Herr Bundesrat, am Worldwebforum in Zürich vor zwei Monaten wurde Ihnen das «Digitale Manifest» überreicht, wonach die Schweiz die digitale Nummer eins in Europa werden soll. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Schauen wir uns die Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung an: hervorragendes Bildungssystem, kluge Köpfe, innovative und flexible Wirtschaft, inländisches Kapital. Über alle diese Elemente verfügen wir in der Schweiz. Wir haben also beste Chancen. Aber wir müssen sie nutzen. Zum Beispiel ist unsere Mentalität häufig noch etwas zu stark auf Sicherheit bedacht – wir wagen zu wenig. Und es fliesst noch nicht genügend Geld in Start-ups. Auch bei der Bildung müssen wir noch einige Schritte machen.
Aber was kann der Bund dazu beitragen? Ist er überhaupt der richtige Ansprechpartner?
Für den Erfolg ist letztlich private Initiative entscheidend: Unternehmen, die den Umstieg auf neue Wertschöpfungsketten und Produkte wagen. Mitarbeitende, die sich weiterbilden und damit die notwendigen digitalen Kompetenzen erarbeiten. Oder fin-dige Start-ups, die die Welt auf den Kopf -stellen. Der Staat ist dazu da, für diese Entfaltung die optimalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Und das heisst nicht, die Hände in den Schoss zu legen. Wir können viel beitragen. Beispielsweise im Bereich Bildung und Forschung: von der Technikförderung (MINT) bei den ganz Kleinen über die Weiterentwicklung der Berufsbildung bis zur Hochschullandschaft, der in der Grundlagen-forschung eine entscheidende Rolle zukommt. Der Bund ist also ein Ansprechpartner, aber nicht der einzige. Auch die Kantone spielen eine zentrale Rolle. Eine gute Koordination ist entscheidend.
Wo klemmt es dann momentan?
Von «klemmen» würde ich nicht sprechen. In vielen Bereichen sind die Arbeiten im Gange. Beispielsweise werden in der Berufsbildung viele Lehrgänge überarbeitet, weil sich die Berufsbilder stark verändern. Ich sehe unsere Hauptaufgabe darin, einen Schub in Gang zu setzen, zu sensibilisieren und dort Hand anzulegen, wo es unsere Zuständigkeit ist. In vielen Bereichen geht es zudem vor allem darum, nicht aus einem Reflex heraus zu regulieren und damit Chancen zu verhindern. Der Bundesrat hat deshalb in seiner Strategie «Digitale Schweiz» vom April 2016 sowie in seinem Bericht zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung seine Stossrichtung klar festgehalten. Erstens: Der digitale Wandel bietet grosse Chancen für die Schweizer Volkswirtschaft. Zweitens: Ziel ist es, ein positives Umfeld für Unternehmen zu schaffen, damit diese die Chancen der Digitalisierung bestmöglich nutzen können. Wir müssen Freiräume eröffnen und bewahren. Gleichzeitig haben wir uns auch mit den Risiken der Digitalisierung zu befassen; der rasche Wandel macht vielen Menschen Angst. Das nehmen wir ernst.
Aber ist es überhaupt Aufgabe des Bundes, einen solchen Prozess zu steuern?
Nein, steuern wollen wir nicht – und könnten es auch gar nicht: Der Bund kann unmöglich die technologische Entwicklung vorhersehen. Umso wichtiger ist es, die Regeln so offen zu gestalten, dass die Digitalisierung bei uns stattfinden kann. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Seit Uber in der Schweiz aktiv ist, gibt es Stimmen, die ein Einschreiten des Staates bis zu einem Verbot fordern. Da müssen wir sehr vorsichtig sein. Wir können den technologischen Fortschritt und den damit einhergehenden Strukturwandel nicht unterbinden. Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten stark davon profitiert: Wir haben heute mehr Jobs und mehr Wohlstand. In den letzten 25 Jahren sind 800 000 neue Stellen entstanden. Aber wir schauen genau hin, welche Spielregeln für wen gelten. Im nächsten Herbst legt mein Departement dem Bundesrat einen Bericht zum Thema Arbeitsmarkt und Digitalisierung vor.
