Herr Sloterdijk, jede Gesellschaft beruht auf Hierarchien, auch ein Unternehmen. Ein Chef ist jemand, der Macht auszuüben hat. Was ist das eigentlich: Macht?
Macht ist das Vermögen, einen anderen zu einer Handlung zu zwingen, oder verfeinert ausgedrückt ihm mit einem Nachteil zu drohen, falls er sich dem Willen des Mächtigen widersetzt. Drohen bedeutet: Man zeigt die Waffen vor, die man gegen den Unwilligen im Ernstfall einsetzen würde. Eine Drohung ist, wie die Strategen sagen, ein bewaffneter Ratschlag. Die moderne Gesellschaft hat indessen verstanden, dass man zur erfolgreichen Machtausübung nicht Druck benötigt, sondern Zug. Man motiviert den anderen durch Einsicht und Anreiz, durch Inspiration und Attraktion. Motivation ist verinnerlichte Macht. Durch sie wird der Zwang unsichtbar und in eigenen Antrieb verwandelt.
Betrachten wir die Machthaber in Wirtschaft und Politik. Sie reden viel von Transparenz, doch sie können es nie allen recht machen, also dürfen sie ihre Absichten zumeist nicht offen legen. Inwiefern müssen Machthaber ihr Vorgehen vernebeln? Inwiefern müssen sie sogar lügen?
Sie scheinen davon auszugehen, dass Macht auf klaren Hierarchien beruhe. Leider ist alles viel komplizierter. Moderne soziale Systeme beruhen auf Unsichtbarmachung von Macht. Deswegen reagieren wir so empört und sind moralisch pikiert, wenn in Ausnahmesituationen die nackte Macht sichtbar wird. Wir sind auf das unzensierte Schauspiel der Macht nicht vorbereitet.
Warum unzensiert? Es gibt doch überall klare Hierarchien Präsidenten, Firmenchefs, Vorgesetzte.
Nach meinem Verständnis haben diese Beispiele mit der Wirklichkeit von Macht ziemlich wenig zu tun. An Führungsaufgaben innerhalb von Betrieben lässt sich der Aggregatszustand von Macht in diffusen modernen Systemen nicht ablesen.
Download als PDF-Dokument