Herr Vass, tragen Sie gerade etwas auf sich, das aus zweiter Hand ist?
Ich trage heute sogar zwei Dinge, die aus zweiter Hand sind.
Welche?
Eine Messenger-Tasche, die ich täglich in die Arbeit nehme, und eine Uhr. Ich habe sie beide gebraucht gekauft, weil sie neu nicht mehr produziert werden.
Ricardo hat zusammen mit 20 Minuten, Myclimate und Circular Economy Switzerland erstmals den Secondhand Day lanciert (persoenlich.com berichtete). Sind Sie mit der Durchführung vom Samstag zufrieden?
Extrem. Wir hatten uns intern als Ziel gesetzt, am Secondhand Day 50 Prozent mehr gebrauchte Artikel zu verkaufen als an einem normalen Samstag: Das wären 10’000 gewesen. Am Ende wurden am letzten Samstag fast 15’000 Secondhand-Gegenstände auf Ricardo verkauft – weit über unseren Erwartungen! Nicht nur quantitativ lief der Tag sehr gut: Wir sind bei dieser Initiative von Anfang an überall auf offene Türe gestossen. Die Bereitschaft mitzumachen hat uns überwältigt.
Was war Ihr persönliches Highlight?
Nach einem Panel Talk, an dem ich teilgenommen habe, ist eine Dame vom Publikum auf mich zugekommen. Sie erzählte mir voller Stolz, dass sie immer zuerst auf Ricardo schaut, wenn sie auf der Suche nach etwas sei – und das seit Jahren. Das letzte Beispiel sei ein gebraucht gekauftes Tablet für ihre Tochter, die ins Gymi geht. Das Verhalten der Dame ist genau das, was wir anstreben: Bevor ich etwas Neues kaufe, suche ich zuerst, ob es auf Ricardo eine gleichwertige, gebrauchte Alternative gibt. Es war ermutigend zu hören, dass einige schon so weit sind.
«Grosse Brands haben die Möglichkeit und die Mittel, um nachhaltiges Handeln breit zu kommunizieren»
Sie haben für den Tag mit verschiedenen Second-Hand-Stores zusammengearbeitet – sogar das Zürcher Kaufhaus Jelmoli hat mit dem Vintage-Brand Reawake mitgemischt. Wird man den Tag auf nächstes Jahr nun noch grösser aufziehen?
Das ist unsere Absicht und die von allen Mitinitianten. Wir konnten für die erste Austragung des nationalen Secondhand Day mehr als 300 «Circular Heroes» animieren, in ihren Läden und Online-Plattformen speziell für den Tag zugeschnittene Aktionen zu veranstalten, um das Thema Kreislaufwirtschaft den Leuten näher zu bringen. Nächstes Jahr gehen wir nicht von null, sondern von dieser grossen Basis aus und werden bestimmt noch mehr Teilnehmer gewinnen können.
Wie wichtig ist es, dass sich grosse Brands für mehr Nachhaltigkeit einsetzen?
Unsere Umwelt geht uns alle etwas an. Grosse Brands haben die Möglichkeit und die Mittel, um nachhaltiges Handeln breit zu kommunizieren. Das wiederum unterstützt auch die kleineren Unternehmen, ihre wertvolle Arbeit der Gesellschaft und der Umwelt gegenüber verständlicher zu machen. Das Kerngeschäft von Ricardo seit fast 21 Jahren ist der Handel mit Secondhand. Mit dem Secondhand Day haben wir ganz offenbar den Puls der Zeit getroffen, indem wir die vielen Vorteile des nachhaltigen Konsums darlegen, kommunizieren und erlebbar machen konnten.
Wo liegen heute dabei die Schwierigkeiten?
Die Schwierigkeit darin besteht, es richtig zu machen. Leider gibt es immer noch sehr viele «Greenwash»-Aktionen. Die klingen zwar gut, sind jedoch nicht wirklich effektiv. Dank vermehrter Unterstützung durch Organisationen wie Myclimate, Circular Economy Switzerland oder South Pole werden immer mehr Projekte mit einem wirklichen Impact generiert und erfolgreich umgesetzt.
«Heute stammen von hundert Artikeln, die ein Haushalt kauft, gerade mal zwei aus zweiter Hand.»
Müsste man auch die Konsumenten stärker dazu bringen, mehr gebrauchte Dinge zu kaufen?
Ja, und genau das war und ist das Ziel des Secondhand Day. Wir wollen die ganze Schweiz dazu animieren, das eigene Konsumverhalten zu überdenken und nachhaltiger zu gestalten. Es gibt noch zu viele Vorurteile gegenüber Secondhand-Artikel und diese möchten wir abbauen. Die vielen mitmachenden Circular Heros haben geholfen, Secondhand der ganzen Schweiz näher zu bringen und zu zeigen, dass Dinge aus zweiter Hand nicht nur preiswert, sondern vor allem auch einzigartig, cool und letzten Endes gut für unsere Umwelt ist.
Inwiefern?
Mit dem Kauf von Secondhand kann man ganz einfach CO2 und andere Ressourcen sparen und das ist vielen noch nicht bewusst. Die Idee dahinter ist denkbar einfach: Wird ein Artikel weitergegeben oder repariert, muss kein neuer produziert werden.
Wie liegen die Grenzen? Alles aus zweiter Hand zu kaufen geht ja auch nicht.
Das geht tatsächlich nicht, denn die Lebensdauer vieler Produkte ist nicht unendlich. Wir sind aber auch weit davon entfernt. Heute stammen von hundert Artikeln, die ein Haushalt kauft, gerade mal zwei aus zweiter Hand. Es ist hier also noch ganz viel Potenzial vorhanden.
Wenn mehr Leute Dinge auf Ricardo verkaufen würden, statt diese zu entsorgen – wäre die Welt eine bessere?
Ökologisch auf jeden Fall. Aber nicht nur. Das Kaufen und Verkaufen von Gebrauchtwaren weckt besondere Gefühle, die man bei Neuware oft nicht hat.
Welche wären das?
Wir nennen sie «Momente der Freude». Wenn wir uns etwas Besonderes, Seltenes oder Bedeutsames kaufen, dann kaufen wir damit auch ein Stück Freude. Das, was wir gerade gekauft haben, war für jemand anderen einmal wichtig – so fühlen wir uns fast schon privilegiert und erachten den Gegenstand gewissermassen auch als ein Geschenk. Eines, das zuvor Freude bereitet hat und dies auch weiterhin tut. Dasselbe gilt für ungenutzte Gegenstände, denen man durch einen Verkauf ein neues Leben schenken kann. Wenn mehr Leute Dinge auf Ricardo kaufen und verkaufen würden, wäre die Welt nicht nur eine ökologisch bessere, sondern auch eine freudigere.