Herr Teltschik, Sie gelten als einer der Architekten der deutschen und europäischen Einheit. Sind Sie zufrieden mit der politischen Entwicklung seit dem Fall der Mauer?
Ja und nein. Ja, weil die Einigung Deutschlands friedlich verlaufen ist und alle unsere Nachbarstaaten und Bündnispartner am Ende zugestimmt haben. Nein, weil die Chancen, die sich mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes eröffnet haben, nicht genutzt wurden. Die «Pariser Charta für ein neues Europa», die im November 1990 von allen 35 Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten unterzeichnet wurde, war die Grundsteinlegung für eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok. Doch nach 20 Jahren ist für dieses «Gemeinsame Haus» noch nicht einmal der Keller fertiggestellt. Die Beziehungen zu Russland sind nicht ausreichend geregelt. Konfliktherde wie Weissrussland, Georgien, Transnistrien, Nagorny Karabach und auf dem Balkan schwelen vor sich hin. Es bleibt noch viel zu tun.
Wie beurteilen Sie das Aufkommen der Linkspartei in Deutschland 20 Jahre nach Untergang des Kommunismus?
Eine Partei, die sich bewusst in die Tradition der SED, der ehemaligen kommunistischen Partei der DDR, gestellt hat, verabscheue ich. Ihre Führungskräfte, geübt in Agitation und Propaganda, verfolgen heute politische Ziele, die sie in der DDR selbst nie verfolgt haben. Im Gegenteil! Die neuen Bundesländer leiden heute noch unter den Folgen der SED-Misswirtschaft. Jetzt verführen sie Wähler mit Versprechungen, die nicht finanzierbar sind. Sie lehnen die Politik der Atlantischen Allianz und der Europäischen Union ab, die beide die wichtigsten Säulen des Friedens und der Sicherheit in Europa sind. Das sagt alles über diese Partei aus.
Welches sind die wichtigsten strategischen Schritte, um die Stabilität Europas sicherzustellen?
Die wichtigsten strategischen Schritte für die europäische Stabilität sind: Erstens die weitere Vertiefung der europäischen Integration. Vorrangig wäre eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik und eine Wirtschaftsunion als Ergänzung zur Währungsunion. Die EU-Staaten, die vorangehen wollen, sollten das tun, aber offen bleiben für die anderen, aber von diesen auch nicht daran gehindert werden. Zweitens müssen wir an dem Ziel einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung auf der Grundlage der Pariser Charta für ein neues Europa weiter arbeiten. Vorrangig wäre aus meiner Sicht die enge Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Russland. Und drittens muss die NATO dringend eine neue Strategie für die zukünftigen Aufgaben und den Verantwortungsbereich erarbeiten.
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