02.04.2025

Aussenwerbung

«Ein lokales Werbeverbot bleibt symbolisch»

Das Zürcher Stadtparlament fordert ein Verbot von Werbung auf öffentlichem Grund. Marketingexperte Marcus Schögel von der Universität St. Gallen warnt vor den Folgen dieses Entscheids. Er plädiert für differenzierte Lösungen statt pauschaler Eingriffe und betont, dass Aussenwerbung weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Kommunikationsmix bleibt.
Aussenwerbung: «Ein lokales Werbeverbot bleibt symbolisch»
«Werbung im öffentlichen Raum ist nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen, sondern auch Teil des gesellschaftlichen Alltags», so Marcus Schögel, Direktor des Instituts für Marketing und Customer Insight an der Universität St. Gallen. (Bilder: Keystone/Christian Beutler, zVg)

Marcus Schögel, das Zürcher Stadtparlament will ein weitreichendes Werbeverbot auf öffentlichem Grund (persoenlich.com berichtete). Vor allem DOOH-Screens sollen verschwinden. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Die Entscheidung greift tief in bestehende Kommunikations- und Geschäftsmodelle ein. Solche Eingriffe sollten auf Basis einer differenzierten Bewertung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und stadtplanerischer Aspekte stattfinden. Gerade digitale Werbeformen ermöglichen heute flexible, zielgerichtete Kommunikation – pauschale Verbote könnten unbeabsichtigt auch Innovation und Zugänglichkeit einschränken.

Die Debatte um Aussenwerbung wird erstaunlich emotional geführt. Was sagt das über das Verhältnis von Werbung, öffentlichem Raum und Politik aus?
Werbung im öffentlichen Raum ist nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen, sondern auch Teil des gesellschaftlichen Alltags. Sie berührt Fragen von Sichtbarkeit, Teilhabe und Ästhetik. Die Emotionalität der Debatte zeigt, dass der öffentliche Raum zunehmend auch symbolisch aufgeladen wird.

«Ein reflektierter Umgang mit werblicher Präsenz in Städten ist sinnvoll»

Die Befürworter des Verbots sprechen von «Verschandelung» und «manipulativer Werbung». Wo sehen Sie berechtigte Kritikpunkte, wo beginnt Ideologie?
Ein reflektierter Umgang mit werblicher Präsenz in Städten ist sinnvoll, insbesondere bei übermässiger Verdichtung. Kritisch wird es, wenn kommerzielle Kommunikation pauschal als manipulativ gewertet wird. Eine differenzierte Betrachtung, die Gestaltung, Frequenz, Inhalt und Kontext berücksichtigt, ist sachgerechter als kategorische Ablehnung.

Wie wichtig ist Aussenwerbung im heutigen Kommunikationsmix?
Aussenwerbung bietet flächendeckende Sichtbarkeit im physischen Raum – unabhängig von digitalen Zugangsvoraussetzungen. Sie ist besonders geeignet für Reichweitenaufbau, Eventkommunikation und Markenverankerung. Im Kommunikationsmix erfüllt sie Funktionen, die durch digitale Kanäle allein nicht übernommen werden können.

Welche Alternativen hätten KMUs und Kulturschaffende, wenn Werbebildschirme wegfallen würde?
Kleinere Akteure verfügen oft nicht über die Ressourcen für digitale Kampagnen mit professionellem Targeting. Analoge Formate wie Plakatwände oder Litfasssäulen – historisch eine Berliner Erfindung – ermöglichen breitenwirksame Sichtbarkeit mit vergleichsweise geringen Mitteln. Auch in Zürich tragen sie weiterhin zur Kommunikationsvielfalt bei.

Wie reagieren Konsumenten auf Aussenwerbung im Vergleich zu Werbung auf Websites?
Empirische Studien zeigen, dass Aussenwerbung meist als weniger intrusiv wahrgenommen wird als digitale Formate. Sie agiert im Hintergrund, ist dauerhaft sichtbar und unterliegt keiner aktiven Selektion. Das macht sie insbesondere für Erinnerungs- und Orientierungseffekte interessant.

Es gibt immer präzisere Targeting-Möglichkeiten. Hat die Aussenwerbung angesichts dieser Entwicklung nicht ohnehin ein Relevanzproblem?
Aussenwerbung entwickelt sich technologisch weiter – etwa durch digitale Screens, sensorbasierte Anpassung und programmatische Aussteuerung. Ihre Relevanz liegt nicht nur in Reichweite, sondern zunehmend auch in kontextbezogener Ansprache und urbaner Präsenz. Sie bleibt ein Bestandteil zukunftsorientierter Kommunikationsstrategien.

