Inwiefern lässt sich ein Gehirn erforschen?
Das Gehirn ist das komplexeste Sys-tem, das wir überhaupt kennen. Aber bei genauerem Hinsehen finden wir viele Systematiken, die wir für die Praxis nutzen können. Für das Gehirn spielen bei Marketing und Werbung vor allem zwei Aspekte eine zentrale Rolle Belohnung und Bedeutung. Dies zu wissen ist für das Marketing neu und sehr relevant. Denn das Gehirn fragt immer zuerst nach der Belohnung und der Bedeutung, die ein Produkt, eine Marke oder ein Werbemittel verspricht, und erst dann folgt die Wirkung. Über die wesentlichen Schritte von der Wahrnehmung bis hin zum eigentlichen Handeln, der Kaufentscheidung, wissen wir heute sehr genau Bescheid. Denn das Gehirn hat kein eigenes Marken- oder Werbeareal, sondern nutzt bestehende Hirnstrukturen beim Kaufen.
Und welchen Platz nimmt die Intuition ein?
Eine sehr grosse. Die Neuropsychologie hat das Wesen der Intuition entschlüsselt, und das können wir nutzen. Denn Intuition ist zentral: beim Konsumenten Markenwahl erfolgt intuitiv genauso wie beim Markenexperten im Unternehmen. Experten entscheiden oft in-tuitiv, wir würden sagen: mit implizitem Wissen. Intuition ist das bewusste Erleben von implizitem Wissen. Implizites Wissen ist im Kern Musterlernen und -erkennen. Die grössten Werbeauftraggeber in der Schweiz, die beiden Detailhändler Migros und Coop, schalten rationale Schweinebauch-Inserate. Sind diese dann ihre Mühe wert? In erster Linie geht es immer darum, welche Belohnung eine Marke verspricht und welche Bedeutung sie hat. Die Belohnung für den Konsumenten bei den genannten Schweinebauch-Inseraten ist, dass er dort güns-tig einkaufen kann. Und das ist überhaupt nicht rational, sondern eine hochemotionale Angelegenheit. Wir wissen, dass Preise im Gehirn von den Schmerzarealen verarbeitet werden. Wenn man ein Preisschild sieht, bedeutet das zunächst einmal Schmerz. Blickt man hingegen auf Rabattsymbole, tritt eine Schmerzlinderung ein. Somit ist die Schweinebauchtaktik richtig. Noch wirksamer ist es aber, wenn ich als Marke noch positive Belohnungen addiere, die mich vom Wettbewerb, der ja auch über Schmerzlinderung geht, differenziert und die Kunden loyal werden lässt. Denn Loyalität wird im Gehirn auch vom Belohnungssystem reguliert.
Sie sprechen das Unterbewusstsein an. Die Preis-argumentation beruht jedoch in erster Linie auf vernünftigen Argumenten.
Das ist so nicht richtig. Die sogenannte Ratio existiert im Gehirn nicht. Die Unterscheidung in Emotion (rechte Hirnhälfte) und Ratio (linke Hirnhälfte) hat so viel mit dem Gehirn zu tun wie die Astrologie mit der Astrophysik. Man unterscheidet heute implizite und explizite Vorgänge. 95 Prozent aller Werbesignale wirken implizit. Zum Preis selbst: Dieser wird im Schmerzareal verarbeitet, ist also hoch-emotional. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universitäten Stanford und MIT sehr deutlich.
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