27.03.2008

SCHOLL-LATOUR PETER, Reporter/April 2008

Reporterlegende: Der 84-jährige Peter Scholl-Latour gilt als berühmtester Reporter Deutschlands. In seinem langen Leben hat er alle Staaten der Erde besucht und war an allen wichtigen Brennpunkten präsent. Seine Bücher stürmten beinahe ausnahmslos die Bestsellerlisten. An die Schweiz hat er nur gute Erinnerungen: Zum einen hat er das Gymnasium in Fribourg besucht, zum andern hat er auch den Werdegang einiger berühmter Schweizer verfolgt: General Guisan war der letzte.

Herr Scholl-Latour, Sie sind einer der letzten lebenden, grossen Welterklärer. Entspricht das, was die Medien berichten, überhaupt noch dem, was wir als Realität bezeichnen?

"Es gibt immer mehr und immer gezieltere Desinformation. Propaganda hat es zwar schon immer gegeben, aber heute wird das wissenschaftlich betrieben. Es gibt ganze Institute, in North Carolina zum Beispiel, die nichts anderes tun. Ich habe auch die europäischen Regierungen im Verdacht, dass sie gelegentlich ganze Desinformations-Kampagnen lancieren. Die Freiheit der Presse ist ja auch im Westen nicht so unbegrenzt, wie man immer meint. Natürlich ist es besser als in Diktaturen; aber von einer absolut freien Presse zu reden, ist dennoch Unsinn. In meinem langen Leben habe ich erfahren, dass die Journalisten abhängig sind: vom Verleger oder Inhaber des Verlags, der den Chefredaktor benennt. In Deutschland gibt es sechs oder sieben Konzernherren, die bestimmen können. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung. Der sehr konservative Journalist Paul Sethe, einer der Mitgründer der FAZ, hat einmal gesagt, die Freiheit der Presse sei die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen. Heute sind es in Deutschland keine zweihundert mehr. Dies, weil die Konzentration der Presse ständig voranschreitet."

Wie muss man sich konkret solche eine Desinformations-Strategie vorstellen?

"In den USA wird die Desinformation ganz offiziell betrieben; da wird nichts verheimlicht. Die Irreführung des Feindes gilt als legitim. Das haben die Briten während des Zweiten Weltkriegs sehr gut entwickelt. Heute geht es aber oft um die Gängelung der öffentlichen Meinung im eigenen Land " und das ist gefährlich. Die massive Fehlinformation zu Beginn des letzten Irak-Krieges ist ja bekannt. Aber auch im Afghanistankrieg ist vieles unklar. Alle, die wirklich an Ort und Stelle waren " Soldaten, Offiziere, Beobachter, Berichterstatter ", sind ausserordentlich skeptisch. In den Redaktionen wird aber immer noch ein künstlicher Optimismus gepflegt. Das deutsche Parlament zum Beispiel wird durch die Bundeswehr und den Bundesnachrichtendienst informiert " sehr sachlich, wie ich betonen möchte. Wir haben einen ausgezeichneten deutschen Botschafter in Kabul. Trotzdem herrscht offiziell ein Optimismus, der durch nichts gerechtfertigt ist."

Vom deutschen Altkanzler Helmut Schmidt stammt das Bonmot, wonach er der NZZ mehr vertraue als dem Geheimdienst. Kann man daraus schliessen, dass das Weltbild der NZZ der Realität am meisten entspricht?

"Die Neue Zürcher Zeitung ist sehr nüchtern, emotionslos, aber sie behandelt häufig Themen, die anderswo unter den Tisch fallen. Insofern ist sie sehr interessant. Aber sie ist kein wirkliches Meinungsblatt, sondern eine Informationszeitung. Die NZZ ist sicher eines der respektabelsten Blätter der Welt. Persönlich bevorzuge ich unter den Zeitungen die International Herald Tribune, weil sie mit ihrer Kritik an der amerikanischen Innenpolitik viel weiter geht als die deutschen Zeitungen. Diese sind mit ihrer Kritik viel zahmer, als es die Amerikaner selbst von uns erwarten."


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