22.11.2002

BLOCHER CHRISTOPH, SVP-Nationalrat/November 2002

Für das Wirtschaftsmagazin Bilanz ist er der “mächtigste Schweizer”: Seit über 20 Jahren prägt SVP-Nationalrat und Unternehmer Christoph Blocher das politische und wirtschaftliche Leben der Schweiz. Im grossen “persönlich”-Gespräch schildert er ausführlich seine Erfolgsstrategie, seine Nachfolgeregelung und den Grund, warum er eigentlich nichts von Wirtschaft verstehe. Ein Interview mit einem Goliath, der sich immer noch als David fühlt. Von Matthias Ackeret und Oliver Prange

Christoph Blocher, was ist los mit unserer Wirtschaft? Alle unsere Traditionsfirmen wie Swissair, Credit Suisse, ABB, Zurich oder Rentenanstalt brechen auseinander oder haben gravierende Probleme.

“Dies ist die Reaktion auf eine Hochkonjunktur, wie sie die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat. In den USA dauerte sie ganze zwölf Jahre. In der freien Marktwirtschaft wird es immer solche Zyklen geben; auf gute Jahre folgen schlechte. Das ist ein Naturgesetz. In guten Zeiten wird überinvestiert – und wenn alle ihr Angebot vergrössert haben, herrscht ein Überangebot, welches die nächste Flaute einleitet. Im wirtschaftlichen wie im persönlichen Bereich ist nichts schwerer zu ertragen als eine Reihe guter Tage. In solch guten Zeiten verlieren viele den Boden unter den Füssen oder investieren unsinnig. Man initiiert Aktionen, die man besser unterlassen würde. Wenn dazu noch Fehlmanagement und Grössenwahn kommen, beginnt die Katastrophe. Trotz allem Pessimismus: Die Wirtschaft ist nicht kaputt!”

Sie haben immer das Shareholder-Value-Denken propagiert. Dieses hat nun zum Resultat geführt, dass die grossen Firmen ihre stillen Reserven aktiviert und damit ihre Schatztruhen geleert haben. Damit haben sie kein Auffangtuch für schlechte Zeiten mehr. War das ein Fehler?

“Ich habe stets Shareholder-Value angestrebt. Das muss so bleiben. Warum immer diese englische Bezeichnung? Shareholder-Value bedeutet auf Deutsch Unternehmenswert. Die Aufgabe eines Unternehmers besteht darin, den Wert des Unternehmens zu steigern. Doch alles kann missbraucht werden. Bei vielen Betrieben wurde eine Unternehmenssteigerung vorgetäuscht, die so niemals bestand. Aus langfristigen, soliden Gewinnen wurden kurzfristige; Bilanzen wurden frisiert und auf kriminelle Weise gefälscht. Die eingegangenen Risiken waren viel zu hoch. Die Anlegergemeinde, die Finanzpresse und die Journalisten sassen dabei in demselben Boot und freuten sich über Fusionen und neue Firmenkonstrukte. Weil es allen gut ging, waren die Gestaltungsmöglichkeiten auch dementsprechend gross. Das Shareholder-Value-Denken ist erst dann gefährlich, wenn man alle drei Monate ein Gewinnwachstum nachweisen muss, das gar nicht vorhanden ist. Gefährlich wird es, wenn Gewinne verschönt, Kosten verschleudert und Gewinne auf Kosten der Zukunft ausgewiesen werden.”

Trotzdem: Es war das Shareholder-Value-Denken, das dazu führte, dass man die Firmenschatulle leerte, und jetzt hängen manche Grosskonzerne am Tropf der Banken.

“Nein, nicht das Unternehmerwert-Denken! Aber insofern haben Sie Recht: Die soliden Firmengrundsätze sind in den letzten Jahren verloren gegangen. Jeder glaubte, der Aufschwung dauere ewig. Nehmen Sie die Eigenkapitalbasis. Jahrelang verkündete ich an den Pressekonferenzen, dass wir eine gesunde Basis benötigen, um die Unabhängigkeit unserer Firma zu gewährleisten. Doch das wollte niemand hören. Es war auch schwierig, gleichzeitig eine hohe Eigenkapitalbasis zu haben und eine hohe Rendite zu erwirtschaften. Wer nur einen Franken Eigenkapital hat, benötigt lediglich einen Franken Gewinn, um eine 100-prozentige Eigenkapitalrendite auszuweisen. Ein Franken Eigenkapital ist aber wirklich sehr wenig! Auch die Verschuldung ist ein grosses Problem. Martin Ebner beispielsweise akzeptierte diese, glaubend, dass der Aufschwung ewig dauere.”


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