Herr Lombardi, als Ständeratspräsident haben Sie bald die Hälfte Ihrer Amtszeit hinter sich. Zeit für eine erste Bilanz.
Alles ist vergänglich. Aber es ist eine tolle und einzigartige Erfahrung! Beim Ständerat handelt es sich um den exklusivsten und bestqualifizierten Private Club der Schweiz, der lediglich 46 Mitglieder hat.
Und wie ist es, ihn zu führen?
Nicht unbedingt einfach. Die Erwartungen der Kollegen sind verständlicherweise hoch. Wenn man aber die notwendige Leidenschaft mitbringt, ist es kein Problem. Der Ständerat ist im Gegensatz zum Nationalrat viel disziplinierter.
Schade ist nur, dass die Ständeräte nicht zählen können.
Diese Behauptung ist falsch. Unsere Stimmenzähler hatten nur einmal ein vermutliches Problem mit einer nicht gezählten Stimme (was aber nicht bewiesen werden konnte) und machten bei der Wiederholung der Abstimmung einen nachweisbaren Fehler bei der Summe der zwei Hälften des Saals. Mehr nicht, aber das wurde von einzelnen Medien sofort hochgeschaukelt, weil sie Druck für die Einführung der elektronischen Stimmabgabe machen wollten. Ich fand die Berichterstattung über die angebliche «Dunkelkammer Ständerat» ungerecht, weil damit unsere seriöse Arbeitsweise infrage gestellt wurde. Dies sind aber Tempi passati. Man hat mir jetzt einen Zählrahmen mit genau 46 Kugeln geschenkt, welcher nach den einzelnen Parteien aufgeteilt ist und die Zählerei wesentlich vereinfachen soll (lacht).
Aber Sie kennen als Medienunternehmer und Journalist die Mechanismen der Medien.
Ja, gerade deswegen ärgere ich mich. Nach meiner Meinung müssen auch die Medien gewisse ethische Grundsätze einhalten, nicht nur die Politiker. Doch dies ist leider nicht immer der Fall. Gerade in Bern werden Ereignisse so gedreht und hochstilisiert, dass sie längst nicht mehr der Substanz der Sachen entsprechen, was für unsere Demokratie schädlich wird. Damit habe ich manchmal Mühe, aber ich habe gelernt, es zu ertragen.
Als Ständerat sind Sie karrieremässig auf dem Höhepunkt angekommen.
(Lacht.) Vielleicht wird das Amt des Papstes bald wieder frei.
Bei einer Volkswahl des Bundesrates hätten Sie die Möglichkeit, in die Regierung gewählt zu werden. Jetzt wäre es eher schwierig.
Diese Theorie hat mir eben Christoph Blocher in einer Debatte über die Volkswahl erklärt. Nach seiner Ansicht würde ich problemlos gewählt, weil ich populär und in der ganzen Schweiz bekannt bin. Trotzdem behaupte ich, dass die Volkswahl des Bundesrates keine gute Lösung ist. Die Schweiz wird besser regiert als die meisten Länder der Welt, das heutige System hat sich während der letzten 165 Jahre bestens bewährt und sollte jetzt nicht plötzlich verändert werden.
Sie haben nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Wer sind diese?
Nur ein Genie, ein Heiliger oder aber ein Wischiwaschi-Politiker kann überall beliebt sein. Ich bin weder das eine noch das andere. Steht man in dieser Zwischenposition, wird man angreifbar, weil man menschlich ist, weil man sich mit Herzblut einsetzt und immer Stellung beziehen will und damit unvermeidbar auch Fehler macht.
Sie weichen aus.
Wenn Sie die Zeitungen genau lesen, erkennen Sie meine Kritiker.
Aber im Tessin scheinen Sie keine Gegner zu haben. Dort werden Sie wie ein Popstar gefeiert.
(Lacht.) Nein, nein, so extrem ist es auch nicht. Lediglich die Hälfte der Tessiner hat bei den letzten Wahlen für mich gestimmt. Es bleibt also noch ein Wachstumspotenzial von etwa hundert Prozent! Trotzdem – und das sage ich nicht ohne Stolz – bin ich der bestgewählte Tessiner Parlamentarier der letzten Jahrzehnte.
Sie sind aber auch der grösste Medienunternehmer des Tessins, der an einer Fernsehstation, einem Radiosender, einer Internetplattform und einer Tageszeitung mitbeteiligt ist. Wie lebt man als «Berlusconi des Tessins»?
