17.06.2015

MAISSEN BERNARD/Juni 2015

Seit genau zehn Jahren ist Bernard Maissen Chefredaktor der sda. Zuvor leitete der Aroser die Redaktion von Radio Rumantsch, dem rätoromanischen SRG-Sender in Chur. Gegenüber «persönlich» äussert sich der 54-Jährige über die tägliche Herausforderung, eine Nachrichtenagnetur zu leiten.

Herr Maissen, Sie sind seit genau zehn Jahren sda sda-Chefredaktor. War es 2005 einfacher als heute, eine Nachrichtenagentur zu führen?
Mein Einstieg bei der sda war nicht gerade hoffnungsvoll. Wenige Tage bevor ich als Chefredaktor das Amt antreten konnte, kündigte der Blick seinen Vertrag mit der Depeschenagentur. Das war kein einfacher Start, sofort mit einer Sparrunde vor die Redaktion treten zu müssen 

Hat sich die Situation mittlerweile wieder eingerenkt?
Ja, Ringier verzichtete während rund zwei Jahren auf die sda, dann kamen sie wieder zurück, weil es ohne Nachrichtenagentur nicht ganz so einfach ist, guten Journalismus zu machen. Doch solche Diskussionen gibt es ständig. Vor gut zwanzig Jahren kündete die Berner Zeitung unseren Dienst, nach Ringier stiegen die Aargauer und die Luzerner Zeitung aus. Mittlerweile sind wieder alle Verlage im Boot. Natürlich auch, weil es im Moment keine andere Nachrichtenagentur mit einem umfassenden Schweizer Dienst gibt und auch weil keine andere Agentur mehr aus der Schweiz berichtet. 

Dann muss es Ihnen ja hervorragend gehen …
(Lacht.) Nein, überhaupt nicht. Auch wir spüren die Veränderungen im Mediengeschäft. Als Nachrichtenagentur befindet man sich in einem ständigen Restrukturierungsprozess und überlegt sich permanent, wie man weitere Kosten einsparen kann. Dadurch unterscheiden wir uns überhaupt nicht von anderen Verlagen. Tröstlich ist nur, dass wir nun auch schon seit 120 Jahren bestehen und unsere Hausaufgaben damit immer rechtzeitig gemacht haben.

Gab es nie einen Hoffnungsschimmer?
Als die Gratiszeitungen aufkamen, entspannte sich die Situation für einen kurzen Moment. Aber bereits nach kurzer Zeit stellten ja bei der ersten Welle Metro, bei der zweiten News, .ch oder Matin bleu ihr Erscheinen ein. 

Dann befindet man sich als Chefredaktor einer Nachrichtenagentur immer in einer Defensivhaltung?
Als Nachrichtenagentur ist man zwar news-mässig vorgelagert, ansonsten aber nach-gelagert. Wenn es bei den Kunden rumort, rumort es bei uns auch. Zwar mit Zeit-verzögerung, aber mit schöner Regelmässigkeit. Wir können uns den medialen Entwicklungen und Veränderungen nicht entziehen. Und wir können uns nur in die Richtung entwickeln, in die sich unsere Kunden und Besitzer entwickeln.

Wie hat sich die digitale Revolution auf die sda ausgewirkt? Als Gefahr oder als Chance?
Ursprünglich war die ganze Digitalisierung sicherlich eine Chance. Dies nicht zuletzt wegen neuer Onlineanbieter, die wir als Neukunden gewinnen konnten. Dies führte auch intern zu einer Dynamisierung, da wir plötzlich die Bedürfnisse von Internetredaktionen abdecken mussten und einen bimedialen Dienst aus Text und Bild herstellten. Doch der grosse Boom ist ausgeblieben. Neben den klassischen Medienkunden, die neu auch noch online unsere Inhalte nutzen wollten, sind wenig neue Player übrig geblieben.

