Christoph Zimmer, Sie treten erstmals an einer Branchenveranstaltung in der Schweiz auf, seit Sie vor zwei Jahren zur Spiegel-Gruppe gewechselt sind. Wie weit weg sind für Sie Stellenabbau, Halbierungsinitiative und was die Schweizer Medien sonst noch beschäftigt?
Die strukturellen Entwicklungen sind in der Schweiz und in Deutschland dieselben. Print ist rückläufig, Digital wächst nicht mehr so stark, die Verlagerung von Werbe- zu Vertriebserlösen schreitet voran, die Plattformlandschaft ändert sich weiter in hohem Tempo. Das spüren wir beim Spiegel genauso wie die Medien in der Schweiz. Und es gibt auch in Deutschland eine hitzige Debatte um den Digitalauftritt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Wo unterscheiden sich die beiden Märkte?
Die Schweiz bewegt sich immer noch auf einem höheren Niveau, was die Tausenderkontaktpreise in der Werbevermarktung oder Preispunkte im Abo-Geschäft anbelangt. Umgekehrt erlaubt ein Markt der Grösse Deutschlands eine stärkere Spezialisierung, was eine Marke wie der Spiegel – mit ihrer Verbindung von hoher Reichweite und Relevanz – überhaupt erst ermöglicht.
Gibt es Themen, welche die Medienbranche in Deutschland ganz anders diskutiert als in der Schweiz?
Datenschutz hat in der EU und damit in Deutschland, wo die Zuständigkeit dafür ja auf Ebene der Bundesländer liegt, eine deutlich grössere Bedeutung als in der Schweiz. Eine staatliche Vertriebsförderung, wie die in der Schweiz heiss diskutierte indirekte Presseförderung, ist in Deutschland dagegen kein ernsthaft diskutiertes Thema. Die grundsätzliche Themenlage scheint mir hingegen vergleichbar.
«Wir teilten schon damals den Blick auf die Entwicklung des Marktes»
Die Spiegel-Gruppe holte Sie 2022 als Produktchef, um die «Pay-first-Strategie» voranzutreiben. Was brachten Sie von Ihrem ähnlich gelagerten Job bei Tamedia mit, das Sie für die Aufgabe in Hamburg qualifizierte?
Wir teilten schon damals den Blick auf die Entwicklung des Marktes: mit einem klaren Fokus auf Bezahlmedien, auf die mobile Nutzung und auf die zunehmende Bedeutung des digitalen Ökosystems um uns Medien herum für die Entwicklung neuer Produkte. Und auch die Überzeugung, dass sich die Medienmärkte weiter ausdifferenzieren werden und eben nicht jede Marke, egal ob eine kleine Regionalzeitung, ein Fachmedium oder ein nationales Angebot, gleich funktionieren wird.
Wie gross war der Kulturschock, als Sie von der börsennotierten Tamedia/TX-Group zur mitarbeitergeführten Spiegel-Gruppe kamen?
Es gibt ja auch Dinge, die die beiden verbinden: Zum Beispiel haben Spiegel und TX Group/Tamedia die vermutlich beste Kantine eines Medienunternehmens in ihrem Land. Aber im Ernst: Klar, es gab und gibt einige Unterschiede. Die TX Group ist breiter diversifiziert, was zu einer stärkeren Portfolio-Perspektive führt und zu einer hohen Professionalisierung in den dafür zuständigen Bereichen. Das war immer ein Eckpfeiler des Erfolgs. Die Spiegel-Gruppe ist dagegen deutlich stärker auf ihre Marken Spiegel, Manager Magazin und Harvard Business Manager ausgerichtet. Deshalb geht es vor allem um deren Weiterentwicklung. Als im vergangenen Jahr das Fussballmagazin 11Freunde zur Spiegel-Gruppe stiess, war das hingegen eine Premiere. Seit dem 1. Januar gehört nun auch das Genussmagazin Effilee dazu. Für mich war die grösste Veränderung jedoch, nicht alle und jeden zu kennen.
Viele Verlage stehen heute vor der Herausforderung, dass die digitalen Erträge zwar zunehmen, aber zu wenig, um die Verluste aus dem Printgeschäft zu kompensieren. Wie sieht es diesbezüglich bei der Spiegel-Gruppe aus?
Diese Transformation gelingt uns bisher ganz gut. Der Umsatz der Spiegel-Gruppe entwickelte sich die letzten Jahre leicht rückläufig, was unter anderem natürlich auch am Rückgang des Printgeschäfts lag. Der Gewinn lag 2023 hingegen auf einem vergleichbaren Niveau wie vor den Covid-19-Jahren, die ja in jeder Hinsicht aussergewöhnlich waren. Und dies trotz der Investitionen in die Marken, des gezielten Ausbaus beim Personal sowie der steigenden Kosten.
«Wir arbeiten gezielt daran, das Angebot für unsere Nutzerinnen und Nutzer auszubauen»
2023 erzielte die Spiegel-Gruppe erstmals mehr Digital- als Printumsatz im Markt. Ist das auf die Schwäche von Print oder die Stärke von Online zurückzuführen?