Ich ärgere mich allmählich über dieses Attribut, das nur noch von schlecht informierten Leuten weiterverbreitet wird. Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich die Berlusconi-Methode nie angewendet habe, da ich immer wusste, welchen Hut ich gerade trage. Zum Beispiel: Als Tessiner Ständerat vertrete ich die Interessen meines Heimatkantons in Bern, aber als Schweizer Politiker muss ich für das Gemeinwohl der ganzen Schweiz kämpfen. Als Parteimann nehme ich die Interessen meiner Partei wahr, als Präsident von Ambri-Piotta habe ich die Anliegen meines Eishockeyclubs im Auge und so weiter.
Und selbstverständlich, als Medienunternehmer stehe ich für meine Medien gerade. Sie für irgendwelche andere Zwecke – seien es politische oder sportliche oder andere – zu missbrauchen, wäre für sie tödlich! Ich habe es nie getan, deswegen konnten sie sich entwickeln trotz harten Wettbewerbs. Meine Journalisten schätzen es seit bald 26 Jahren, dass ich mich nie nach ihrem Parteibuch erkundigt und ihnen die Linie auch nie diktiert habe.
Wie muss man sich Ihr Medienimperium vorstellen?
Imperium ist doch übertrieben. Wir entsprechen eher einem kleinen Fürstentum wie Liechtenstein. Ich präsidiere die Holding Timedia, welche vom Corriere del Ticino als Mehrheitsaktionär, der ComEc SA (einer Gesellschaft der Tessiner Diözese) und meiner Familie gehalten wird. Wir betreiben unter anderem das Regionalfernsehen Teleticino, das Lokalradio 3i, das Internetportal Ticinonews sowie das Giornale del Popolo und ein paar Servicegesellschaften. Durch Synergien versuchen wir in unseren Betrieben die Kosten zu senken, um in den Zeiten des massiven Werberückgangs auch weiterhin überleben und gute Inhalte anbieten zu können.
Wie viel Zeit wenden Sie für Ihre Medienaktivitäten auf?
Normalerweise bin ich halbtags für meine Medienbetriebe und die entsprechenden Branchenverbände zuständig, den Rest widme ich meinen politischen Mandaten. Im Präsidialjahr sieht aber alles ein bisschen anders aus. Ehrlich gesagt leiden meine Unternehmen, meine Verbände sowie meine Hobby-Tätigkeit für Ambri-Piotta unter meiner häufigen Abwesenheit. Dies lässt sich aber im nächsten Jahr wieder korrigieren.
Was bereitet Ihnen momentan am meisten Bauchweh?
Die wirtschaftliche Situation ist im Tessin ungleich schwieriger als in der Restschweiz, da wir viel kleiner sind und an der problematischen italienischen Grenze liegen. Das wirtschaftliche Hauptproblem für alle Schweizer elektronischen Medien bleibt aber die dominante Rolle der SRG, die alle preislich immer unterbieten kann.
Also Dumpingpreise?
Sagen wir so: Dank der hohen Gebühreneinnahmen können Preise angeboten werden, die bei Weitem die Kosten nicht decken, und dank der nationalen Verbreitung wird die nationale Werbung fast monopolisiert. Für uns ein besonderes Problem, weil die italienische Schweiz dann für fast nichts als Zusatz zur Romandie und zur deutschen Schweiz für nationale Kampagnen angeboten werden kann. Die Situation ist deswegen äusserst delikat.
Seit anderthalb Jahren passiert dasselbe auch im Printbereich. Die italienische Ausgabe von 20 Minuten gräbt den ganzen nationalen Werbemarkt ab und setzt die Tessiner Verleger mit günstigen Angeboten massiv unter Druck. In einer solchen Situation wird die Luft für die andern Medien doch sehr dünn, weit von jeglicher «Berlusconisierung».
Ist die SRG im Tessin zu stark?
Das Tessin hat 350 000 Einwohner, von denen mehr als 1200 direkt oder indirekt für die SRG arbeiten. Dieses Verhältnis kann wohl zu denken geben, aber ich werde als Tessiner Politiker niemals den Sprachausgleich der SRG kritisieren! Trotzdem ein kleines Zahlenbeispiel, um unsere Besonderheit zu illustrieren: Das Gesamtvolumen des Schweizer Medienmarkts ist drei- bis viermal grösser als dasjenige der SRG. In der italienischen Schweiz hingegen erwirtschaftet die SRG – dank der nationalen Empfangsgebühren – viermal mehr als alle privaten Medien zusammen: Radio, TV, Tagespresse, Wochen- und Sonntagszeitungen, Magazine, Internet usw. In diesem Fall ist die Konkurrenzsituation völlig verzerrt. Doch dies sage ich hier als Privatunternehmer, als Politiker habe ich wie gesagt nichts gegen den Sprachenausgleich.
