Frei Matter Galbucci, Matter Leo Burnett, Benker Steiner Matter, Matter & Partner, Matter + Gretener: Herr Matter, wie viele Partner hatten Sie eigentlich in den letzten 25 Jahren?
Nur einen: Marcus Gretener (lacht). Ganz gleich, wie die Agentur jeweils hiess: Unsere Kampagnen haben etwas bewegt und unsere Kunden etwas erreicht. Mit Marcus Gretener, der nun seit zwölf Jahren dabei ist, habe ich den richtigen Gegenpart gefunden. Marcus ist eher rational, ich eher intuitiv. Der Kopf unserer Agentur besteht also aus einer linken und einer rechten Hirnhälfte. Das passt (lacht).
Die erste Lebenshälfte Ihrer Agentur war bewegt.
Ich gebe Ihnen recht. Aber schon damals gab es eine Konstante, nämlich unsere Agenturphilosophie: Warum Geld für Kommunikation ausgeben, wenn man nichts damit bewirken kann? Die Herausforderung besteht darin, dass man ein Problem lösen muss. Wenn das gelingt, stellt dies ein Erfolgserlebnis und eine grosse Befriedigung dar, vergleichbar mit einer sportlichen Leistung.
Nach aussen hat man Sie als Stehaufmännchen wahrgenommen.
Das muss man ja auch irgendwie sein, wenn man 25 Jahre lang im Markt bestehen will.
Erzählen Sie doch einmal der Reihe nach.
Zuerst war ich mit Mäni Frei und Silvio Galbucci zusammen, die ich von Wirz her kannte. Als sich Ersterer nach Schaffhausen zurückzog, um eine eigene Agentur zu gründen, standen Silvio Galbucci und ich mit vier Mitarbeitern da, aber ohne Kunden. Wir suchten den Kontakt zu Leo Burnett und wurden deren Schweizer Korrespondenzagentur. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir uns Anzüge kauften, nach Chicago flogen und an deren Hauptsitz, dem legendären Hochhaus am 35 West Wacker Drive, empfangen wurden. Wir hatten zwei Stunden Zeit, um unser Vorhaben zu präsentieren. Am Ende klappte es, und wir wurden die Schweizer Leo-Burnett-Agentur.
Und dann wuchs die Agentur?
Für die Agentur bedeutete die Zusammen-arbeit mit Leo Burnett einen enormen Wachstumsschub. Plötzlich hatten wir 32 Mit-
arbeiter und erzielten einen jährlichen Umsatz von sechs Millionen Franken. Wir führten Red Bull und Nespresso im Schweizer Markt ein und betreuten das Budget von McDonald’s; das Unternehmen wuchs in jener Zeit von dreissig auf über hundert Restaurants an. Aber schon damals waren wir keine klassische Werbeagentur und suchten immer nach neuen Kommunikationslösungen. Dieses Prinzip ist unser Erfolgsgeheimnis.
Warum haben Sie mit Leo Burnett nicht weitergemacht?
Nicht wie später bei Spillmann / Felser / Leo Burnett wollte das Netzwerk bei uns den Ton angeben. Zudem rutschte ich immer mehr in die Rolle des Administrators, der sich zunehmend mit Forecasts beschäftigte. Die kreative Tätigkeit fehlte mir. Trotz grosser Anerkennung und viel Freiheit seitens Leo Burnett fühlte ich mich eingeengt. Ich wollte wieder mein eigener Herr und Meister sein. Also schloss ich mich mit Peter Steiner und Michel Benker zusammen. Die Agentur hiess damals Benker, Steiner. Ich kaufte die Aktien von Peter Steiner, der auszog. Kurz danach ging auch überraschend Michel Benker, sodass ich zusätzlich seine Anteile erwerben musste. Damals fand ich mit meinem ehemaligen Arbeitgeber Wirz einen Minderheitsaktionär. Die Agentur wuchs auf fünfzehn Mitarbeitende, der Umsatz von 1,3 auf 3,8 Millionen Franken, und wir landeten während acht Jahren regelmässig unter den Top Ten der Kreativagenturen. Wirz trat uns beispielsweise Chrysler ab, weil sie bereits andere Autobudgets betreuten. Doch irgendwann war dies auch zu Ende, da Wirz die Werbung für Chrysler selber machen wollte. Das war eine schwierige Phase. Wir verloren – Murphy’s Law – gleich auch noch weitere wichtige Budgets. Damals hatte ich einen Beratungsleiter, der – statt auf die Bremse zu drücken – eine Offensivstrategie wählte. Doch dies war das Falscheste, was man in dieser Situation machen konnte. Ich musste die Vollbremse ziehen, um die Agentur wieder auf Kurs zu bringen. In dieser Situation brauchte ich jemanden, der fähig war und auf den ich zählen konnte – und fand Marcus Gretener.
