Gabi Kopp, letzten Sonntag erschien zum zweiten Mal überhaupt eine NZZ am Sonntag ohne Ihre Illustration der Gastkolumne. Sie waren seit 22 Jahren dabei, was in den Printmedien bemerkenswert lang ist. Kam das Ende der Zusammenarbeit für Sie überraschend?
Ich wurde im Frühling vorgewarnt, dass meine Illustration aufgegeben werden könnte. Es war trotzdem eine Überraschung. Es hatte erst im Januar ein Redesign gegeben. Und meine Illustration hat in 22 Jahren mehrere Redesigns und Chefredaktorenwechsel überlebt. Das ist höchst ungewöhnlich.
Dafür, dass Sie seit der ersten Ausgabe der NZZaS dabei waren und fast 1200 Zeichnungen für die Zeitung kreiert haben, fiel ihr Abgang relativ klanglos aus. Es wurde nur in einer kleinen Bemerkung am Rande darauf aufmerksam gemacht, dass es Ihre letzte Arbeit war.
Es wurde auch auf mein Buch mit ausgewählten Illustrationen hingewiesen und ich habe drei Flaschen Wein erhalten. Noch schöner wäre es gewesen, wenn es einen Artikel gegeben hätte, um der Leserschaft mit einem gewissen Stolz zu zeigen, was wir über die Jahre geschafft haben. Nämlich fast ein Vierteljahrhundert Zeitgeschichte im Bildformat. Als Letztes habe ich einen Text von Patti Basler illustriert. Sie hat Bezug auf meinen Abgang genommen, was ich sehr geschätzt habe. Und in meinen letzten zwei Zeichnungen habe ich als Augenzwinkern eine winkende Hand versteckt.
Haben Sie Feedbacks zu Ihrem Abschied von der Leserschaft erhalten?
Einige Leute haben mein Buch bestellt und mir geschrieben, dass sie meine Arbeit über die Jahre geschätzt haben.
«Ich habe von Anfang an eine grosse Freiheit genossen.»
Was wollten Sie jeweils mit Ihren Illustrationen zum Text beitragen?
Eine eigenständige Idee. Nicht das Klischierte, was einem im ersten Moment in den Sinn kommt, sondern etwas Symbolisches, Bildhaftes. Etwas, das zum Denken anregt aber doch nicht so fremd sein darf, dass man den Zusammenhang zum Thema nicht erkennt. Schlussendlich stehe ich im Dienst der Autorin und des Autors.
Was waren die Vorgaben, die Sie von der NZZaS erhalten haben?
Ich habe sehr geschätzt, dass ich von Anfang an eine grosse Freiheit in der Interpretation der Themen genoss. Ich durfte sogar andere Gesichtspunkte hereinbringen als die Textautoren, was bei Illustrationen ungewöhnlich ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir eine Autorin, die immer wieder gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gewittert hat. Ich habe im Bild versucht, die gleichgeschlechtliche Ehe als etwas Positives darzustellen.
Und haben Sie in diesen Fällen keine verärgerten Reaktionen von den Autoren erhalten?
Ich bin überzeugt, dass sie manchmal meine Bilder nicht passend gefunden haben. Aber diejenigen die mir schreiben, haben mir gesagt, dass sie jeweils sehr gespannt auf mein Bild waren und sich gefreut haben.
Die Themen der Gastbeiträge, die Sie illustriert haben, waren sehr unterschiedlich und zum Teil auch sehr komplex. Wie sind Sie vorgegangen, um Sujets zu finden?
Manchmal fielen mir bei abstrakten Themen schneller Ideen ein, als bei bildlicheren, wo es schwieriger war, nicht in Klischees zu verfallen. Aber Bildfindung hat auch mit Übung zu tun. Stichworte sofort in Bildern denken. Ich versuchte, eine Symbolik zu finden, die bildlich gut darzustellen ist. Zum Beispiel das Folgen auf Social Media durch eine Schafherde.
«Ich hatte noch nie erlebt, dass eine Autorin sich für die Illustratorin so einsetzt.»
Im neuen Layout der NZZaS gibt es keine Illustrationen mehr für den Gastbeitrag. Wie finden Sie das neue Konzept?
Das ist ein Attraktivitätsverlust für die Kolumne. Das Bild ist ein Blickfang. Es sollte zum Lesen verführen. Selbst wenn es nur eine Sekunde betrachtet wird.
