Herr Kühnen, was muss man sich eigentlich unter Unilever vorstellen?
Unilever ist ein britisch-niederländischer Konsumgüterkonzern mit weltweit 173 000 Mitarbeitern. Rund 1400 davon arbeiten in der Schweiz, etwa 500 am Schweizer Hauptsitz mit dem Knorr-Werk in Thayngen. Unsere bekanntesten Lebensmittelmarken in der Schweiz sind Knorr, Lusso oder Chirat, gleichzeitig stellen wir mit Omo oder Coral aber auch Haushalts- beziehungsweise mit Axe, Dove oder Rexona Körperpflegemarken her. Insgesamt haben wir hierzulande rund dreissig Marken im Portfolio.
Trotzdem stellt Unilever für die meisten Konsumenten einen relativ abstrakten Begriff dar.
Zweifelsohne. Gerade mit unserem Engagement für eine nachhaltige Lebensweise versuchen wir seit einigen Jahren die Unternehmensmarke Unilever mit Leben zu füllen und so auch für die Konsumenten besser greifbar zu machen. Unser Ziel ist es, den Konzernumsatz zu verdoppeln und gleichzeitig die Belastungen für die Umwelt zu halbieren sowie den gesellschaftlichen Nutzen zu vergrössern.
Das tönt sehr ambitiös.
Das ist es auch, keine Frage. Besonders unsere Nachhaltigkeitsziele sind ambitioniert. Wir zählen auf diesem Gebiet weltweit zu einem der Pioniere. Diese Vorgabe wird in jeder Länderniederlassung und von allen Marken praktiziert, so auch bei uns in der Schweiz. Während der letzten zehn Jahre konnten wir die CO2-Belastung an unserem Standort in Thayngen halbieren. Wir verwenden nur noch «grünen Strom» an allen unseren Standorten hierzulande. Damit wollen wir den Beweis antreten, dass Unilever nicht einen abstrakten Konzern darstellt, sondern auch Sorge zur Umwelt trägt. Aus den Reaktionen der Konsumenten, aber auch bei unseren Handelspartnern sowie bei Behörden oder NGOs merken wir, dass das Thema Nachhaltigkeit verstärkt mit Unilever gleichgesetzt wird. Viele Firmen haben sich Nachhaltigkeit auf ihre Fahne geschrieben. Seit vierzehn Jahren ist Unilever indes im tonangebenden Dow-Jones-Sustainability-Index auf dem ersten Platz. Es war für uns eine grosse Freude, als wir im letzten Jahr mit dem Naturapreis von Coop als nachhaltigster Markenlieferant gerade auch für unsere Anstrengungen hier in der Schweiz ausgezeichnet wurden. Wir wollen uns bei diesem Thema weniger von unseren Mitbewerbern differenzieren als vielmehr Vorreiter einer globalen Bewegung sein. Deswegen freuen wir uns auch, wenn sich zunehmend andere Unternehmen für einen nachhaltigen Lebensstil starkmachen.
Die Energiewende ist seit Fukushima auch in der Schweiz ein grosses Thema. Hat Unilever hier eine politische Botschaft?
Ich möchte mich zu diesem Thema nicht politisch äussern, glaube aber, dass Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft ein eminent wichtiges Thema darstellt. Würde man den Ressourcenverbrauch, den jeder Einzelne in der Schweiz benötigt, auf die Gesamtbevölkerung der ganzen Erde übertragen, bräuchte man drei Planeten, um die Ressourcen zu erwirtschaften.
Wie «leben» Sie diese Nachhaltigkeit in Thayngen?
Indem wir auch hier die ökologischen, sozialen, aber auch die wirtschaftlichen Aspekte von Nachhaltigkeit berücksichtigen. So stammt der gesamte Strom, den wir verwenden, vom Wasserkraftwerk am Rheinfall. Gleichzeitig haben wir den Abfall, der in unseren Industrieanlagen entstand, massiv reduziert und sparen so auch Kosten. Der Anteil der Rohstoffe, die wir aus nachhaltigem Anbau beziehen, hat sich in den letzten Jahren verdreifacht und liegt bereits bei 36 Prozent. Um die Transformation hin zu einem verantwortungsvollen Geschäftsmodell breit voranzutreiben, arbeiten wir gerade auch intern sehr intensiv am Thema. So erhalten Mitarbeitende bis zu 3500 Franken Fördergelder, wenn sie sich in ihrer Freizeit bei Umwelt- oder sozialen Projekten engagieren. Sie sehen, wir versuchen unsere Vision täglich zu leben.