Die Initianten empfehlen, zwei Milliarden Franken für die Forschung im Bereich der neuen Technologien zur Verfügung zu stellen. Aber ist dies wirklich die Aufgabe des Bundes?
Den Betrag selbst kommentiere ich derzeit nicht. Aber ich danke jedem, der in die gleiche Richtung zieht wie ich: Wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Der Bund finanziert ja bereits jetzt die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne. Sie spielen eine entscheidende Rolle, auch in der Digitalisierung. Für Google zum Beispiel, das im Januar die Schaffung von bis zu 3000 neuen Spitzenarbeitsplätzen in Zürich angekündigt hat, war die ETH ein massgeblicher Grund, um das grösste Forschungszentrum ausserhalb der USA in der Schweiz aufzubauen.
Was erhoffen Sie sich von einem Spitzenplatz in der digitalen Welt für unser Land und unsere Wirtschaft?
Letztlich geht es mir nur um eines: Jobs. Ich setze mich von jeher dafür ein, dass möglichst jede und jeder in unserem Land eine Perspektive hat. Das heisst zuallererst: eine Arbeit. Wenn immer mehr Bereiche der Wirtschaft von der vierten industriellen Revolution erfasst werden, ist es ganz einfach: Wer Schritt hält und ganz vorne mit dabei ist, der hat auch in Zukunft Jobs, Wohlstand, -Sicherheit. Dafür setzen wir uns ein.
Wie beurteilen Sie die Standortinitiative digitalswitzerland?
Ich begrüsse diese Initiative sehr. Wie gesagt: Nicht der Staat meistert die Herausforderungen der Digitalisierung, sondern die Unternehmen, ihre Mitarbeitenden, die ganze Gesellschaft. Deshalb ist es enorm wertvoll, wenn sich so viele wichtige Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammentun und das Thema vorantreiben.
Bedeutet die digitale Revolution nicht den Verlust vieler herkömmlicher Arbeitsplätze?
Es werden Arbeitsplätze und auch gewisse Berufe verloren gehen – aber gleichzeitig neue geschaffen. Das Erfolgsrezept ist, dass die neuen bei uns geschaffen werden. Denken Sie einige Jahrzehnte zurück: Da sassen viele Frauen und Männer an grossen Schalttafeln und stöpselten Kabel ein, um Telefongespräche zu verbinden. Oder an Fliessbändern wurden Arbeiten vorgenommen, die heute längst Roboter verrichten. Und mit dem Personal Computer verschwanden viele Tätigkeiten in der Administration. Trotz Automatisation sind heute in der Schweiz mit rund fünf Millionen mehr Personen beschäftigt als je zuvor. Und wir haben praktisch Vollbeschäftigung. Das streben wir auch in der aktuellen digitalen Transformation weiter an.
Verstehen Sie die Ängste der Bevölkerung?
Sicher, ich verstehe die Sorgen gut. Die Digitalisierung ist ein Phänomen, das schon vor Längerem begann, aber ihre Auswirkungen wurden immer offensichtlicher. Jetzt spricht die ganze Welt darüber. Und das Tempo ist hoch. Niemand weiss genau, wohin sich die Transformation entwickelt. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben, mit den Menschen über diese Entwicklung einen offenen Dialog zu führen. Und sie zu überzeugen, dass wir es ein Stück weit selbst in der Hand haben, die Chancen zu nutzen. Beispielsweise mit der geeigneten Weiterbildung.
Gibt es in Ihrem Departement Zahlen dazu, inwieweit sich die digitale Revolution auf den Arbeitsplatz Schweiz auswirken wird?
Es wäre nicht seriös, die Auswirkungen zu quantifizieren. Es gibt dafür zu viele Unbekannte. Aber im Bericht über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben unsere Ökonomen festgehalten: Es ist langfristig weniger mit einem Rückgang der Gesamt-beschäftigung als vielmehr mit einer Verlagerung der Beschäftigung in neue Bereiche zu rechnen.
Abgesehen vom «Digitalen Manifest»: Welche Massnahmen hat der Bund bereits getroffen, um den Digitalstandort Schweiz zu fördern?