Wegen des Internets sind plötzlich alle Texte frei verfügbar. Gab es deswegen nie Copyright-Probleme?
Wir hatten wegen dieser Frage ursprünglich sicherlich Bedenken. Da unser Markt aber überschaubar ist und sich die Verleger auch fair verhalten, gab es sehr selten Probleme. Wir haben Tools installiert, die uns Copyright-Verletzungen sofort melden. In der Regel sind dies Einzelfälle. Oftmals handelt es sich um kleinere Seiten, die aus Unwissenheit sda-Meldungen übernehmen, ohne zu wissen, dass diese zahlungspflichtig sind. Im grossen Stil wird bei uns aber nicht «geklaut».

Wir haben nun von den Problemen gesprochen, die die Nachrichtenagenturen haben. Gibt es für die sda überhaupt ein Wachstumspotenzial?
Für eine nationale Nachrichtenagentur stellt die Schweiz mit ihren vier Sprachen und regionalen Eigenheiten eine grosse Herausforderung dar. Unsere Hauptaufgabe ist es, die Grundversorgung sicherzustellen. Wir sind regional verankert und berichten aus den Regionen für die anderen Regionen. In diesem Bereich sind wir konkurrenzlos. Die Agentur ist aber seit jeher für die Medien eine Rationalisierungsmassnahme. Wir übernehmen diejenigen Aufgaben, die zentral billiger als dezentral erledigt werden können und die sich die Verlagshäuser nicht leisten können oder wollen. Wenn wir weiterhin einen qualitativ so hochstehenden Dienst in dieser Breite anbieten und unsere Dienstleistungen an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, werden wir auch in Zukunft keine Existenzängste haben. Aber sie haben recht, im klassischen Medienbereich sehe ich im Moment nur sehr beschränktes Wachstumspotenzial. Wir könnten den Kunden aber durchaus noch mehr Aufgaben abnehmen.

Was wird von der sda am meisten verlangt?
Verlangt wird eine möglichst breite, vollständige und rasche Abdeckung. Abgedruckt werden dann von den grossen Medien eher die kleineren Themen, die sie nicht selbst behandeln. Doch auch bei den «grossen» Storys- darf die Bedeutung der Agentur nicht unterschätzt werden. Wir üben dort eine Alarmierungs- und Kontrollfunktion aus. Viele -Redaktionen stützen sich auf unsere Berichterstattung und checken ihre Fakten nochmals mit den unsrigen ab. Geschätzt wird also nicht nur unsere Effektivität, sondern auch unsere Faktentreue. 

Welche Themen werden bevorzugt? 
Natürlich stossen Meldungen aus den Kernbereichen Politik und Wirtschaft auf grösstes Interesse. Auffallend ist aber auch, dass die Nachfrage nach Meldungen aus dem Kulturbereich deutlich zugenommen hat. Dies ist wohl auf die Einsparung vieler Redaktionen in den Kulturressorts zurückzuführen. 

Bauen Sie in diesen Bereichen aus?
Nein, dazu fehlen uns die Mittel. Unser Ziel ist es, das bestehende Angebot auf diesem Niveau zu halten. Sollte uns dies gelingen, werden wir auch weiterhin sehr gut genutzt, vor allem von grossen Titeln, die jetzt verstärkt wieder auf die sda zurückgreifen. Ausserdem suchen wir nach kreativen Finan-zierungsmodellen, um den Kunden einen Mehrwert bieten zu können. So haben wir mit der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung ein Projekt gestartet, mit dem wir mehr Themen aus dem Bereich Literatur vertieft behandeln können.

Was zeichnet eine sda-Meldung aus?
Einerseits sollte ein sda-Artikel sehr schnell, faktentreu, unparteiisch und auch unbestechlich sein. Zudem versuchen wir, für die Redaktionen die Bedeutung der einzelnen Meldungen zu gewichten und immer stärker auch einordnende Elemente zu liefern.

