04.10.2024

Bellingcat

«Es reizt mich, Fakten zu schaffen»

Mit nichts als einem Computer mit Internetzugang decken sie Kriegsverbrechen auf und entlarven Geheimagenten: Das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat aus Amsterdam hat die Welt des Journalismus revolutioniert. Investigativjournalist Foeke Postma über das Sammeln von Informationen aus öffentlichen Quellen.
Bellingcat: «Es reizt mich, Fakten zu schaffen»
«Unsere wichtigste Botschaft ist, dass jeder Open-Source-Informationen lernen und nutzen kann», so Foeke Postma, Senior Investigator und Trainer bei Bellingcat. (Bild:

Foeke Postma, haben Sie als Kind gerne Detektiv gespielt?
Nicht unbedingt Detektiv, aber ich mochte Rätsel und intellektuelle Herausforderungen sehr. Ich nehme an, dass es auch bei der Detektivarbeit keine allzu grossen Schwierigkeiten gibt.

Sie arbeiten heute beim Recherchenetzwerk Bellingcat und haben sich dem Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Finanzkriminalität verschrieben. Was reizt Sie am Investigativjournalismus?
Am meisten reizt es mich, Fakten zu schaffen und dabei zu helfen, problematische Sachverhalte aufzudecken. Potenzielle Verbrecher zu entlarven ist ebenfalls sehr reizvoll, wenngleich dies der Wahrheitsfindung untergeordnet ist.

«Alle meine Recherchen finden online statt»

Sie treten am Freitag am Reporter:innen-Forum in Zürich auf unter dem Titel «Bellingcat, oder: Die Wahrheit liegt im Internet – man muss nur genau hinschauen». Recherchieren Sie nur online?
Ja, alle meine Recherchen finden online statt. Das unterscheidet Open Source Intelligence vom traditionellen Journalismus. Durch die Verwendung von Quellen, die jeder, der über einen Internetanschluss verfügt, selbst überprüfen kann, ermöglichen wir es sowohl den Lesern als auch anderen Nachrichtenagenturen, unsere Ergebnisse selbst zu überprüfen. Sie müssen uns nicht beim Wort nehmen, denn sie können sich selbst davon überzeugen.

Im Internet gibt es viele Fake News. Wie trennen Sie die Spreu vom Weizen, respektive wie gehen Sie beim Verifizieren von Informationen vor?
Es gibt eine Reihe von Techniken und Hilfsmitteln, die zur Verfügung stehen. Wenn eine Behauptung über ein bestimmtes Ereignis aufgestellt wird, suchen wir in der Regel nach einer Kombination aus Fotos, Videos, Beiträgen in sozialen Medien, Satellitenbildern und vielen anderen Informationsquellen, um zu sehen, ob diese mit der Behauptung übereinstimmen.

Von der Open Source Intelligence zur künstlichen Intelligenz: Nutzen Sie auch KI für Ihre Arbeit?
Ja, aber da wir die Grenzen der Tools sehr gut kennen, setzen wir sie sparsam und mit gesunder Skepsis ein. Ein Beispiel wäre die Gesichtserkennung, bei der die KI zwei verschiedene Fotos vergleicht und feststellt, dass es sich um dieselbe Person handelt. Wir könnten sie als Hilfsmittel einsetzen, um Ansatzpunkte zu finden, würden uns aber immer bemühen, mit anderen Mitteln zu beweisen, dass es sich tatsächlich um dieselbe Person handelt.

Bellingcat ist bekannt für die Recherchen rund um den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 im Jahr 2014 über der Ostukraine. Bellingcat sammelte schneller Beweise als alle anderen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Der Bereich der Open-Source-Recherche befand sich 2014 noch im Aufbau. Bellingcat hat damals dasselbe getan wie heute – sich tief in Social-Media-Profile, online gepostete Videos und Satellitenbilder eingegraben. Aber andere Nachrichtenredaktionen haben das inzwischen zum Glück übernommen. 

Welchen Einfluss hat Bellingcat auf die öffentliche Wahrnehmung von Konflikten und Menschenrechtsverletzungen?
Ich hoffe, wir können die Fähigkeiten von Menschen und Organisationen in Bezug auf die Art und Weise, wie sie Informationen finden und abrufen, verbessern. So sollten Journalisten auf der ganzen Welt in der Lage sein, Entwicklungen in Konflikten und Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und zu überprüfen.

«Regierungen haben Bellingcats Arbeit nicht immer gewürdigt»

Und wie reagieren Regierungen oder andere Institutionen auf die Enthüllungen von Bellingcat?
Regierungen haben Bellingcats Arbeit nicht immer gewürdigt. Sie haben darauf reagiert, indem sie unsere Website sperrten oder andere Massnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass die Leute uns lesen.

Wurden Sie auch schon bedroht?
Ich äussere mich nicht zu konkreten Drohungen.

Bellingcat bietet auch Schulungen für Journalisten an, die sich mit Open Source Intelligence beschäftigen wollen. Was ist dabei Ihre wichtigste Botschaft?
Unsere wichtigste Botschaft ist, dass jeder Open-Source-Informationen lernen und nutzen kann – auch Studenten oder neugierige Bürger. Im Internet sind fast immer mehr Informationen verfügbar, als den meisten Menschen bewusst ist. Der Zugang zu diesen Informationen kann für jeden hilfreich sein.

Haben Sie eigentlich über Zürich und das Reporter:innen-Forum Recherchen angestellt, bevor Sie am Donnerstag hierher gereist sind?
Nur ein bisschen, denn es gibt zu viele dringende Themen, die einer genaueren Untersuchung bedürfen. Manchmal ist es gesund, einen Ort zu betreten, ohne vorher alles zu wissen – auch für mich.


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KOMMENTARE

Victor Brunner
04.10.2024 17:00 Uhr
Fakten prüft man vor Ort und nicht aus dem warmen Home-Office! Den gleichen Unsinn bieten KorrespondentenInnen wenn sie aus Jordanien über Angriffe in Beirut „berichten“.
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