Herr Gretener, wie sind Sie 2005 zur Agentur gestossen?
Der Weg dorthin führte zuerst über verschiedene kleinere Agenturen. Obwohl ich nie bei einer Grossagentur arbeiten wollte, wechselte ich dann doch zu Advico, wo ich vier sensationelle Jahre verbrachte. Einer der Höhepunkte war die «Ferienstopp»-Kampagne für Helvetic Tours, mit der wir Gold beim Effie und beim ADC gewannen. Nach einem Intermezzo bei Lowe hatte ich das Glück, dass mich Markus Ruf und Danielle Lanz als Geschäftsführer Beratung engagierten. In den drei Jahren, die ich dort war, wurde Ruf Lanz aus einem Hot Shop zu einer der Top-Kreativagenturen der Schweiz. Der Zufall wollte es, dass Daniel Matter 2005 Markus Ruf fragte, ob er einen Berater kenne, der bei ihm einsteigen möchte. Damit war der Moment gekommen, in dem ich das Planschbecken des Angestelltenlebens verliess und ins offene Meer hinausschwamm.
Herr Matter, wie war das bei Ihnen? Hatten auch Sie schon immer den Wunsch nach beruflicher Selbstständigkeit?
Ich war zuerst mehrere Jahre bei grossen Agenturen. Natürlich hätte ich mir auch eine Karriere als Executive Creative Director bei einem internationalen Laden vorstellen können – und ich hätte bestimmt auch die Voraussetzungen dafür mitgebracht. Doch was mir dort nicht gefiel, waren die oft langen Entscheidungswege und dass es um Politik ging. Ich wollte selber entscheiden können und mich primär auf die Aufgabenstellung der Kunden konzentrieren. Also habe ich eine eigene Agentur gegründet.
Wie ist die Aufteilung zwischen Ihnen?
Marcus Gretener: Wir haben eine 50:50-Partnerschaft. Die Beratung liegt in meiner Verantwortung, diejenige für die Kreation in Daniel Matters. Wir sind uns bewusst, dass eine gleichberechtigte Partnerschaft auch Risiken birgt. Gerade dies zwingt uns aber, Lösungen zu finden, die für beide stimmen. Die Erfahrung zeigt, dass das auch im Interesse unserer Kunden ist. Weil wir immer erst gründlich miteinander diskutieren, haben unsere Strategien und Ideen Hand und Fuss.
Welches sind im Moment Ihre grössten Kunden?
Saas-Fee, Motorex und die Rega. Wir arbeiten aber auch für Brands wie den Zoo Zürich, den Immobilienfonds Swissinvest, den Vermögensverwalter Sound Capital, das Weingut Herdade da Cardeira, den Turn-event Swiss Cup Zürich oder den Zürcher Anwaltsverband – und momentan gerade sehr intensiv für zwei Neukunden, die nicht einfach eine nette Kampagne brauchen, sondern einen echten Wettbewerbsvorteil.
Sie haben im In- und Ausland mehr als 170 Kreativpreise gewonnen. Heute reicht Matter + Gretener bei Kreativwettbewerben nichts mehr ein. Haben Sie keine Ideen mehr?
Daniel Matter: Es stimmt, dass wir im Kreativranking lange Jahre stets in den Top Five waren. Unsere Positionierung ist heute aber nicht mehr die einer Kreativagentur. Ich fasse den Begriff Kreativität inzwischen weiter und verstehe Matter + Gretener als Unternehmensberatung für Kommunikation.
Das klingt langweilig.
