Frau Dell’Anna, vor der NZZ waren Sie in Führungspositionen bei Swisscom und bei den BKW (ehemals Bernische Kraftwerke). Welcher Job braucht am meisten Energie?
(lacht) Eine schwierige Frage, denn Energie brauchten alle drei. Aber ich kann sagen: In punkto Aufwand oder Stress war es meine Stelle bei der BKW, die am meisten forderte.
Warum?
Auch die BKW ist in einem grossen Transformationsprozess, jedoch ist die Energiebranche im Vergleich zur Telekom- oder Medienbranche diesbezüglich resistenter. Bei der BKW war die Transformation zudem viel komplexer zu managen, weil Treiber dieser Entwicklung primär die Regulierung war und nachgelagert erst die Technologie und die Kundenbedürfnisse. Regulationen können die Mitarbeiter viel weniger stark für Wandel begeistern als es Kundenbedürfnisse und Technologie tun können.
Wie erleben Sie die Transformationsfreudigkeit in der Medienbranche?
Hier ist die Transformation schon sehr weit fortgeschritten. Denn der «Case for Action» ist schon seit über zehn Jahren da. Weil die sinkenden Werbeeinnahmen so schnell auf das Ebit-Ergebnis durchschlagen, führt das den Handlungsbedarf allen Beteiligten viel deutlicher vor Augen als beispielsweise in der Telekombranche, wo die Margen langsam sinken.
Die NZZ macht 428 Millionen Franken Umsatz. Wie viel entfällt auf Ihren Bereich Business-Medien?
Business-Medien erzielte im letzten Jahr 56 Millionen Franken Umsatz. Dank der hohen Profitabilität trägt aber unser Geschäftsbereich fast 30 Prozent zum Ebit-Ergebnis der ganzen Mediengruppe bei.
In Ihrer Verantwortung ist etwa Moneyhouse. Hierzu hat die NZZ vor Bundesverwaltungsgericht verloren: Moneyhouse muss die Daten nun viel aufwändiger verifizieren und Einwilligungen einholen. Lohnt sich dieses Geschäft noch?
Das Verfahren ist abgeschlossen. Wir werden das Urteil nicht weiterziehen, denn die Entscheidung des Richters ist sehr positiv für uns. Klar müssen wir mehr Informationen liefern. Das kann aber zum Vorteil werden: Es erhöht unsere Glaubwürdigkeit den Kunden gegenüber. Wir wollen mit Moneyhouse sowieso eine höhere Qualität anbieten, da sind Datenqualität und Sicherheit ein Schlüsselfaktor.
Auch das Zurich Film Festival (ZFF) ist unter Ihrer Verantwortung. Ist es tatsächlich so gravierend, dass das Bundesamt für Kultur die Subventionsgelder gestrichen hat?
Diese Subventionsgelder sind für das Festival extrem wichtig. Das zehntägige Festival erbringt wichtige kulturelle Leistungen. Es fördert, zum Beispiel, den Schweizer Film oder den Nachwuchs. Das ist sehr aufwändig und kostet viel. Solche Angebote sind rein privat nicht finanzierbar. Im Vergleich zu anderen Festivals haben wir aber den höchsten Eigenfinanzierungsgrad.
War es ein Fehler, dass die NZZ unter dem früheren CEO Veit Dengler das ZFF gekauft hatte?
Nein, die Akquisition des ZFF passt gut in die Strategie der NZZ-Mediengruppe. Das ZFF ist mit seinem hochwertigen Programm eine sehr gute Ergänzung für uns. Wir sehen hier auch Synergien zum Beispiel in dem wir unseren Partnern Medien-Packages anbieten können. Wir leisten unseren Beitrag, aber wir alleine könnten das Festival niemals stemmen.
Das ist doch ein Widerspruch. Ein privatwirtschaftliches Unternehmen muss die Firmen, die es kauft, doch selber rentabel betreiben können.
Wie gesagt: Das ZFF ist kein rein kommerzielles Unternehmen. Das Festival erbringt wichtige kulturelle Leistungen. Durch den Wegfall von Beiträgen der öffentlichen Hand wären diese gefährdet.
Wie ist Ihr Bereich vom Joint Venture von AZ und NZZ Regionalmedien betroffen?
Mein Bereich bleibt bei der NZZ-Gruppe. Natürlich überlegen wir, was wir gemeinsam machen könnten. Doch darüber können wir noch nicht reden, denn das Joint Venture muss zuerst noch von der Wettbewerbskommission bestätigt werden.
Nun werden Sie zusätzlich Verwaltungsrätin von Swissquote. Was reizt Sie daran?
