09.09.2002

DE WECK ROGER, Publizist/September 2002

Roger de Weck ist einer der angesehensten Journalisten in Europa. Jetzt hat ihn sein früherer Arbeitgeber Hans Heinrich Coninx in den neu eingerichteten publizistischen Beirat gewählt. Doch de Weck bleibt nach seinem Abschied von der Zeit selbstständig. Mit “persönlich” unterhält er sich über seine Ansichten und Einsichten – über Journalismus, Medien, Wirtschaft, Politik und Europa. Interview: Oliver Prange

In Ihren Kolumnen kritisieren Sie, die Presse erscheine immer mehr Lesern als Einheitsbrei. Alle würden dieselben Informationen verwerten, jeder ein bisschen anders und doch immer gleich. Qualitätsblätter müssten sich wieder “verwesentlichen”: sich auf das Wesentliche konzentrieren.

“Ich sehe einen wachsenden Gegensatz zwischen den Gesetzen des Journalismus und den Gesetzen des Medienbetriebs. Die Kunst heute besteht darin, Journalismus zu machen trotz der Medien. Der Journalismus sucht nach neuer Information, der Medienbetrieb will vorhandene Information am liebsten vierstufig verwerten: Presse, Radio, Fernsehen, Internet. Journalismus ist unbequem, während der Medienbetrieb zum Mainstream neigt. Journalismus möchte die Dinge bewegen, der Medienbetrieb festigt den Status quo. Der Journalismus betrachtet Information auch als eine Frage der Verantwortung, für den Medienbetrieb ist Information bloss ein Rohstoff, der in der grossen Medienmaschine verarbeitet wird. Ich bin aber zuversichtlich. In schwierigen Zeiten ist ernsthafter Journalismus gefragt.” Steht es um den Journalismus tatsächlich so schlecht? Früher hatte der Journalismus keine so grossen “Insights” in Politik und Wirtschaft wie heute. Es hiess dann einfach: “Der Bundesrat hat entschieden...” Heute durchschauen Journalisten Beweggründe und Motive der Akteure – weil sie wissen, dass Entscheidungen oft auf emotionaler statt auf rationaler Basis beruhen. “Vor einem Vierteljahrhundert erlebten wir die Blüte des investigativen Journalismus. Diese damals junge Sparte hatte in den Vereinigten Staaten den Watergate-Skandal aufgedeckt. Auch die Schweiz zählte mehr investigative Journalisten als heute. Die grossen, aufwändigen, wochen- oder monatelangen Recherchen in den Zentren der Macht – die liest jeder gern, die würde auch ich gern öfter lesen.”

Aber auch heute finden Journalisten manchmal heraus, was hinter der Bühne gespielt wird, weil sie eben den Menschen hinter den Zahlen beleuchten.

“In der Tat. Wie das eine oder andere Blatt im Fall Swissair recherchierte und nun bei der Swiss dranbleibt, ist beispielhaft. Hingegen kann ich die Hunderte Managerporträts nicht ausstehen, die sich mit ein bisschen Psychogramm, ein bisschen Strategie, ein bisschen Anekdote und einer Unmenge Wohlwollen begnügen. In Deutschland sind fast alle von der Presse gekürten ‘Manager des Jahres’ wenig später gescheitert oder Konkurs gegangen oder sogar hinter Gitter gelandet. Jahrelang durfte man farbenfrohe Porträts über solche Stars lesen – aber selten eine Recherche darüber, dass der Manager nur deshalb sein Unternehmen fusionierte, weil er dadurch das eigene Gehalt verfünffachte. Was nützt das Personalisieren, wenn der Journalist die hinter der Person stehenden Strukturen und die innerhalb dieser Strukturen wirkenden Mechanismen weder kennt noch begreift? Oft wird der Manager porträtiert, weil der Journalist unfähig wäre, das Unternehmen zu analysieren. Mangels Kompetenz klammert er sich an die Person, den Promi. Damit kommt man journalistisch immer über die Runden.”

Recherchier-Journalismus bedeutet, dass man einen Mechanismus aufzeigt, bevor er offensichtlich wird. Stattdessen erfolgt heute die grosse Analyse immer nach dem Eklat. Den Fall von Ebner hätte man bei genauem Hinsehen antizipieren können.

“Die Zahl der Journalisten, die in Sachen Ebner all die Jahre kritisch blieb, ist nicht riesengross.”


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