Ein Merkmal der sda war früher die ständige Berichterstattung aus den Räten.
Den sogenannten Laufbericht haben wir bereits vor fünfzehn Jahren aus Spargründen abgeschafft, da er äusserst anspruchsvoll und sehr aufwendig war. Da die Ratsdebatten mittlerweile live im Internet übertragen werden, benötigen die Bundeshauskorrespondenten diese Art der Berichterstattung auch nicht mehr. Ursprünglich haben wir diesen Dienst eingerichtet, damit sich die Journalisten während der Session in den Wandelhallen aufhalten können, ohne ständig das Gefühl haben zu müssen, sie verpassten etwas. Heute berichten wir nach wie vor sehr umfassend aus dem eidgenössischen Parlament, aber in zeitgemässer Form.

Wie viele Leute beschäftigt die sda im Bundeshaus?
Im Bundeshaus beschäftigen wir zwei deutsch- und französischsprachige sowie einen Italienisch sprechenden Journalisten. Während der Sessionen helfen jeweils noch zwei bis drei Mitarbeiter aus jeder Sprachenredaktion aus. Unser Vorteil ist zweifelsohne, dass sich sowohl die deutsch-, die französisch- als auch die italienischsprachige Zentralredaktion in Bern befinden. Dadurch kann man sich besser austauschen und einen Output erzeugen, der anderweitig nicht möglich wäre. 

Spürt man als sda-Chefredaktor einen politischen Druck?
Nicht direkt. Aber natürlich kann es vorkommen, dass linke oder rechte Kreise bei uns intervenieren, weil sie den Eindruck haben, dass ihre Anliegen zu wenig gewürdigt würden. Wir sind aber Grossist, beschränken uns auf die Berichterstattung und kommentieren nicht. Deshalb stehen wir weniger im Fokus, wenn es um Druckversuche geht. Dafür werden wir auch nie mit Indiskretionen beliefert. Die Parteien und Verbände zählen auch nicht zu unseren Grosskunden, sodass da wenig Druckmöglichkeiten bestehen. Und die Wirtschaft gibt sich in der Regel sehr zurückhaltend mit Kritik oder versuchter Einflussnahme. Sie weiss, dass wir ein klares Regelwerk besitzen und uns danach richten. 

Die Medienkommission schlägt nun staatliche Unterstützung für die sda vor. Nimmt dadurch nicht die Abhängigkeit zu?
Also, zunächst wissen wir noch nicht, ob wir überhaupt je eine solche Unterstützung erhalten. Wenn es eine gäbe, erfolgte sie unter dem Titel der Sprachverständigung, da wir in drei Landessprachen gleichwertige Dienste zum gleichen Tarif anbieten. Die Märkte in der Romandie und im Tessin tragen die Kosten ihrer Dienste nie. Bisher haben die Kunden in der Deutschschweiz die entsprechenden Defizite bezahlt und die französisch- und italienischsprachigen Dien-ste quersubventioniert. Das ist im aktuellen Umfeld nicht selbstverständlich. Die Medienkommission und der Bundesrat haben das erkannt. Sie schlagen deshalb vor, dass die Defizite dieser Dienste unter dem Titel des Sprachengesetzes von der Eidgenossenschaft übernommen werden. Dies würde mit einer klaren Leistungsvereinbarung einhergehen. Die sda müsste sich verpflichten, auch in Zukunft drei gleichwertige Dienste zum gleichen Preis zu produzieren. Damit könnten indirekt alle Medien gefördert werden, und gleichzeitig wird der Austausch zwischen den Sprachregionen sichergestellt. Unser Verwaltungsrat hat lange darüber diskutiert, ob dies ein gangbarer Weg wäre, denn die Unabhängigkeit ist gerade für eine Nachrichtenagentur ein sehr hohes Gut. Wir sind aber sicher, dass wir mit der Eidgenossenschaft einen guten, verlässlichen Partner hätten, der zwar eine Leistung einfordert, aber die redaktionelle Unabhängigkeit der Agentur nicht antastet. 