Wie autonom sind die einzelnen Ländergesellschaften vom internationalen Headquarter in London und Rotterdam?
Das ist von Land zu Land verschieden. Unsere Ländergesellschaft verfügt über einen vergleichsweise hohen Grad an Autonomie. Die Gründe finden sich im Schweizer Markt. Dieser unterscheidet sich komplett vom europäischen. Einerseits ist die Schweiz nicht Mitglied der EU, zum andern verfügt sie über eine eigene Währung sowie eine sehr spezifische Handelsstruktur.
Wie äussert sich dies bei den Produkten?
Knorr ist eine internationale Marke. Das Schweizer Portfolio hingegen unterscheidet sich von demjenigen, welches wir in andern Ländern anbieten. Unsere Knorr-Produkte werden seit über hundert Jahren grösstenteils im Knorr-Werk Thayngen eigens für die Schweiz produziert und sind auch nur hier erhältlich. Verkörpert wird dies durch den «Knorrli», den wahren Helden der Schweiz. Ich leite nun seit einem Jahr die Niederlassung in Thayngen und habe während dieser Zeit den Knorrli schätzen und lieben gelernt, da er unsere Werte und Vorstellungen in Bezug auf Qualität und kulinarische Expertise hervorragend verkörpert. Entsprechend wird Knorrli als unser Markenbotschafter künftig noch an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig führen wir Marken wie Chirat, die es nur in der Schweiz gibt. Daneben umfasst unser Portfolio aber auch Brands, die in Europa weitgehend harmonisiert sind, weil wir etwa mit Deos oder Waschmitteln vergleichbare Konsumentenbedürfnisse erfüllen.
Ihr Standort befindet sich nur wenige hundert Meter von der EU-Grenze entfernt. Ist dies für Sie ein Nachteil?
Es ist weder Vor- noch Nachteil. Die Schweiz hat in den letzten zwanzig Jahren bewiesen, dass sie als unabhängiger Staat extrem erfolgreich ist und neben Norwegen die erfolgreichste Volkswirtschaft Europas darstellt.
Und die Randlage am äussersten Zipfel der Schweiz?
(Lacht.) Ich komme aus Deutschland, da sind die Destinationen viel weiter auseinander. In einer Stunde bin ich von Thayngen aus in Zürich, in zwei Stunden in Bern. Mit den Schaffhauser Behörden und der Bevölkerung in der Region pflegen wir einen hervorragenden Austausch.
Aber das Preisniveau ist hier viel höher als in der EU?
Ich kenne diese Diskussionen. Gleichzeitig unterscheiden sich die Strukturen in der Schweiz auch komplett von denjenigen in Europa. Gerade an der Grenze werden einem die vielfältigen Unterschiede immer wieder vor Augen geführt, das Lohn- und Preisniveau inklusive.
Die Schweiz hat auch noch eine weitere Eigenheit: So wird der ganze Detailhandel durch die beiden grossen Player Migros und Coop geprägt. Was bedeutet für Sie dieses Duopol?
Unser grösster Handelspartner ist Coop, wobei wir auch bei der Migros mit einigen Produkten vertreten sind. Daneben arbeiten wir auch sehr eng mit anderen, wie etwa Denner, zusammen. Ursprünglich habe ich mir dieses Duopol viel aggressiver vorgestellt, doch ich durfte mich eines Besseren belehren lassen. Bis jetzt empfand ich die Diskussionen im Schweizer Detailhandel als sehr sachlich und konstruktiv. Natürlich wird auch hier hart verhandelt, doch man verstrickt sich nicht in sinnlose Grabenkämpfe, wie dies in Deutschland öfters der Fall ist, sondern man sucht nach gemeinsamen Lösungsmöglichkeiten. Diese Haltung kommt allen entgegen. Wenn man eine Marke positionieren will, bringt der ständige Konflikt über Details überhaupt nichts. Dieses Ziel erreichen Sie nur, wenn auch der Handelspartner einen Mehrwert erkennt und entsprechend unterstützend agiert. Diesbezüglich habe ich in der Schweiz nur gute Erfahrungen gemacht.