Haben sich die Autorinnen und Autoren nicht für den Erhalt der Illustration eingesetzt?
Patti Basler hat mir gesagt, dass sie es sehr bedauert. Sie hatte sich auch bei der Redaktion vor circa zwei Jahren dafür eingesetzt, dass mein Name nicht so winzig erscheint, weil sie die Zeichnungen so eigenständig fand. Das habe ich unglaublich geschätzt. Ich hatte noch nie erlebt, dass eine Autorin sich für die Illustratorin so einsetzt.
Sie haben letztes Jahr ein Büchlein mit einer Auswahl aus Ihrer 20-jährigen Zusammenarbeit mit der NZZaS herausgegeben. Zu den 226 ausgewählten Illustrationen erscheinen nur die Titel und Namen der Autorinnen und Autoren. Haben Sie von Anfang an darauf geachtet, dass Ihre Kreationen auch ohne Texte funktionieren?
Gewisse funktionieren super ohne Text, weil sie eine gewisse Allgemeingültigkeit haben. Andere sind aber so spezifisch auf das Thema bezogen, dass sie nicht selbsterklärend sind. Für das Buch habe ich Bilder ausgewählt, die thematisch einen Zeitrückblick geben, wie UBS oder Corona. Und ich habe Bilder gewählt, die fantasieanregend sind.
Sie arbeiten seit über 35 Jahren als freie Illustratorin und Cartoonistin. Was hat sich seit Ihren Anfängen im Beruf verändert?
Es ist heute schwieriger, Aufträge zu bekommen. Die Illustrationen werden zunehmend von den Publikationen intern produziert. Grafiker machen auch Infografik-Illustrationen. Vielleicht arbeiten sie mit KI oder nehmen Illustrationen von einer Bildagentur, die garantiert mit KI arbeitet.
«Im heutigen Bildzeitalter sollte man sich überlegen, welchen Stellenwert man den Illustratorinnen und auch Fotografen geben will.»
KI macht es für jeden einfach, Bilder zu generieren. Hat der Beruf noch eine Zukunft?
In dieser Entwicklung ist es wichtig, dass die KI-Nutzung deklariert wird. Im heutigen Bildzeitalter sollte man sich überlegen, welchen Stellenwert man den Illustratorinnen und auch Fotografen geben will. Ich bin eine Art Urgestein mit der Technik des Schabkartons, die ich für die NZZaS verwendet habe. Ich habe stundenlang an meinen Illustrationen gekratzt. Es ist schade, wenn das Handwerk verloren geht. Aber ich denke, das macht das Handwerk auch deshalb attraktiv. Das zeigt zum Beispiel die Nachfrage für Live-Zeichnen an Seminaren, Tagungen oder Firmen-Events.
Haben Sie Tipps für junge Zeichner, die in den Beruf einsteigen möchten?
Sie sollen sich für mehr Wertschätzung einsetzen und den persönlichen Kontakt mit den Redaktionen suchen. Und nach neuen Nischen suchen, wie zum Beispiel Live-Zeichnen an Events. Es gibt mittlerweile auch 3D-Zeichnen im Raum mit Virtual-Reality-Brillen.
Sie haben selbst eine Nische gefunden: Ihre Kochbücher.
Wenn ich nicht auf meine Kochbücher gekommen wäre, die ich auch illustriere, sowie die Reisen und Kochkurse dazu, hätte ich einen Berufswechsel machen müssen. Ich lebe von meinen Illustrationen, seit ich 29 bin. Selbst wenn man nicht reich damit wird, ist das ein Erfolg.
Was ändert das Ende der Zusammenarbeit mit der NZZaS an Ihrem Wochenplan?
Die Illustrationen haben mich drei Tage in der Woche beschäftigt. Zuerst kam das Thema, dann die Ideenfindung, eine oder mehrere Skizzen dazu und dann die Ausführung. Dann das Scannen und Kolorieren. Aber so oder so bleibe ich beschäftigt. Seit zwei Jahren bekomme ich die AHV und kann es mir leisten, bei Projekten mitzumachen, die nicht honoriert werden. Ich engagiere mich unter anderem im Verein Istanbuluzern.
Das Buch «Schweiz Europa Global. Gesellschaftspolitische Illustrationen. NZZ am Sonntag zu Themen der Zeit» kann man für 30 Franken plus Porto und Verpackung auf gabikopp.ch bestellen.