Inwiefern nehmen die Verleger Einfluss auf die sda?
Auf die Berichterstattung nehmen die Verleger keinen Einfluss. Die meisten Diskussionen führen wir aber mit Chefredaktoren anderer Medien, die sich bei uns beklagen, dass wir ihren Primeur nicht übernommen hätten. Es gilt immer noch als Bestätigung oder gar Auszeichnung, von der sda zitiert zu werden. Doch dies ist aber vor allem unter Journalisten ein Thema und weniger bei den Endkonsumenten. Wir versuchen jeweils mit klar umschriebenen Kriterien aufzuzeigen, wann eine Meldung in den sda-Dienst gehört und wann nicht. Wir würden sehr gerne noch viel mehr machen, aber unsere Manpower ist beschränkt und unser Korsett eng.

2010 mussten Sie Ihren Personalbestand um 10 Prozent reduzieren. Welche Auswirkungen hatte dies auf Ihre Arbeit?
Das Sparprogramm 2010 war sehr einschneidend. Wir mussten Regionalredaktionen zusammenlegen oder schliessen, Präsenzzeiten kürzen, einzelne Posten ausserhalb der Stammressorts streichen und nicht nur im redaktionellen Bereich Stellen und damit auch Dienstleistungen abbauen. Wir haben uns bemüht, mit Effizienzsteigerungen das Angebot nur dort schmaler werden zu lassen, wo die Kunden es am wenigsten merkten. Dank des grossen Einsatzes aller ist es uns sicher gelungen, dass die Grundversorgung nicht gelitten hat. Aber der Teppich ist vielleicht etwas weniger eng gewoben. 

Wie viele Meldungen publizieren Sie täglich?
An einem normalen Tag produzieren wir pro Sprache zwischen 250 und 300 Meldungen.

Und diese werden alle gegengelesen?
Wir haben das Vieraugenprinzip, das heisst, alle unsere Artikel werden am Desk oder in den Regionalredaktionen nochmals gegengelesen. Unsere Fehlerquote beträgt 1 bis 1,5 Prozent. Sobald wir auf einen Fehler aufmerksam werden, schicken wir eine Berichtigung nach. Das sind blöde Fehler wie «Million» statt «Milliarde», ärgerliche, wenn man einen falschen Vornamen nimmt, oder sachliche Fehler, die aber sehr selten sind, indem man ein Thema oder eine Aussage falsch interpretiert. Jeder Fehler ist einer zu viel, aber im Zeitdruck kommen sie vor. Interessant ist, dass beim Übersetzen natürlich auch Fehler passieren können, es aber häufiger vorkommt, dass man dabei auf Fehler in der Ursprungssprache stösst und diese dort rasch korrigiert werden können. 

Kämpfen Nachrichtenagenturen in anderen Staaten mit ähnlichen Problemen wie die sda?
Wir stehen in ständigem Kontakt mit anderen Nachrichtenagenturen. Als nationale Nachrichtenagentur verfügen wir nicht über ein weltweites Netz. Wir sind deshalb Kunden der grossen internationalen Agenturen Ansa, dpa, afp, Reuters und darüber hinaus von so manchen kleinen nationalen Agenturen. So verfügen wir über ein sehr dichtes Informationsgeflecht.  Unter Agenturen ist man sehr offen zueinander und diskutiert gemeinsam Entwicklungen, Projekte und Probleme. Die meisten Agenturen kämpfen mit den gleichen Problemen wie wir, obwohl viele anders strukturiert sind und über eine staatliche Beteiligung verfügen. In Europa gibt es kein Dutzend Nachrichtenagenturen, die ausschliesslich den Medien gehören und damit unabhängig sind. Die meisten Nachrichtenagenturen haben grössere oder kleinere Beteiligungen des Staates. Diese sind bei Regierungswechseln oder Finanzkrisen der Staaten, wie wir sie in den letzten Jahren mancherorts erlebt haben, immer wieder mit grossen Problemen konfrontiert. Sei es, weil die Beiträge massiv gekürzt oder das Management von heute auf morgen ausgewechselt wird. Hinzu kommt zum überall -feststellbaren tiefgreifenden Wandel der Medien-landschaft.  Am häufigsten vergleichen wir uns deshalb innerhalb von Gruppe 39, einem Zusammenschluss von acht nationalen, unabhängigen Nachrichtenagenturen. Dort betreiben wir auch intensives Benchmarking. Das hilft, Probleme und Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Und wir können mit etwas Stolz feststellen, dass die sda äusserst effizient und produktiv arbeitet und finanziell im Vergleich durchaus gut dasteht. Wir sehen aber auch, wo unsere Schwächen sind, nämlich in der starken Ausrichtung auf reinen Text und bei den fehlenden Kunden im Nicht-Medienbereich.