Mit wie vielen Produkten sind Sie bei der Migros vertreten?
Bei der Migros sind wir mit einzelnen Körperpflegemarken sowie Produkten von Knorr vertreten. Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen die Migros ihre Eigenmarken bevorzugt, die sie auch selbst herstellt.
Haben Sie nicht Angst, dass Sie dabei kopiert werden?
Selbstverständlich sehen wir immer wieder, dass Product-Insights, die wir in aufwendigen Forschungsmassnahmen erarbeitet haben, kopiert werden. Solange sich dies rechtlich im grünen Bereich bewegt, können wir damit leben.
Wie lancieren Sie ein neues Produkt?
Eine erfolgreiche Produktelancierung funktioniert nur, wenn man den Konsumenten in den Mittelpunkt seiner Bemühungen stellt. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt. Alleine die Tatsache, dass jemand im Techniklabor ein neues Produkt entwickelt hat, garantiert überhaupt keinen Erfolg. Auch die Vorstellung, wonach man mit teuren Marketingmassnahmen ein Produkt in den Markt hineindrücken kann, ist illusorisch. Erfolgreich ist man nur, wenn man im Vorfeld viel Zeit und Geld in aufwendige Marktforschung investiert und sich dabei die Frage stellt, warum der Konsument an einem Produkt oder einer Marke interessiert sein könnte.
Erkennen Sie bei den Konsumenten neue Trends?
Unsere Märkte sind weitgehend stabil. Doch es gibt immer wieder Überraschungen: Bei den Knorr-Produkten gewinnt das Thema «Inspiration» aktuell deutlich an Relevanz. Ein sehr schönes Beispiel, wie wir Trends aufgreifen können, stellt der traditionelle Bereich Bouillons dar. Durch die zusätzliche Lancierung einer Innovation, die mehr Convenience bei besserer Qualität bringt, als die herkömmlichen Bouillonwürfel aufweisen, erreichen wir ein vollkommen neues Publikum, ohne das alte zu vergraulen. Mit der pastenartigen Bouillon-Töpfli-Palette ist es uns gelungen, die Wertigkeit der ganzen Kategorie zu erhöhen und in einem tradierten Markt für eine Belebung zu sorgen. Dies kommt wiederum dem Konsumenten und dem Handel zugute. Im Gegensatz zu Deutschland zeichnen sich die Konsumenten in der Schweiz durch eine grössere Bereitschaft aus, für Qualitätsprodukte einen entsprechenden Preis zu bezahlen.
Die Marke Knorr existiert seit 1838.Besteht dabei nicht die Gefahr, dass sie Patina ansetzt?
Diese Gefahr besteht zweifelsohne, wenn man die Marke nicht kontinuierlich relevant und aktuell hält. Unterlässt man dies, so besteht die Gefahr, dass man mit seiner Zielgruppe altert. Um solche Botschaften zu verkünden, eignet sich der Knorrli, der vor 65 Jahren von Hans Tomamichel als Werbefigur kreiert wurde, bestens. Es überrascht mich wirklich, welche Begeisterung der Knorrli auch heute noch auslöst. Und dies nicht nur bei Kindern.
Wie setzen Sie den Knorrli ein?
Knorrli ist auf unseren Produkten von Knorr sowie an den Verkaufspunkten präsent. Er tritt aber auch in TV-Spots auf oder verteilt etwa beim Osterstau vor dem Gotthardtunnel Eier und Aromat im Miniformat. Wenn Sie so wollen, verkörpert Knorrli gelebte Swissness.