Meine Motivation war es nicht, einfach in irgendeinem Verwaltungsrat zu sitzen. Ich hatte bestimmte Anforderungen. Bei Swissquote interessiert mich die Branche, also das Banking und neue Entwicklungen wie Blockchain oder generell Fintech. Zudem bin ich aufgrund meiner Ausbildung als Ingenieurin sehr technologieinteressiert. Hinzu kommt die Internationalität, denn ich habe nun seit einigen Jahren beruflich eigentlich nur in der Schweiz zu tun. Das ist ungewohnt für mich, denn ich bin es vor allem aus meiner Zeit bei einer Beratungsfirma gewohnt, mit unterschiedlichen Locations in der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Das wichtigste sind aber die Leute. Swissquote wurde damals von zwei ehemaligen EPFL-Studenten gegründet – dieser Denkweise fühle ich mich sehr verbunden.
Es scheint ja immer noch ein Problem, Frauen als Verwaltungsrätinnen zu finden. Wie ging das in Ihrem Fall?
Es gibt sicher unterschiedliche Listen bei Personalvermittlern mit Namen von Frauen, die eine hohe operative Verantwortung haben in ihren Unternehmen und sich zur Verfügung stellen würden für VR-Mandate. Der schweizerische Arbeitgeberverband hat zum Beispiel so eine mit 400 Frauen in 2015 publiziert. Ich weiss, dass Firmen die dort gelisteten Frauen anfragen.
Warum ist es für Firmen schwierig, Frauen für den VR zu finden?
Es gibt zwei Gründe: Die einen Firmen sagen, sie wollten Frauen in Führungsgremien, doch sie wollen es nicht wirklich. Schauen Sie sich um: Sie werden keine einzige Firma finden, die sagt, sie wolle keine Frauen im VR. Alle sagen: «Wir suchen eine Frau für den Verwaltungsrat.» Inwiefern sie aber wissen, was das bedeutet und wie stark sie sich für dieses Ziel einsetzen, ist eine andere Frage. Viele haben auch Angst.
«Es gibt so viele gute Frauen»
Angst?
Diese Firmen sind unsicher, weil sie sich Gedanken darüber machen, was es bedeutet, wenn plötzlich eine Frau in diesem Gremium sitzt. «Wie müssen wir uns verhalten? Was müssen wir zulassen?» Das sind alles komische, unbegründete Fragen, denn mit einer Frau kommt einfach eine neue Person mit ihrem eigenen Gesichtspunkt in den VR. So anders wird das alles nicht.
Und was ist der zweite Grund für den Frauenmangel?
Es gibt im Senior-Management und im Top-Management zu wenig Frauen. Wenn es dort wenige Frauen gibt, fehlen sie auch als potentielle Verwaltungsrätinnen. Denn für VR-Mandate kommen Personen in Frage die auf sehr viel Erfahrung mit operativer Verantwortung zurückgreifen können. Das heisst für mich: Wenn man Frauenquoten einführen will, sollte man diese nicht im VR einführen, sondern im Top-Management und in der Unternehmensleitung.
Quoten wären also nötig?
Ja. Ich habe meine Meinung diesbezüglich radikal geändert. Ich bin für Quoten in operativen Gremien. Es gibt so viele gute Frauen. Auch mit einigen Übergangsjahren mit Quote: Wir werden kein Problem mit der Qualität haben. Dies wird uns eher dazu zwingen, die Nachwuchsförderung stringenter auf Diversity auszurichten.
Warum haben Sie die Meinung geändert?
Ohne drastische Massnahmen gibt es keine Veränderung. Das haben die letzten Jahre gezeigt. Zudem ist der Glass-Ceiling-Effekt sehr stark vorhanden, nicht nur in den Köpfen der Männer, auch bei den Frauen, auch bei mir.
Wo haben Sie selber Barrieren im Kopf?
Beispielsweise bei klassischen Vorstellungen über die Berufe von Männern und Frauen. Auch diese stereotypischen Zuschreibungen bezüglich rational vs. emotional beobachte ich teilweise bei mir selber, obwohl ich der Meinung bin, dass das kein Unterschied zwischen Mann und Frau ist.
Oftmals ist es ja so, dass Entscheidungen nicht vor Ort an den Verwaltungsratssitzungen gefällt werden, sondern davor bei informellen Treffen, etwa im Rotary Club oder beim Feierabend-Bier. Wie machen Sie das?
Hier kommen wir zum Thema Networking. Das sehe ich fast schon wissenschaftlich: Die Entscheidungen über das, was in der Welt passiert, erfolgt durch Menschen – heute jedenfalls noch. Das wichtigste sind damit menschliche Beziehungen. Wer keine menschlichen Beziehungen hat, kann weniger bewegen – das ist einfach so. Das ist als Frau nicht so schwierig. Man muss diesen Mechanismus einfach verstehen. Bei diesen Treffen geht nicht einfach nur um ein wenig Bier-Spass, sondern darum, gemeinsam mit dem Gegenüber auf ein Level von Vertrauen zu kommen, auf dem dann auch komplexe Probleme viel einfacher angegangen werden können. Dieses Aufbauen von Beziehungen ist extrem wichtig für das Geschäft.