Ist diese private Finanzierung der sda für Sie ein wichtiges Kriterium?
Ja, das finde ich sehr wichtig. Mediengehaltene Agenturen machen in der Regel einen besseren Job, da sie nicht vom Staat abhängig sind. Die Bundeskanzlei gehört zwar zu unseren Kunden, aber sie hat sich bei mir noch nie über unsere Berichterstattung beschwert.

Nach ihrer Satzung arbeitet die sda nicht gewinnorientiert. Verleitet dies nicht zu einer gewissen Bequemlichkeit?
Unsere Kunden und Besitzer sorgen schon dafür, dass es uns nicht bequem wird. Sie sprechen ja die Mittel, und seit 2005 konnten wir unsere Preise nicht mehr erhöhen. Dies, obwohl die Kunden wegen des auflageabhängigen Tarifs und als Folge vieler Zusammenschlüsse deutlich weniger bezahlen. Das zwingt uns dazu, uns immer neu zu erfinden, selbst wenn das Produkt auch auf Wunsch unserer Kunden möglichst unverändert sein soll. Wir machen heute sicher mit weniger deutlich mehr. Wer einmal eine Woche bei uns gearbeitet hat, kann sicher bestätigen, dass von «Bequemlichkeit» keine Spur ist.

Nun finanziert der deutschsprachige Dienst vor allem den welschen und den Tessiner Dienst. Führt dies nicht zu Unstimmigkeiten innerhalb des Systems?
Die sda ist ein Solidarwerk. Das ist seit ihrer Gründung so. Bisher haben die Verleger dieses Gemeinwerk gewollt und unterstützt. Dazu gehört die Quersubventionierung. Im sda-Verwaltungsrat, wo grosse und kleine Verleger, wo die SRG und die Privatradios friedlich zusammensitzen, sind trotz des schwierigen Umfelds keine Unstimmigkeiten auszumachen. 

Früher gab es in der Schweiz noch andere Agenturen wie SPK, AP oder UPI. Seit einigen Jahren hat die sda das absolute Monopol. Wurde dadurch die Situation für Ihre Agentur einfacher?
Nein, im Gegenteil. Journalistisch gesehen, ist Konkurrenz immer gut. Namentlich die AP hat einen hervorragenden Job gemacht, obwohl sie weit weniger breit aufgestellt war als die sda. Es ist immer einfacher, eine Redaktion zu führen und auch zu motivieren, wenn man ein Gegenüber hat. Es ist aber eine Tatsache, dass ein kleiner Markt wie die Schweiz nur eine Nachrichtenagentur trägt. Doch es ist keineswegs so, dass wir absolut konkurrenzlos wären. Mittlerweile verfügen viele Schweizer Redaktionen über eigene Newsräume und bilden im Internet das tägliche Geschehen mit Live-Tickern rund um die Uhr ab. Dies zwingt uns wieder zu einer schnelleren Berichterstattung und garantiert auch den  journalistischen Wettbewerb.

