15.07.2024

Über die Sprachgrenze

Immer weniger Korrespondenten in der Deutschschweiz

Medienhäuser stehen unter finanziellem Druck. Nicht selten wird bei Korrespondentenstellen gespart – wie zuletzt bei Tamedia. Diese spielen aber eine wichtige Rolle, indem sie Entwicklungen aus anderen Sprachregionen für ihr Publikum kontextualisieren. Was bedeutet das für den nationalen Zusammenhalt?
Über die Sprachgrenze: Immer weniger Korrespondenten in der Deutschschweiz
Als der Sprecher der Kantonspolizei Zürich 2016 nach einer Schiesserei zu den Medien sprach, waren auch Korrespondentinnen aus der Romandie dabei. (Bild: Keystone/Ennio Leanza)

Medienkorrespondentinnen und -korrespondenten in anderen Sprachregionen sind wichtige Bindeglieder für die Schweiz. Sie erklären der Leserschaft ihrer Sprache, was einen anderen Teil des Landes gerade bewegt. Sie kontextualisieren die Informationen für ein Publikum, das nicht im gleichen Umfeld lebt.

Seit Anfang des Jahres deckt kein Korrespondent mehr das Geschehen in der Deutschschweiz für die Tamedia-Zeitungen der Romandie – 24 Heures und Tribune de Genève – ab. Diese Titel erreichen zusammen täglich insgesamt 341'000 Lesende in Print und online.

Der bisherige französischsprachige Korrespondent von Tamedia in Zürich hat beim Stellenabbau, der im letzten Herbst angekündigt wurde, seinen Posten freiwillig verlassen. Auf Anfrage schreibt Tamedia, dass noch nicht entschieden sei, ob die Stelle wieder besetzt wird. Der Entscheid könnte nach dem Sommer kommuniziert werden. Das Zürcher Medienhaus will, laut internen Quellen, dann über eine neue Strategie informieren.

Das erstaunt, denn die Deutschschweiz ist der grösste der Landesteile und wirtschaftlich und politisch ein Schwergewicht. Und so berichten die französischsprachigen Medien oft über die Region: Ein Drittel der Beiträge zeigt einen Blick über den Röstigraben. Umgekehrt sind es nur 13 Prozent, laut einer Studie des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) aus dem Jahr 2019.

Mehr Mobilität und Übersetzungen

Die Redaktorinnen und Redaktoren in Bern und Lausanne seien «mobil», heisst es weiter. Und die Publikationen können auch auf ein Übersetzungsteam zählen. So hat die Romandie hauptsächlich via Übersetzungen von der Polemik zur Entlassung des schwulen Lehrers von Pfäffikon (ZH) erfahren, um ein Beispiel zu nennen. Zu Übersetzungen greifen vermehrt auch andere Medien (persoenlich.ch berichtete). Und dadurch hätten Journalisten bereits ihren Job verloren, laut Information der Agentur AWP.

In der Romandie setzt Tamedia allerdings weiterhin auf einen Korrespondenten. Der langjährige Reporter jenseits des Röstigrabens, Philippe Reichen, ist zwar kürzlich zu SRF gewechselt. Tamedia hat die Stelle mit Benno Tuchschmid neu besetzt. Mit dem Wechsel auf dem Korrespondentenposten in Lausanne wolle Tamedia die Zusammenarbeit zwischen seinen Redaktionen in der Deutschschweiz und der Romandie intensivieren, hat Tamedia zu diesem Anlass geschrieben. Benno Tuchschmid werde «zu einem wichtigen Bindeglied».

Heisst das, der neue Korrespondent soll nicht nur über die französischsprachige Schweiz berichten, sondern auch zur Berichterstattung über die Deutschschweiz für die Romandie beitragen? Dazu wiederholt Tamedia auf Anfrage lediglich: «Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in der Romandie wird laufend intensiviert.»

Weniger auch bei Le Temps und Keystone-ATS

Insgesamt gibt es immer weniger Korrespondenten, die von der Deutschschweiz aus für die Romandie berichten. Die Zeitung Le Temps zählte vor zehn Jahren 3,8 Vollzeitstellen für die Abdeckung der Deutschschweiz. Heute ist es eine ganze Stelle weniger, teilt sie auf Anfrage mit. Und dies, obwohl es ein «reales Interesse für diese Themen gibt», schreibt Chefredaktorin Madeleine von Holzen. «Dies steht im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Deutschschweiz, ihrem politischen Gewicht und nicht zuletzt mit der kulturellen Dimension.»

Keystone-SDA zählt nach einer Rechnung von persoenlich.com noch 1,6 Vollzeitstellen für die Deutschschweiz-Korrespondenten – gegenüber 2,5 vor zehn Jahren. Die Nachrichtenagentur hat nach der Fusion mit Keystone im Jahr 2018 einen drastischen Stellenabbau durchgeführt. «Ein Vergleich über zehn Jahre ist schwierig wegen der tiefen Veränderungen in der Medienlandschaft in dieser Zeit», betont Federico Bragagnini, Chefredaktor der französischsprachigen Redaktion, auf Anfrage.

Perspektive vermisst

Bei RTS sind die Pensen der Korrespondenten leicht zurückgegangen. 2014 standen fünf Vollzeitstellen für die Abdeckung der Deutschschweiz zur Verfügung. Heute sind es noch 4,6, teilt RTS auf Anfrage mit.

Was bedeutet das für den nationalen Zusammenhalt? «Korrespondentenstellen haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion», sagt Daniel Vogler, Forschungsleiter am fög, gegenüber persoenlich.com. «Mit ihnen fördern die Medien das Verständnis für die ‹andere Seite›.» Bei Übersetzungen erfahre man zwar etwas über die «andere Seite», so der Experte weiter. «Aber es fehlt die Perspektive des Zielpublikums.»


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