Trotzdem, was ist falsch gelaufen?
Man hat bei der Gesetzgebung die wirtschaftlichen Konsequenzen einer starken SRG nicht berücksichtigen wollen. Ich hatte es signalisiert, aber das war ein «lokales Problem», das man nicht per Gesetz regeln wollte. Die SRG kann auch Löhne zahlen, bei denen kein Privater mithalten kann. Es gibt wenigstens eine Art Gentlemen’s Agreement zwischen SRG und Privaten, wonach man sich in der Regel nicht unnötig wehtut. Die SRG könnte sich politisch auch keinen echten wirtschaftlichen Kampf im Tessin leisten. Aber die Spannung bleibt.
Sind Sie auch schon gegen die SRG angetreten?
Wäre ich jetzt ein Tessiner Berlusconi, würde ich dies bestimmt auf politischer Ebene machen. Doch dies wäre populistisch. Als Ständerat oder als Präsident von Ambri und weiteren Gesellschaften und Verbänden kann ich mich über die Berichterstattung der SRG nur selten beklagen. Es ist wichtig, die verschiedenen Ebenen zu trennen. Wie gesagt: Als Politiker begrüsse ich den Sprachenausgleich und befürworte sehr, dass mehr Mittel in die italienische Schweiz fliessen. Als Unternehmer hingegen macht mir die Konkurrenzsituation mit der SRG doch sehr zu schaffen.
Sollten die privaten Veranstalter mehr Bundesgeld erhalten?
Grundsätzlich bietet das aktuelle Radio- und Fernsehgesetz eine vernünftige Basis. Ich glaube, dass die Regionalmedien mit den gefundenen Kompromissen leben können, allenfalls mit einer vom Gesetz vorgesehenen Anpassung der Gebührenanteile nach fünf Jahren. Bei den sprachregionalen Medien hingegen, besonders in der deutschen Schweiz, müsste man nochmals über die Bücher. Ich habe momentan aber keine Ahnung, wie eine solche Lösung aussehen könnte. Während der letzten dreizehn Jahre habe ich mich auch für die indirekte Presseförderung bei den Printtiteln eingesetzt. In dieser Zeit ertönte immer wieder der Ruf nach einer verbesserten Lösung. Doch wie sähe eine solche aus? Wer erstellt die Kriterien für die Presseförderung? Ich glaube, die heutige Presseförderung mit den reduzierten Posttarifen ist besser als nichts, auch im Interesse der Post selbst. Würde die Tagespresse wegfallen, würde das Postvolumen massiv schrumpfen, was auch wieder grössere Probleme für die Post zur Folge hätte.
Sie präsidieren auch noch den Dachverband der Schweizer Werbung. Wie stehen Sie zur Onlinestrategie der SRG?
Eine interessante Ausgangslage. Wir haben uns innerhalb unseres Vorstandes die Frage gestellt, ob Onlinewerbung bei der SRG für unsere Branche förderlich ist oder nicht. Einige Mitglieder votierten ganz klar dagegen. Gleichzeitig sollte man sich als Dachverband der Werbung für die grösstmögliche Werbefreiheit einsetzen. Aufgrund dieses Dilemmas haben wir uns bei dieser Frage sehr zurückgehalten.
Warum sind Sie in der Medienkommission des Bundesrates nicht vertreten?
Ja, das hat uns auch verwundert. Wir waren sehr enttäuscht, dass Frau Leuthard keinen Vertreter der Werbewirtschaft in die Medienkommission berufen hat. Aber dies lässt sich vielleicht in einer späteren Phase korrigieren.
Vielleicht hat sich die Schweizer Werbewirtschaft auch nicht angeboten?
Selbstverständlich haben wir bei der Medienministerin unsere Kandidatur angemeldet und drei gute personelle Vorschläge für das Gremium gemacht. Nach unserer Ansicht wäre eine solche Teilnahme enorm wichtig, da die Werbung einen Grossteil der Medien finanziert. Sollte sich die Medienkommission zukünftige Finanzierungsmodelle in diesen Krisenzeiten überlegen, wäre unsere Sicht – bescheiden gesagt – wohl nicht ganz unwichtig.