Aber das macht langfristig eine Nachrichtenagentur überflüssig.
Überhaupt nicht. Unsere Stärke ist nicht nur die Qualität unserer Berichte, sondern auch die Breite der Berichterstattung. Wir haben in der ganzen Schweiz dreizehn verschiedene Büros mit vollamtlichen Korrespondenten, die uns die regionale Verankerung garantieren. Unser Vorteil ist doch, dass wir dies während 24 Stunden garantieren können. Natürlich hat das seinen Preis, aber wenn ein Unternehmen das gleiche Angebot selbst herstellen möchte, kostet es deutlich mehr. Solche Berechnungen wurden auch schon angestellt. 

Wie garantieren Sie den 24-Stunden-Betrieb?
Seit anderthalb Jahren arbeiten vier sda-Mitarbeiter – je zwei deutschsprachige und zwei französischsprachige – in Sydney, um auch während der Nacht eine optimale Berichterstattung über das Welt- und Schweizgeschehen zu garantieren. Deswegen haben wir uns bei einer grossen australischen Nachrichtenagentur eingemietet. Dies war für uns wichtig, damit unsere Journalisten auch während ihrer Arbeitszeit das Agenturfeeling haben und nicht in einem anonymen Hochhaus vereinsamen.

Aber kann man von Sidney aus über ein Lawinenunglück im Engadin berichten?
Warum nicht? Ich weiss, das klingt verrückt. Doch oftmals ist man in Sidney wie auch in Bern – wenn auch nicht kilometermässig – gleich weit vom Geschehen entfernt. Und bei wirklich «grossen Kisten» geht es auch um die Alamierung der Leute vor Ort.

Wie reagieren Sie als sda auf die neuen Bedürfnisse wie beispielsweise Internet- oder Mobileberichterstattung, die sich oftmals sprachlich ganz anders ausdrückt?
Wir produzieren einen Dienst für alle Mediengattungen. Das zwingt uns natürlich zu einigen Kompromissen. Wir haben aber die Struktur und die Kadenz der Berichterstattung den Onlinebedürfnissen angepasst. Die Idee, wonach jede Meldung für Radio, Online oder Print anders geschrieben werden muss, hat sich für die Agenturinhalte nicht durchgesetzt. Aber natürlich überlegen wir uns im Tagesverlauf, für welche Mediengattung wir zu welchem Zeitpunkt am ehesten produzieren, und versuchen, den Dienst entsprechend zu gestalten. 

Wie ist die Zusammenarbeit mit Google?
Eine Zusammenarbeit gibt es nicht, auch wenn Google einige Jahre unser Kunde war. Dies war zu jener Zeit, als die Verleger mit dem Suchdienst im Clinch lagen. Google plante bei jenen Meldungen, die fast unverändert von uns stammten, auf die Ursprungsquelle, also auf eine von ihnen gebaute sda-Site, zu verlinken und nicht mehr auf die Sites der Zeitungen, in denen die Meldung abgedruckt waren. Die Idee wurde aber nach einigen Jahren fallen gelassen. Solange Google keine eigenen Nachrichten anbietet, stellt Google für uns keine Gefahr dar. Ich glaube, dass dies in nächster Zeit auch nicht der Fall sein wird. 

Viele sda-Meldungen sind bereits auf den Onlineplattformen zu lesen, bevor sie in den Zeitungen erscheinen. Dies führte bei einigen Verlegern zu Unzufriedenheit. Kann man dies überhaupt vermeiden?
Nein, ganz vermeiden lässt sich das nicht. Wir haben überlegt, mit einem Premium-Dienst, der den Zeitungen vorbehalten gewesen wäre, Print zu bevorzugen. Das ist aber auch wettbewerbsrechtlich schwierig. Jetzt haben wir gewisse Nutzungsbeschränkungen, die verhindern, dass der gesamte sda-Dienst einfach online gestellt wird. Aber letztlich geht bei unseren Kunden die Tendenz Richtung «Total Audience». Es ist also egal, auf welchem Kanal ein Titel gelesen wird. Das dürfte auch für uns die Zukunft sein.