Marcus Gretener: Es mag langweilig klingen, hat aber letzten November eine Branche in den Grundfesten erschüttert: Mit Einnahmen von über zwanzig Millionen Franken war das Crowdfunding für die Saisonkarte von Saas-Fee das erfolgreichste Europas. In nur fünf Wochen wurden über neunzigtausend Saisonkarten verkauft. Das Projekt war nicht nur ein einzigartiger Erfolg, es zeigte auch perfekt unsere Agenturphilosophie.
Ihre Agenturphilosophie?
Wir werden nicht erst dann kreativ, wenn es darum geht, mit den richtigen Ideen die richtigen Kommunikationskanäle zu bespielen. Wir stehen unseren Kunden schon viel früher zur Seite – mit umfassendem Marketing-Know-how, das sie von der Produktentwicklung über das Pricing bis hin zum Shopkonzept unterstützt.
Ein Thema, das sich Ihre Agentur auf die Fahnen schreibt, ist Behavioral Economics. Wozu soll das gut sein?
Daniel Matter: Wir fanden es schon lange klug, uns eingehend mit Verhaltensökonomie zu beschäftigen. Denn diese untersucht systematisch, wie Menschen Entscheidungen treffen. Indem wir Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie in unsere Arbeit einfliessen lassen, können unsere Kunden ihre Kommunikationsziele schneller und effizienter erreichen, da Entscheidungen zu ihren Gunsten ausfallen.
Wie hat Ihre Agentur eigentlich die digitale Revolution erlebt?
Marcus Gretener: Die Digitalisierung ist zweifellos eine grosse Herausforderung. Gerade die -sozialen Medien sind heute für die erfolg-reiche Umsetzung einer Kampagne uner-lässlich. Gleichzeitig haben wir aber die Erfahrung gemacht, dass bei den reinen Digitalagenturen die tragende Idee und die Markenführung oft auf der Strecke bleiben. Genau hier kommen wir ins Spiel. Unser Fokus richtet sich auf die Strategie einer Kampagne und erst danach auf ihre Umsetzung.
Daniel Matter: Besonders interessant finde ich, dass die erfolgreichsten Kampagnen -Online und Offline kombinieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Anzeige «Schmiert legal seit 1917», die wir für unseren Kunden -Motorex entwickelt haben. Sie wurde Ende Mai 2015 im Blick geschaltet und nutzte die Berichterstattung über die Verhaftung zahlreicher Fifa-Funktionäre zur Bewerbung von Motorex. Danach sorgten wir über geschicktes Social-Media-Seeding dafür, dass nicht nur die Blick-Leser über die Pointe schmunzelten, sondern noch 45 Millionen Menschen mehr, in ganz Europa – die un-zähligen Lacher während der Kaffeepause im Büro nicht mitgezählt.
Hat sich in den letzten 25 Jahren das -Verhältnis zwischen Auftraggebern und Agenturen massgeblich verändert?
Marcus Gretener: Eigentlich nicht. Wenn man auf der anderen Seite einen Ansprechpartner hat, der einer Agentur vertraut und sich auch beraten lässt, ist das Rollenspiel unverändert. Allerdings basiert Erfolg immer darauf, dass die Berater die Mechanismen und das Zusammenspiel von Marketing und Werbung verstehen. Wenn Sie unsere Geschichte anschauen, kann man dies kaum bestreiten.
Daniel Matter: Früher entschied oft der Chef, und das eher intuitiv, heute meist die Marketingabteilung, und das eher kopflastig. Darum braucht es mehr denn je Agenturen, die strategisch denken und unternehmerisch beraten. Marcus Gretener und ich haben zusammen fast sechzig Jahre Werbeerfahrung. Das hilft, die Wirkung einer Kampagne abzuschätzen und zu wissen, was funktioniert und was nicht.
Herr Matter, Hand aufs Herz: Sie sind jetzt seit 35 Jahren dabei. Macht Ihnen Ihr Job immer noch Spass? Früher war doch alles besser, oder?
Ich finde Kommunikation, und diese umfasst heute ein sehr viel breiteres Spektrum, tatsächlich immer noch spannend. Noch immer besteht die Herausforderung darin, dass man seine kreativen Fähigkeiten und seine Erfahrung dazu nutzt, die Probleme der Auftraggeber zu lösen. Diese Herausforderung nehme ich auch in Zukunft gerne an.