Ich will betonen: Gute Wirtschaftspolitik schafft attraktive Rahmenbedingungen für alle Branchen, etwa mit einem liberalen Arbeitsmarkt und attraktivem steuerlichen Umfeld. Wir betreiben keine interventionistische Industriepolitik für einzelne Bereiche, das hat sich im Ausland nie bewährt. Der Bundesrat verabschiedete jedoch vor einem Jahr die Strategie «Digitale Schweiz». Dort sind verschiedene Handlungsfelder identifiziert, die wir nun bearbeiten. Die wirtschaftliche Auslegeordnung habe ich schon erwähnt, die wir im Januar vorstellten. Nun setzen wir verschiedene Aspekte um: Bis im Juni legt zum Beispiel das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation dem Bundesrat dar, wo wir in diesen Bereichen noch Lücken haben und handeln müssen.
Gibt es auch steuerliche Vorzüge, um neue Unternehmen anzulocken?
Die Unternehmenssteuerreform III wurde bekanntlich im Februar abgelehnt. Hier gleist das Finanzdepartement derzeit eine neue Vorlage auf. Viele Fragen fallen dann unter kantonale Hoheit. Der Kanton Zürich hat letztes Jahr die Situation für Start-ups verbessert, indem er das Problem angeht, dass Jungunternehmer auf den fiktiven Wert der Firma, die sie aufbauen und in die sie all ihr Vermögen stecken, Vermögenssteuer bezahlen müssen.
Wie nehmen Sie selbst privat die digitale Revolution wahr?
Mich faszinieren die neuen Entwicklungen. Wissen Sie, ich habe ja vor vierzig Jahren Elektrotechnik an der ETH studiert. Das waren die Anfänge der Digitalisierung. Für unsere Arbeiten durften wir jeweils in der Nacht für eine Stunde den Grossrechner benutzen. Dann hiess es also: Diese Woche darf der Schneider jeweils von vier bis fünf Uhr morgens ran. Das waren noch Zeiten (lacht). Heute beeindruckt es mich, wenn meine kleinen Enkel Smartphone und Tablet bedienen, als seien sie damit auf die Welt gekommen.
Welche Medien konsumieren Sie?
Ich lese immer noch frühmorgens gleich nach dem Aufstehen die wichtigsten Tageszeitungen. Tagsüber dann immer wieder -Onlinemedien.
Sie twittern selbst, nicht so intensiv allerdings wie der amerikanische Präsident. Aber welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Gibt es viele Reaktionen?
Ich habe einmal geflachst: Könnte ich doch nur auch wie der US-Präsident ganze Firmen «herumkommandieren». Aber im Ernst: Wir sind zurückhaltender, erhalten weniger Echo, dafür aber dann auch meistens positives.
Schreiben Sie die Tweets selbst?
Nein, das deklarieren wir auf der Internetseite des Departements auch transparent: Meistens twittert mein Kommunikationsdienst für mich. Persönlichere Tweets bespreche ich mit meinen Mitarbeitern, die dann schreiben und publizieren. Ich tippe also nicht selbst in den frühen Morgenstunden, wie das Präsident Trump wohl immer noch tut (schmunzelt).
Sie haben kürzlich mit dem amerikanischen Präsidenten telefoniert. Haben Sie ihn auf seine Tweets angesprochen?
Nein, das war kein Thema. Als wir telefonierten, war er ja auch erst gewählt, aber noch nicht im Amt.
Ihre Rede zum Tag der Kranken wurde nicht zuletzt der sozialen Medien wegen welt-berühmt. Nachträglich gesehen, fühlen Sie sich nun als Opfer oder als Star der neuen Medien?
In den ersten Tagen fühlte ich mich schon ziemlich ausgeliefert. Das ist ein unangenehmes Gefühl. Insgesamt habe ich wohl erstaunlicherweise eher davon profitiert. Präsident Obama empfing mich im Weissen Haus ja mit den Worten: «I know you.» Diese Geschichte erzähle ich ab und zu auch in meinen Reden. Sie bringt die Menschen zum Lachen. Und darum geht es ja: Rire, c’est bon pour la santé!
Welche Internetseite ist Ihr absoluter Favorit?
Eine Nachrichtenseite, die ich natürlich nicht beim Namen nennen kann.
Welchen Aufwand betreiben Sie, um die Internetseite Ihres Departements à jour zu halten?
Meine Equipe engagiert sich sehr. Aber die Ressourcen sind begrenzt. Das Wichtigste muss zu finden sein.