02.06.2000

MBEKI THABO, Präsident Südafrika/Mai 2000

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai hat der Weltverband der Zeitungen die Medien aufgefordert, die Gegner einer freien Presse nach Kräften daran zu erinnern, dass sie der Welt Rede und Antwort stehen müssen. „persönlich" bringt zu diesem Anlass ein aktuelles Interview zum Thema mit dem südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki, das von einer Delegation des Weltverbands durchgeführt wurde.

Welche Rolle spielt für Sie die Pressefreiheit in der Gesellschaft?

„Lassen Sie uns über die Situation in diesem Land sprechen, das könnte Ihre Frage beantworten. Wie Sie wissen, stehen wir in unserem Land vor gewaltigen Herausforderungen in bezug auf die Veränderung der Gesellschaft, die Bewältigung der Apartheid und den Rassismus, den Sie überall antreffen - im Bildungswesen, in der Wirtschaft. Wir müssen die Gesellschaft als Ganzes verändern. Selbstverständlich bedingt dieser Prozess der gesellschaftlichen Veränderung, dass die Leute von einer Geisteshaltung und Mentalität befreit werden, die auf Unterdrückung beruhte. Dazu gehörte, dass gewisse Ansichten als verwerflich galten und deren Äusserung mit Gefängnis bestraft wurde. Man könnte also sagen, dass die Befreiung der Menschen im Hinblick auf die Ässerung und Vertretung der eigenen Meinung zum Bestandteil der gesellschaftlichen Erneuerung wird. Ich bin der Ansicht, dass es sich dabei um eine Grundbedingung des gesellschaftlichen Wandels handelt, die uns ermöglicht, mit den verschiedensten Herausforderungen fertig zu werden. Die Meinungsfreiheit, einschliesslich der Pressefreiheit, muss ein zentraler Bestandteil dieses Prozesses werden, ansonsten wird der Erfolg ausbleiben."

Stimmen Sie der Ansicht zu, dass eine freie Presse notwendig ist, damit ein Land die Probleme im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, Armut, Krankheit und Analphabetentum überwinden kann?

„Nicht nur unter den genannten, sondern unter jeglichen Bedingungen. Ich glaube nicht, dass die Pressefreiheit allein damit zusammenhängt. Lassen Sie es mich in einem weiteren Kontext sagen. In bezug auf die Fähigkeit der Menschen, frei zu denken und ihre Gedanken frei auszudrücken, kommt den Medien eine sehr bedeutende Rolle zu. Wie Sie wissen, pflegen die Presseleute zu sagen: 'In einem geschlossenen Kino kann man keinen Feueralarm auslösen.' Darüber hinaus jedoch erfordert jedes Thema und jede Situation eine freie Presse, um den Menschen die Mitsprache zu ermöglichen. Deshalb ist eine sorgfältige und wahrheitsgetreue Berichterstattung der Medien gefordert."

Welche Rolle fällt Ihrer Ansicht nach der Presse im sozioökonomischen Entwicklungsprozess zu?

„Wenn ich mich in die Lage eines Zeitungsredakteurs versetze - aus rein idealistischen Beweggründen - , so würde ich sagen, dass ich über tatsächliche Vorgänge und Ereignisse, ob positiv oder negativ, berichten möchte. Darüber soll berichtet werden, und zwar auf möglichst ausgewogene Art und Weise. Das hat für mich Vorrang. In diesem Land ist es beispielsweise für viele der in Johannesburg stationierten Journalisten, einschließlich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, angenehm, in der Umgebung von Johannesburg zu arbeiten. Die Strassen sind geteert, das Telefon funktioniert, und sie können mit dem Taxi zum Mittagessen in ein Restaurant fahren. Aber 500 Kilometer entfernt liegen ländliche Gebiete, und die Menschen dort arbeiten schwer, um Ihr Leben zu verbessern. Doch es ist nicht leicht, einen Journalisten davon zu überzeugen, 500 Kilometer auf einer Landstraße zu fahren. In der Rolle des Redakteurs würde ich versuchen, darüber zu berichten, auch über die nicht zugänglichen Gebiete - ein wichtiger Aspekt der Entwicklung. Als Redakteur bin ich dafür verantwortlich, dass der Rassismus bekämpft wird, und setze zu diesem Zweck auch meine Zeitung ein."

Staatsmänner aus totalitären oder jungen demokratischen Staaten behaupten, dass die Pressefreiheit warten könne und die Priorität bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung liege. Halten Sie das für ein glaubwürdiges Argument?

„Nein. Sie können nicht behaupten, dass Sie beispielsweise im nachkolonialen Kamerun eine neue Gesellschaft, einschliesslich wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, anstreben, und gleichzeitig die Pressefreiheit und die freie Meinungsäusserung einschränken. Das kann nicht richtig sein. Es geht um einen grösseren Zusammenhang. Die südafrikanische Regierung wird in bezug auf den sogenannten inflexiblen Arbeitsmarkt hart kritisiert. Wenn Sie Genaueres dazu erfahren wollen, bekommen Sie die Beispiele asiatischer Staaten zu hören - so geschah es in Singapur, in Südkorea oder sonstwo. Doch wir können das nicht wiederholen. Wir haben gut organisierte Gewerkschaften, die Streiks ausrufen und ihre Aufgabe wahrnehmen. Viele Leute sagen inzwischen, 'das können wir nicht zulassen, denn sonst ist Südafrika international nicht mehr konkurrenzfähig'. Eine solche Position dürfen wir nicht einnehmen. Sie ist falsch."