Sie haben lange für die Bündner Zeitung gearbeitet. Vermissen Sie den «subjektiven» Journalismus nicht manchmal?
Natürlich verspürte ich manchmal ein Zwicken in mir und möchte einen Kommentar schreiben. Aber diese Momente sind sehr selten. Unter dem Strich entspricht mir das klassische faktentreue journalistische Handwerk, welches auf Effizienz ausgerichtet ist, am besten. Ich war niemals ein grosser Feature- oder Reportagenschreiber. Dies war auch der Grund, warum ich zur sda gewechselt habe.

Wann juckt es Sie am meisten?
Meistens sind es natürliche politische Themen. Aber Charlie Hebdo im Januar war sicherlich ein Fall, zu dem ich mich gerne ge-äussert hätte. 

Inwiefern?
Der Fall war sehr tragisch und hat uns Journalisten natürlich besonders betroffen gemacht. Aber der Hype, der dann entstanden ist, war aus meiner Optik auch etwas heuchlerisch. Es fehlte mir zum Teil die Reflexion, die für mich zwingend zum Journalismus gehört. Im Stakkato der Live-Ticker gingen die Zwischentöne unter. Das ist auch bei vielen anderen Ereignissen der Fall. Mittlerweile wird jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Was ich vermisse, ist eine Form von Nachhaltigkeit, die es früher eher gab. Die heutigen Medien haben die Tendenz, einen Schuldigen zu suchen, das Thema möglichst rasch vollständig auszuschlachten und, sobald es nichts mehr Neues zu berichten gibt, sich dem nächsten Opfer zuzuwenden. Und wenn via Social Media irgendein neuer Verdacht, ein neues Detail bekannt wird, wird es sofort und ungeprüft weltweit weiterverbreitet. Höchstwahrscheinlich hatten wir mit all unseren Onlinediensten noch nie eine so grosse Medienvielfalt wie heute, die Berichterstattung ist aber trotzdem immer noch sehr eintönig. Nur weil man online jede Meldung sofort wieder vom Netz nehmen kann, sollte die Reflexion nicht zu kurz kommen. 

Da tragen Sie als Agentur sicher das Ihrige bei.
Selbstverständlich. Es ist klar, wenn wir ein Thema aufnehmen, stösst es in der Regel auf grosse Resonanz. Dies beeinflusst die Berichterstattung in den Schweizer Medien sicherlich. Ja, wir sind sicher Teil des Systems, und der Druck auf uns steigt. Auch wegen Social Media und ähnlichen Entwicklungen. Aber gewisse journalistische Grundregeln sind uns heilig. Und eine lautet: Be first, but first be sure.

Nochmals zu Charlie Hebdo. Kann man diese Karikaturen veröffentlichen oder nicht?
Selbstverständlich kann man diese Karikaturen publizieren. Ich fand die Solidarität mit Charlie Hebdo auch sehr gut, hatte aber trotzdem immer das fahle Gefühl, dass es sich dabei aber vor allem um eine grosse Inszenierung handelte, bei denen viele Medien und Politiker vor allem ihre eigene Wichtigkeit hervor heben wollten. Die eigentliche Diskussion, wie weit nämlich Medien- und Pressefreiheit gehen kann, wurde gar nie oder nur am Rande geführt. Aber in Zeiten, in welchen eine solche Beschleunigung stattfindet, ist dies vielleicht gar nicht mehr möglich. Deswegen wäre ein bisschen Unaufgeregtheit manchmal gar nicht so schlecht.

Ist diese Beschleunigung wirklich so gross?
Zweifelsohne. Jeden Tag gibt es einen andern Skandal. Und man vergisst auch schnell: Wer spricht noch vom Flugzeugabsturz in den französischen Alpen? Wer von Charlie Hebdo?  Und was war noch mal mit Geri Müller? Ich bin überzeugt, die Medien werden überleben, die den Leserinnen und Lesern nicht einfach immer mehr und immer schneller News-Häppchen vorlegen, sondern die ein gesundes Informationsmenü aus nachhaltiger Produktion servieren. 


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