Frau Scheuring, wie erleben Sie die jetzige Zeit als Schauspielerin und Theaterchefin?
Wir hatten vor einigen Tagen Premiere unseres neuen Stücks «ÖV». Es ist von Franz Hohler und handelt vom öffentlichen Verkehr. Ein brisantes Thema in der jetzigen Zeit. Es ist zwar kein Corona-Stück, aber es nimmt Bezug auf die aktuelle Situation. Ich finde es lässig, wie Franz Hohler seine Augen vor dem Jetzt nicht verschliesst und dies ins Stück einbaut. Es gibt beispielsweise Szenen mit Masken. Sie kommen aber nicht immer vor, und irgendwann vergisst man das Thema wieder. Wir gehen das Wagnis ein und bringen ein Theaterstück in einer Zeit heraus, in der eigentlich niemand etwas herausbringt, weil man es sich nicht leisten kann – und wir können es uns auch nicht leisten. Aber wir haben das Stück geplant in der Hoffnung, vor 260 Leuten spielen zu können. Das war wohl etwas gar optimistisch. Jetzt können wir nur vor 50 Leuten spielen. Das heisst: Wir können momentan all die Kosten, die wir haben, gar nicht hineinrechnen. Die Hoffnung bleibt natürlich, dass wir irgendwann im Frühling wieder vor mehr Publikum spielen und dann auch die Kosten decken können.
Franz Hohler gehört zur Risikogruppe. Kommt er trotzdem ins Theater, um zu schauen, wie es läuft?
An der ersten Hauptprobe und an der Premiere war er dabei. Wir alle waren ziemlich nervös, weil wir nicht wussten, ob wir es auch so machen, wie er sich das vorgestellt oder erhofft hat. Franz ist aber ein sehr angenehmer Beisitzer. Ich habe ihn schmunzeln gesehen und lachen gehört. Am Schluss hat er uns ein paar Sätze genannt, die er anders betont haben möchte. Aber im Grossen und Ganzen war er sehr glücklich.
Das Stück kann nur vor 50 Zuschauern aufgeführt werden, im Saal hätten aber 400 Menschen Platz. Kann das funktionieren, auch in Bezug auf die Stimmung?
Es ist anders. Wenn man weiss, wie es ist, wenn 400 Menschen in einem Saal sitzen und gemeinsam lachen, dann ist es mit 50 Personen natürlich niemals gleich. Aber mir ist es wichtig, dass wir das Stück gerade jetzt zeigen können. Auch um zu beweisen, dass wir da sind und es noch Orte gibt, an die man hingehen kann, auch wenn es nur 50 Leute sein dürfen. Wir haben Geschichten zu erzählen und bieten einen Abend, an dem man schmunzeln und lachen kann. Gerade jetzt ist das wichtig.
Man hört oft, dass die Kulturbranche während dieser Krise im Vergleich zu anderen Berufszweigen stark benachteiligt werde. Wie sehen Sie das als direkt Betroffene?
Es ist schon sehr, sehr schwierig. Viele Schauspielkolleginnen und -kollegen haben keine Arbeit mehr oder lassen sich umschulen. Ich kenne jemanden, der nun Pizza ausliefert, ein anderer arbeitet als Lastwagenchauffeur, wieder jemand im Spital. Der Beruf des Schauspielers, der Schauspielerin ist seit jeher einer, der mit grossen Unsicherheiten verbunden ist. Und jetzt spült es ganz viele aus dem Beruf hinaus.
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