Südafrika verfügt über eine freie Presse. Aber leider herrscht in 47 von 54 Staaten des afrikanischen Kontinents keine uneingeschränkte Pressefreiheit. Weshalb dauert es Ihrer Ansicht nach in afrikanischen Staaten so lange, bis diese Grundbedingung der Demokratie erfüllt ist? Glauben Sie persönlich, dass die 'afrikanische Renaissance', von der Sie gesprochen haben, ohne eine freie Presse stattfinden kann?

„Ich denke, wir sollten dieses Thema, was den afrikanischen Kontinent betrifft, in einem grösseren Zusammenhang sehen. In den meisten der 47 Länder, welche die Medien auf diese Art und Weise behandeln, gibt es weitere Schwachpunkte. Letztes oder vorletztes Jahr wurde ich an eine Konferenz nach Namibia eingeladen, wo ich in meiner Rede über ein Land sprach, das gerade Wahlen durchgeführt hatte. Ich sagte, dass der Präsident tatsächlich die Wahlen gestohlen beziehungsweise manipuliert hätte. Und ich bin mir ganz sicher, dass der Präsident in einer ähnlichen Situation darauf bestehen würde, dass die Presse nicht darüber berichtet. Das ist der grössere Zusammenhang. Es geht um die Verankerung einer demokratischen Gesellschaft, und wo diese nicht gegeben ist, sind die Medien davon betroffen. Ich glaube nicht, dass man sich dieser afrikanischen Herausforderungen annehmen kann, wenn die Presse nicht ihre unabhängige Rolle ausübt. Allein lassen sich die Probleme nicht lösen. Am Beispiel der 47 Staaten spiegelt sich die Tatsache wider, dass in vielen unserer Länder kein gut funktionierendes demokratisches System existiert. Wir gehören dem ANC an, und eine der Hauptforderungen des ANC lautet, 'das Volk soll regieren'. Als wir mit dem Regime der achtziger Jahre verhandelten, konnten dessen Vertreter das nicht verstehen, und wir mussten uns viel Zeit zur Erklärung nehmen. Denn Sie glaubten, wir seien der Ansicht, der ANC solle regieren. Wir verneinten dies und sagten, das Volk solle regieren. Der Aufbau der Gesellschaft benötigt das Engagement der Menschen. Wo diese Offenheit und damit verbunden die Fähigkeit der Leute, ihre Meinungen zu verbreiten, fehlt, wird die Idee, dass das Volk regieren soll, zerstört. Warum haben Regierungen Angst vor dem Volk? Weshalb fürchten sie sich vor kritischen Ansichten? Warum haben sie Angst, zu sagen, ich bin im Unrecht? Was ist schon dabei?"

Wie beurteilen Sie zum heutigen Zeitpunkt die Rolle der Presse hier in Südafrika? Spielt die Presse eine Rolle, die Sie befürworten?

„Wie Sie vielleicht wissen, geriet ich 1994-95 in Schwierigkeiten. Ich sagte damals, dass viele Medien in den Jahren der Apartheid richtigerweise der Meinung waren, dass die Apartheid falsch war, dass sie nicht damit einverstanden waren, obwohl sich diese Haltung nicht in ihrer Berichterstattung spiegelte. Und dass sie deshalb gegen die Apartheidregierung waren, weil sie das System ablehnten, das die Apartheidregierung repräsentierte. Was ich damals sagte, wurde zu allgemeinen Grundsätzen erhoben, was ich für falsch halte. Dass die Medien gemäss Definition gegen die Regierung eingestellt seien. Es war richtig, gegen die Apartheidregierung eingestellt zu sein. Genauso richtig ist es, jede Regierung abzulehnen, die auf Unrecht und Ungerechtigkeit basiert. Aber ich glaube nicht, dass die Medien grundsätzlich und definitionsgemäss eine Partei der Opposition darstellen. Das wäre meiner Ansicht nach falsch. Man kann über die Regierung sagen, was man will, dieses und jenes an ihr kritisieren, das geht in Ordnung. Man kann eine beliebige Meinung haben. Doch daraus einen Grundsatz abzuleiten, der aus den Jahren der Apartheid stammt, ist meiner Ansicht nach falsch. Dann hiess es, nein, nein, nein, jetzt wollt ihr die Presse unterdrücken und seid gegen die Pressefreiheit. Die Reaktion war heftig. Ein weiteres Problem betrifft die fachliche Qualifikation der Journalisten. Dazu existieren zwei Probleme: Die Regierung und die Privatwirtschaft haben zahlreiche qualifizierte und erfahrene Journalisten angeworben, die den Medien nun fehlen. Daher arbeiten in den Nachrichtenredaktionen viele junge Leute, eine Tatsache, die sich auf die Qualität der Berichterstattung auswirkt - das ist das eine Problem. Das andere Problem betrifft die Beförderung. Als Berufsjournalist erreicht man irgendwann seine Grenzen. Um in die nächste Stufe aufzusteigen und ein höheres Gehalt zu beziehen, wird man vom Journalismus ins Management befördert. Die journalistische Erfahrung geht dabei verloren. Doch ich spreche diese Fragen als Unschuldiger und unerfahrener Neuling an. Mehrere Chefredakteure sagten mir damals - ich war gerade Vizepräsident -, sie würden mir raten, den Mund zu halten. Ich solle solche Dinge nicht sagen, da sie sonst alle gemeinsam berichten würden, ich sei gegen die Pressefreiheit. Ich hörte ihnen zu und befolgte ihren Rat, nicht mehr darüber zu reden. In den vergangenen drei oder vier Jahren habe ich mich daran gehalten und das Thema gemieden. Doch ich muss mich beherrschen, denn das Thema gehört angesprochen."


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