sind dann alle vor Ort. Dieser erhöhte Pulsschlag ist im positiven Sinne spürbar.
Sie leiten eine Task Force für die Transformation des ESC. Welche Neuerungen werden die Zuschauer in Basel bemerken?
Die meisten Neuerungen der Task Force betreffen Abläufe hinter den Kulissen. Während der ESC vor der Kamera jedes Jahr spürbar grösser wurde, haben sich Ressourcen und Prozesse nicht unbedingt adäquat weiterentwickelt. Das haben wir angefangen zu verändern. Im besten Fall stehen wieder Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Musik im Fokus. Das ist dann auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer ein Gewinn.
«Es sind ja immer wieder Überraschungen garantiert»
Ana Maria Bordas wird nach dem ESC Ihre Nachfolge als Vorsitzende des ESC-Aufsichtsgremiums antreten. Wie arbeiten Sie bereits jetzt zusammen und wie bereiten Sie sie auf diese Aufgabe vor?
Ana und ich haben schon mehrere Jahre bei der EBU im TV Committee und in der Reference Group hervorragend zusammengearbeitet. Sie bringt sehr viel Erfahrung mit und wird international äusserst geschätzt. Wir werden die Zeit bis und in Basel für eine optimale Übergabe nutzen. Ana wird also gut vorbereitet die Aufgabe übernehmen, und trotzdem sind ja immer wieder Überraschungen garantiert (lacht).
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Vorsitzender des Aufsichtsgremiums zurückblicken: Welche Ihrer Initiativen werden den ESC längerfristig prägen?
Was bleibt, wird man erst noch sehen. Persönlich hoffe ich, dass die Grundhaltung unseres Gremiums Bestand hat: sich klar und konsequent bei Diskussionen zu positionieren, aber gleichzeitig immer wieder den Dialog zu suchen und traditionelle Abläufe zu hinterfragen. Der ESC kann sich weiter erfolgreich entwickeln und Menschen zusammenbringen, wenn alle Beteiligten nicht eigene Interessen und Polarisierung im Sinn haben, sondern vor allem das Gemeinsame und Verbindende feiern.
Wie erleben Sie als Vorsitzender die Zusammenarbeit zwischen EBU, SRG und der Stadt Basel?
Als konstruktiv und erfolgreich – jede und jeder hat das Ziel vor Augen, eine fantastische ESC-Woche im Mai zu organisieren. Natürlich gibt es bei einer solchen Riesenkiste auch immer wieder intensive Diskussionen und die eine oder andere Herausforderung hinter den Kulissen. Aber dort werden sie auch gelöst. Diese sehr professionelle und zielführende Zusammenarbeit nehme ich positiv wahr.
Sie werden die SRG nach 13 Jahren verlassen, und der ESC in Basel wird Ihr Abschied als Vorsitzender des Aufsichtsgremiums sein. Was nehmen Sie aus dieser Zeit persönlich mit und wie blicken Sie auf Ihre nächsten beruflichen Schritte?
Vor allem treibt mich die Sorge um: Was kann nach einem solchen Highlight noch kommen? (Lacht.) Aber im Ernst: Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, gemeinsam mit einem fantastischen internationalen Team an diesem Event zu arbeiten. Das war und ist eine sehr herausfordernde Aufgabe, die mir nicht nur viel Spass macht, sondern bei der ich viel über Krisen, Lösungen und Resilienz lernen durfte. Nächste berufliche Schritte sind noch gefühlt weit weg. Jetzt geht es neben den anderen Projekten, die ich zu Ende bringe, vor allem um eine erfolgreiche Woche in Basel. Die herausfordernde Umsetzung steht noch vor uns. Der ESC kommt nur einmal pro Generation in die Schweiz. Auf diese hoffentlich ganz besondere Zeit im Mai in Basel können wir uns wirklich freuen.