Früher, als Sie noch bei der Nationalbank waren, schienen Sie europafreundlicher zu sein als heute. Täuscht dieser Eindruck?
Dieser Eindruck täuscht. Ich war immer dezidiert der Meinung, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union sei für die Schweiz heute nicht notwendig. Aber ich habe immer dafür plädiert, und tue das auch heute, dass wir konsequent den bilateralen Weg gehen. Ich glaube auch nicht, dass die EU an Attraktivität eingebüsst hat. Ein solches Projekt unterliegt Schwankungen, und gegenwärtig befindet es sich in einem Tief. Das ist normal. Aber es wäre naiv, wenn man sich davon erschüttern liesse.
Welches wären die Nachteile, wenn die Schweiz sich noch mehr in Richtung EU bewegen würde?
Die Schweiz wäre Nettozahler und hätte damit offensichtlich finanzielle Nachteile. Zum Zweiten passt mir die Art und Weise der politischen Entscheidungsfindung in der EU nicht. Die Grossen ziehen die Fäden und setzen sich letztlich immer durch. Das bietet nicht den politischen Rahmen, in dem ein multikulturelles, ausbalanciertes Land wie die Schweiz eine stabile politische Heimat finden könnte.
Offensichtlich passt das den anderen Ländern auch nicht, sonst hätte die EU jetzt keine Verfassungskrise. Bestärkt das die Grundhaltung der Schweiz?
Für gewisse Leute mag das so sein. Ich bezweifle aber, dass eine ernsthafte Krise der EU uns dienen könnte. Wir sind sehr eng mit der EU verknüpft. Es mag sein, dass sich die politischen Strukturen in Europa als Folge dieser Erschütterungen ein wenig anpassen werden, dass sie ein wenig dezentraler werden, dass das Gewicht der kleineren Länder ein wenig zunimmt. Das könnte die EU für die Schweiz attraktiver machen. Ein ernsthafter Schaden an den europäischen Institutionen wäre für uns aber kein Vorteil. Schadenfreude wäre die absolut falsche Reaktion.
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