Apropos Swissness: Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Die neue Swissness-Gesetzgebung zielt bei stark verarbeiteten Lebensmitteln nicht nur an unseren Vorstellungen vorbei, da sie sehr restriktiv ist. Trotzdem werden wir uns bei deren Umsetzung nicht verweigern und beschäftigen uns momentan mit der Frage, was dies für unsere Traditionsmarke Knorr bedeutet. Wenn achtzig Prozent der Ingredienzien, also der Zutaten, aus der Schweiz stammen müssen, um den Swissness-Vorgaben gerecht zu werden, bedeutet dies für einen Lebensmittelhersteller allerdings eine enorme Herausforderung. Alleine unsere Knorr-Minestrone besteht aus 23 verschiedenen Zutaten. Wir klären momentan ab, ob wir diese in der fraglichen Menge und Qualität überhaupt aus der Schweiz beziehen können. Darin besteht auch die Paradoxie des neuen Gesetzes: Swissness will einerseits hochwertige Qualität garantieren, gleichzeitig torpediert die Vorschrift diese Ansprüche, da bei uns der benötigte Rohstoff gar nicht in diesen Mengen vorhanden ist. Insgesamt verarbeiten wir in Thayngen über 900 Rohstoffe.
Niemand ist mit diesem Gesetz richtig zufrieden. Haben die Interessenverbände falsch lobbyiert?
Das kann ich nicht sagen. Jedenfalls ist dieses Gesetz nicht erst vor drei Wochen entstanden, sondern wurde während längerer Zeit diskutiert. Unilever Schweiz hat seinen Standpunkt schon sehr früh dargelegt. Es war aber immer klar, dass unsere eher technischen Argumente gegen die plakativen Argumente einer «heilen Schweiz» der Agrarlobby einen schweren Stand haben werden. Doch jetzt ist die Umsetzung des Gesetzes verabschiedet, und wir müssen schauen, wie wir das Beste daraus machen. Wir sind zwar nicht glücklich, doch Jammern bringt überhaupt nichts.
Welche Interessenverbände sind für Sie wichtig?
Die verschiedenen Branchenverbände, aber auch Economiesuisse. Am wichtigsten sind für uns aber die Promarca, der Schweizer Markenartikelverband, der Schweizerische Kosmetik- und Waschmittelverband SKW sowie der Lebensmittelverband FIAL. Unilever ist auch einer der wichtigsten Auftraggeber der Schweiz.
Wie viel Geld geben Sie jährlich für Werbung aus?
Wir investieren hierzulande jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in unsere Marken und zählen zu den Top zehn der Schweizer Werbeauftraggeber.
Wie investieren Sie Ihre Werbeausgaben?
Da wir ein breites Portfolio und unterschiedlichste Zielgruppen haben, investieren wir auch in verschiedenen Medien. Traditionelle Produkte wie Knorr bewerben wir schwerpunktmässig immer noch in den klassischen Medien. Anders sieht es beispielsweise bei Axe aus, wo wir eine jüngere Zielgruppe anvisieren. Vor einigen Jahren hätten noch ein TV-Spot und ein paar Anzeigen genügt, um Axe zu bewerben. Heute müssen wir medienübergreifend mit der Community im Austausch stehen und via soziale Medien wie Facebook mit der Zielgruppe kommunizieren. Wir produzieren dafür sehr viel Content inklusive Aktionen und Wettbewerbe. Zusammen mit unseren Mediaagenturen betreiben wir gleichzeitig sehr viel Marktforschung und stellen auf diese Weise die Werbewirksamkeit unserer Investments sicher.
Hat die TV-Werbung bei den Jungen ausgespielt?
Nein, überhaupt nicht. Obwohl ein klarer Trend vom Fernsehen hin zu den Onlinemedien nicht zu übersehen ist. Wir halten aber immer noch an der TV-Werbung fest, auch weil wir in diesem Bereich über ganz klare Zahlen und Resultate verfügen. Anders bei Online: Es ist doch erstaunlich, dass es auch nach einem Jahrzehnt Internetwerbung immer noch wenig verlässliche Daten zur Werbewirksamkeit gibt. Wir haben in den Anfängen sehr viel Lehrgeld bezahlen müssen, indem wir in unüberschaubare Internetprojekte investiert haben. Onlinewerbung ergibt nur dann Sinn, wenn man genau weiss, wen man mit seiner Werbung erreichen will, und dies auch mit Forschung begleitet.
Welche Rolle spielt Print?
Wir glauben aufgrund unserer Marktforschung, dass die audiovisuelle Kommunikation auf Kosten der Printwerbung weiter zulegen wird. Print wird an Bedeutung verlieren, aber nicht so stark, wie es in der jüngsten Vergangenheit den Anschein machen konnte.