In São Paulo wurde 2007 ein Werbeverbot eingeführt, später jedoch wieder aufgeweicht. Welche Lehren kann man aus solchen internationalen Beispielen ziehen?
São Paulo reagierte 2007 auf eine ausufernde, unkontrollierte Werbeflut – mit gesellschaftlich breitem Rückhalt. Solche Eingriffe zielten primär auf visuelle Ordnung, nicht auf inhaltliche Wertekriterien. Eingriffe, die Werbung nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich einschränken, bedürfen einer besonders sorgfältigen Begründung und Abwägung, da sie direkt in die Kommunikationsfreiheit von Unternehmen eingreifen.

«Einzelne Regulierungen können Impulse setzen, aber keine strukturellen Transformationen auslösen»

Die AL will mit dem Werbeverbot «die Konsumgesellschaft transformieren». Kann dies ein lokales Verbot überhaupt?
Einzelne Regulierungen können Impulse setzen, aber keine strukturellen Transformationen auslösen. Der Wandel von Konsummustern vollzieht sich über längere Zeiträume und unter Einwirkung vielfältiger Faktoren – etwa Bildung, Technologie, Regulierung und kulturelle Dynamiken. Ein lokales Werbeverbot allein bleibt symbolisch.

Hätte ein Verbot in Zürich Signalwirkung für andere Städte?
Zürich gilt als Referenzraum für urbane Entwicklung in der Schweiz. Ein Werbeverbot dort könnte diskursive und politische Folgewirkungen entfalten – insbesondere in Städten mit vergleichbaren politischen Mehrheiten. Entsprechend sorgfältig sollte der Entscheidungsprozess gestaltet sein.

Welche Folgen hätte dies für die Branche?
Ein Rückgang von Aussenwerbeflächen würde sich auf Wertschöpfungsketten vom Design über Produktion bis hin zu Betrieb und Wartung auswirken. Gleichzeitig könnte dies den Trend zur Digitalisierung weiter beschleunigen. Für kleinere Anbieter und nicht-digitale Geschäftsmodelle könnte dies eine strukturelle Herausforderung darstellen.

Welche innovativen, stadtverträglichen Lösungen gibt es für die Aussenwerbung?
Adaptive Flächen, die wechselweise Kultur, Information und Werbung zeigen, können Akzeptanz fördern. Ökologisch optimierte Displays, partizipative Gestaltung und lokaler Content sind erprobte Ansätze. Entscheidend ist, Werbung nicht isoliert zu denken, sondern als Teil der urbanen Kommunikationslandschaft.

Und welchen Rat geben Sie der Branche?
Die Branche sollte die aktuelle Diskussion als Anlass nehmen, ihre Rolle im öffentlichen Raum kritisch wie konstruktiv zu reflektieren. Wissenschaftlich fundierte Beiträge können helfen, ihre Funktionen in Wahrnehmung, Orientierung und Öffentlichkeit zu erklären. Ziel sollte ein reflektierter Umgang mit Werbung sein – im Dialog mit Stadt, Politik und Gesellschaft.



Literaturhinweise und Studien zur Wirkung von Aussenwerbung:

  • Nielsen (2017–2019). OOH Advertising Study – Global and DACH Data.
  • Ströer Media SE & JCDecaux (laufend). Wirkungsstudien zur Plakatwerbung.
  • Poster Impact Studien diverser Anbieter (u.  APG, Clear Channel).
  • Zukunft Aussenwerbung (2022). Studienzusammenstellung zur digitalen Transformation von Out-of-Home Media in Europa.

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KOMMENTARE

Christian Hänggi
03.04.2025 13:10 Uhr
Die Frage "Welche Alternativen hätten KMUs und Kulturschaffende, wenn Werbebildschirme wegfallen würde?" wurde ausweichend beantwortet. Bereits heute gibt es praktisch keine KMU-Werbung auf den betroffenen Werbescreens im öffentlichen Raum. Es gibt ab und zu Werbung für Kultur, ja, aber früher waren das einfach Papierplakate. Die Plakatständer durch energiefressende Screens ersetzt. Das kann man auch wieder rückgängig machen. Und dann wieder gewöhnliche Kulturplakate aufhängen.
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