«Ich arbeite extrem gern»
Aber wie betrifft Sie das?
Ein Nachteil haben Frauen darin, dass sie meist noch immer den grösseren Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen. Es ist also für sie viel schwieriger, am Abend oder am Wochenende Zeit zu finden für solche Veranstaltungen. Bei mir funktioniert das gut, weil ich mich mit meinem Mann abspreche. Manchmal gehe abends ich, manchmal geht er – der andere bleibt bei den Kindern. Natürlich limitiere ich diese Veranstaltungen und selektiere sehr gezielt.
Sie arbeiten Vollzeit, Ihr Mann ebenfalls und Sie haben zwei Kinder im Schulalter. Da werden Sie sicher oft komisch angeschaut.
(lacht) Ja das stimmt, vor allem hier in der Schweiz. Ich bin aber nicht in der Schweiz aufgewachsen, sondern in Italien und von daher kann ich einfacher die kulturelle Erwartungen der Schweiz ignorieren, denn ich wurde nicht hier sozialisiert.
Was heisst das?
Für mich war schon als Studentin klar, dass ich Kinder haben will und ich hatte damals bereits die Vorstellung, dass man Kinder zu zweit hat und nicht alleine. Für mich ist klar: Ich trage nicht mehr Verantwortung für die Kinder als mein Mann. Zudem kann ich nicht leben, ohne einen 100-Prozent-Job. Denn ich arbeite extrem gern. Ich weiss aber auch, dass ich in einer sehr bevorzugten Position bin und ich das alles nur deshalb tun kann, weil die Rahmenbedingungen stimmen: Ich habe den richtigen Mann – notabene einen Schweizer –, und ich habe einen privilegierten Job, der es mir erlaubt, eine Haushalthilfe zu haben. Zudem lebe ich in der Schweiz, in Europa. Wäre ich in in einer anderen Weltregion, könnte ich mein Leben als Frau wahrscheinlich nicht derart frei wählen.
Daneben sind Sie seit 2011 Mitglied bei «Generation CEO». Was bringt dieses Netzwerk?
Es wurde von einem Headhunter gegründet. Ziel ist es, die Zahl der Top-Managerinnen in den Unternehmen zu erhöhen und das Bewusstsein für das bislang ungenutzte Führungspotenzial zu schärfen. Jedes Jahr werden 20 Frauen neu aufgenommen – inzwischen sind wir fast 200. Der Austausch hat eine sehr hohe Qualität. Zudem fühle sich mich so normal unter diesen Frauen – das brauche ich. Viele haben mehrere Kinder und sind voll berufstätig, sie reisen um die Welt und tragen viel Verantwortung.
Sie sagen, «ich fühle mich so normal unter diesen Frauen». Fühlen Sie sich denn manchmal abnormal?
Ja! Immer dann, wenn ich hier in der Schweiz bin. Ich werde angesprochen von Leuten mit: «Ah, du arbeitest 100 Prozent?». Da frage ich mich jeweils: Wie soll ich denn arbeiten? Teilzeit? Klar, solche Stellen gibt es hier, aber für mich ist das nicht die Lösung. Männer werden diese Fragen nie gestellt. Diesbezüglich ist die Schweiz für mich ein grosses Rätsel. Einerseits ist dieses Land ein Paradies, gerade im Vergleich zu England oder Italien, wo ich länger gelebt habe. Anderseits ist die Schweiz bezüglich Gleichstellung eines der schlimmsten Länder. Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären.
Nun startet bei der NZZ-Gruppe bald ein neuer CEO. Was erhoffen Sie sich für Impulse dadurch?
Felix Graf hat eine grosse Erfahrung mit Unternehmen im Wandel, er ist eine starke Persönlichkeit mit ausgeprägter emotionaler Intelligenz. Wir werden, gemeinsam mit allen Mitarbeitern, neue Angebote bringen, näher unseren Lesern kommen und diese Marke noch stärker machen.
Vor der NZZ, wo sie seit 2016 arbeitet, war Monica Dell’Anna als Leiterin des Geschäftsbereichs Markt Mitglied der Konzernleitung der BKW und während zehn Jahren für Swisscom tätig, zuletzt als Leiterin der Bereiche Glasfaser-Geschäft und Neue IT. Die studierte Elektrotechnikerin promovierte in London und startete ihre Karriere bei McKinsey.
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08.04.2018 10:18 Uhr