Wer auf der Autobahn im Stau steht und seinen Blick der Strassenböschung entlang nach oben gleiten lässt oder auf eine überquerende Brücke richtet, entdeckt sie vielleicht: die Stauspotter. Also jene Nerds, die sich daran ergötzen, wenn der Verkehrsstrom stillsteht und mit Kamera bewehrt die besten Aussichtspunkte für den Blick auf die Blechlawine suchen.
Das ist glatt gelogen
Ein Interview mit einem solchen leidenschaftlichen Staubeobachter findet sich seit dem 8. April als Sponsored Content auf den Seiten von tagesanzeiger.ch. Am 15. April erschien der Text in der gedruckten Ausgabe von 20 Minuten. Ein nur als «Mike» vorgestellter junger Mann gibt ausführlich Auskunft über sein ungewöhnliches Hobby. Doch die besten Stellen, wo er über Ostern den Stau auf der Gotthardautobahn beobachten wird, hält er geheim. «Denn auch hierzulande wächst die Community der Stauspotter.» Das ist glatt gelogen. Es gibt zwar eine lebendige Plane- und Trainspotter-Szene in der Schweiz, die Flugzeuge und Eisenbahnzüge beobachten und deren Bewegungen dokumentieren. Aber den Stauspotter hat in diesem Fall die Südostbahn erfunden. Er ist Teil der Osterkampagne für den Treno Gottardo, die den Zug als staufreies Verkehrsmittel für die Reise ins Tessin anpreist.
Wer das Interview zu Ende liest, sieht den Hinweis, dass es sich um einen werblichen Beitrag handelt, den die Schweizerische Südostbahn SOB erstellt hat. Die Information, dass es sich bei dem Text um Satire und bei «Stauspotter» Mike um den Comedian Mike Casa handelt, sucht man allerdings vergeblich. Weder der Auftraggeber noch die Publikationsplattform deklarieren den Charakter des Beitrags. In der Printversion in 20 Minuten erscheint nur der Hinweis «Publireportage». Wer der Auftraggeber ist, erfährt das Publikum nicht.
So versteht die SOB Transparenz
Zur Frage der Offenlegung des satirischen Charakters erklärt SOB-Sprecherin Brigitte Baur, dass sowohl der Protagonist als auch die Südostbahn auf Nachfrage transparent darauf hingewiesen hätten, «dass es sich bei Stauspotter Mike um eine Erfindung für die SOB-Kampagne handelt». Wo genau das dokumentiert sein soll, gibt das Bahnunternehmen aber nicht an. Weder in den Kommentaren unter den Postings zur Kampagne auf Instagram und Facebook noch sonst wo findet sich eine Auflösung. Entsprechend gehen kommentierende User bis heute davon aus, dass es sich beim Stauspotting um ein real existierendes Hobby handele.
Zu den genauen Umständen der Zusammenarbeit nehmen Tamedia und Südostbahn nur ausweichend Stellung. «Das Interview wurde bei Tamedia als Branded Content gebucht und entsprechend vom Medienhaus freigegeben», erklärt SOB-Mediensprecherin Brigitte Baur auf Anfrage von persoenlich.com. Von Tamedia gibt es nur dieses Statement: «Es handelt sich um einen transparent ausgezeichneten kommerziellen Inhalt eines Kunden. Hierfür gibt es klare Regeln, in deren Rahmen dieser Werbeteaser auch abgebildet wurde.»
Diese Regeln besagen auch, dass die angelieferten Texte «in Stil, Tonalität und Lesermehrwert der jeweiligen Publikation entsprechen» müssen. Die Abteilung Commercial Publishing beurteilt, ob das der Fall ist und kann Beiträge auch ablehnen – was bei der Stauspotter-Satire offensichtlich nicht geschehen ist.
Einfache Online-Suche entlarvt Schwindel
Entweder veröffentlichte Tamedia wissentlich einen Scherzartikel oder liess sich einen verspäteten Aprilscherz, quasi als Osterscherz, unterjubeln. Nota bene zu einem Thema, das eine einfache Online-Suche als Schwindel entlarvt.
Vor der Südostbahn hatte bereits die Regierung des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg vor sechs Jahren die gleiche Idee und porträtierte einen fiktiven Stauspotter. Auch in dem Fall diente die Kunstfigur einer Kampagne für den Umstieg vom Auto auf den Zug.
Hat also die SOB bei den Deutschen abgekupfert? Mediensprecherin Brigitte Baur erklärt, man habe intensiv an der eigenen Idee gearbeitet und sei sich der Ähnlichkeit mit bestehenden Produkten oder Kampagnen nicht bewusst gewesen. «Solche Ähnlichkeiten sind bei kreativen Prozessen jedoch nicht ungewöhnlich, da Inspiration oft aus bereits existierenden Konzepten gezogen wird, ohne dass bewusst kopiert wird», so Baur weiter.
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