Kann die Werbebranche Ihre Anliegen nicht besser vertreten? Und wieso?
Das stimmt. Es ist für mich absolut unerklärlich, dass sowohl städtische als auch kantonale und nationale Parlamente und Verwaltungen überhaupt kein Verständnis für die Werbeindustrie und deren Anliegen haben. Sobald man ein gesellschaftliches Problem hat, ertönt der Ruf nach einem Werbeverbot. Das bringt zwar nichts, kostet auch nichts, den Schaden haben aber wir zu tragen. Die Werbeindustrie stellt nicht nur einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, sondern ist dank ihrer kommerziellen Kommunikation für eine funktionierende Gesellschaft unerlässlich. Deswegen wollen wir am Tag der Werbung, welcher mit Beteiligung von Bundesrat Schneider-Ammann am 5. und 6. Juni in Neuenburg stattfindet, die Bedeutung unserer Branche für die Gesellschaft unterstreichen.
Eigentlich müssten auch die Werber sich besser bewerben können.
Wir versuchen nun mehr Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu nehmen. Deswegen haben wir eine parlamentarische Gruppe unter dem Titel «Medien und Kommunikation» gegründet, welche zwei Veranstaltungen pro Jahr durchführt.
Vor einem Jahr hat die Swisscom beschlossen, einen Teil ihres Werbeetats ins Ausland zu vergeben. Wie hat der Verband Schweizer Werbung darauf reagiert?
Unser welscher Schwesterverband hat gegen den Swisscom-Entscheid deutlich protestiert. Wir hingegen haben darauf verzichtet, da es sich nur um einen kleinen Teil des Werbeetats handelte, welcher nach Deutschland vergeben wurde. Wer sich für Werbe- und Medienfreiheit einsetzt, sollte nicht auf protektionistische Massnahmen setzen. Gleichzeitig erwarten wir von Unternehmen wie der Swisscom, dass sie auch einheimische Unternehmen berücksichtigt.
Neben all Ihren Aktivitäten setzen Sie sich für den Bau einer zweiten Gotthardröhre ein.
Mein Vater hat vor vierzig Jahren einen zweiröhrigen Gotthardtunnel geplant. Der Bundesrat hat aber aus Spargründen darauf verzichtet und lediglich eine Röhre gebaut. Seine damalige Begründung: Wenn zwei Millionen Fahrzeuge den Tunnel durchqueren, wird eine zweite Röhre gebaut. Mittlerweile durchqueren jährlich sechs bis sieben Millionen Fahrzeuge den Tunnel. Der Bundesrat hat sich zweifelsohne geirrt. Alleine um den Gotthardtunnel zu sanieren, was jetzt dringend notwendig wäre, benötigt man drei ganze Jahre. Zum Glück steht der Bundesrat nun hinter unserem Anliegen.
Im Tessin sind Sie als Präsident des Eishockeyclubs Ambri-Piotta ein Volksheld. Wie kürzlich berichtet wurde, benötigen Sie zur Sanierung des Clubs dringend zwei Millionen Franken.
Eine Million habe ich gefunden. Jetzt habe ich noch einen Monat Zeit, um die zweite aufzutreiben.
Das ist auch aufwendig.
Ja, es ist wirklich ein Wunder, dass es so weit geklappt hat. Ich ärgere mich nur, wenn uns sogenannt kritische Journalisten von ihrer hohen Warte herab erklären, was wir zu tun haben. Versuchen Sie einmal, in einem Bergdorf mit vierhundert Einwohnern während dreissig Jahren einen Eishockeyclub ununterbrochen in der Nationalliga A zu halten. Sie werden feststellen, dies ist nicht so einfach. Zum Glück haben wir aber Tausende von Anhängern in der ganzen Schweiz, die uns dabei unterstützen.
Gehen Sie an jedes Spiel?
Wenn ich nicht anderswo beschäftigt bin, ja. Jährlich sind es etwa 20 bis 25 Heimspiele. Wenn es reicht, gehe ich aber auch an 5 bis 10 Auswärtsspiele.
Sonst besuchen Sie Putin.
Ich wurde neulich von der Präsidentin des russischen Senats nach Moskau eingeladen und habe auch Putin von Weitem gesehen. Nur habe ich nicht mit ihm gesprochen. Im Gegensatz zu meinem letzten Besuch war ich aber nur noch zehn Meter von ihm entfernt (lacht). Das nächste Mal klappt es bestimmt.