Auf beides. Der Rückgang in Print war 2023 etwas stärker als erwartet, im vergangenen Jahr entwickelte sich das Heft wiederum etwas stabiler als prognostiziert. Das digitale Wachstum geht weiter, allerdings nicht mehr so kräftig wie in den ersten Jahren nach dem Start der Pay-Strategie. Alles andere wäre ja auch eine Überraschung. Deshalb arbeiten wir gezielt daran, das Angebot für unsere Nutzerinnen und Nutzer auszubauen, seit dem vergangenen Jahr etwa mit dem Magazin 11Freunde, das Spiegel-Abonnentinnen und -Abonnenten gratis mitbenutzen können, mit den neuen Spiegel Extras, die an jedem Werktag einen anderen Nutzwert wie Loveletter, Gesundheit & Fitness oder Work bieten. Oder derzeit gerade mit einem neuen Angebot zu Essen und Geniessen, das im Frühjahr rund um die zu uns gestossene Marke Effilee entstehen wird.
Während der gedruckte Spiegel immer noch aussieht wie ein Nachrichtenmagazin, kommt spiegel.de als Gemischtwarenladen daher. Im kostenpflichtigen Onlineangebot finden sich Artikel aus allen Titeln der Gruppe, etwa aus dem Manager Magazin oder dem Fussballmagazin 11Freunde. Verwässern Sie damit nicht den Markenkern?
Unsere aktuelle Markenforschung zeigt, dass der Spiegel nicht nur eine sehr hohe Markenbekanntheit hat, sondern im Wettbewerbsvergleich bei regelmässigen Nutzerinnen und Nutzern gerade in den Dimensionen Relevanz und Objektivität hervorragend abschneidet. Wie stark wir auch digital mit Nachrichten assoziiert werden, zeigen zudem die Zugriffszahlen bei Breaking News und grossen Lagen. Unsere Nutzungszahlen schnellen dann jeweils überdurchschnittlich in die Höhe. Aber die Frage ist natürlich trotzdem berechtigt. Wir sind überzeugt, dass Medien mehr sein müssen als Newsplattformen. Wir wollen unsere Leserinnen und Leser durch ihren Alltag begleiten und dazu gehört eben auch, sie nicht nur als politisch-interessierte Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, sondern auch als Menschen, die sich Gedanken über ihre Beziehung, das nächste Spiel ihres Lieblingsklubs oder ihre beruflichen Aussichten machen. Deshalb bauen wir das Angebot gezielt aus, mit neuen Inhalten unter der Marke Spiegel genauso wie mit 11Freunde und Effilee. Wir glauben daran, dass daraus ein Mehrwert entsteht, ohne dass wir unseren Markenkern schwächen.
Der Geschäftsführer der Spiegel-Gruppe, Stefan Ottlitz, will 2025 den digitalen Vertriebsumsatz auf 75 Millionen Euro steigern, 2023 lag er bei 56,5 Millionen. Was ist Ihr Beitrag als Produktchef, um dieses «ehrgeizige Ziel» – wie es Ottlitz nannte – zu erreichen?
Als Gruppe, über alle Marken hinweg, werden wir dieses Ziel erreichen. Ich denke wir werden diesem Wert auch beim Spiegel nahekommen und ihn zum Jahresende hin auf Monatsbasis erreichen. Basis dafür ist die hervorragende Arbeit der Redaktion, die gute Zusammenarbeit im Haus bei der Weiterentwicklung von Prozessen und Produkten, der skizzierte Ausbau des Angebots. Und dann ist es wie überall viel Arbeit, die aber Spass macht, gerade weil die Produktrolle sehr breit angelegt ist.
«Wir arbeiten intensiv an der Ansprache neuer, jüngerer Nutzerinnen und Nutzer»
Anders als bei Print, der sich in der Vergangenheit stark über Werbung finanzierte, kommt der Digitalerlös mehrheitlich aus dem Nutzermarkt. Wie und wo findet die Spiegel-Gruppe ein zahlungsbereites und treues Publikum?
Geografisch finden wir unsere Abonnentinnen und Abonnenten in Deutschland, der Schweiz und Österreich, in dieser Reihenfolge. Inhaltlich finden wir sie mit den grossen Geschichten und unseren lebensnahen Nutzwert-Inhalten. Damit das weiterhin gelingt, arbeiten wir gemeinsam mit der Redaktion intensiv an der Ansprache neuer, jüngerer Nutzerinnen und Nutzer. Darauf zahlt zum Beispiel unser neuer Audio-, Video- und Social-Podcast «Shortcut» ein, genauso aber die Aktion zu 30 Jahre Spiegel.de, bei der wir 30’000 Menschen unter 30 Jahren einen kostenlosen Zugang geschenkt haben.
Inwiefern hilft künstliche Intelligenz, mehr Abo-Abschlüsse zu generieren?
Klar, wir testen unter anderem auch bei der Paywall, wie wir z.B. mit intelligenten Scoring- und Segmentierungsmodellen mehr Abschlüsse erzielen können. Aber die grosse Veränderung durch KI kommt nicht im Verkauf, sondern in ihrem Einfluss auf das digitale Ökosystem. Die zentrale Frage ist doch: Wie verändert sich durch KI die Kommunikation von Nutzerinnen und Nutzern mit Inhalten ganz generell, was heisst das für Interfaces und die Plattformen. An diesen Themen arbeiten wir.
Seit Anfang 2024 sind Sie Mitglied der Geschäftsführung des Fussballmagazins 11Freunde, an dem die Spiegel-Gruppe die Mehrheit hält. Mussten Sie als Neo-Hamburger schon Farbe bekennen: St. Pauli oder HSV?
Ich wohne in Hamburg nur wenige Meter vom Millerntor-Stadion entfernt, insofern läge St. Pauli nahe. Aber wie alle, die mich kennen, wissen: Ich bin definitiv nicht wegen meiner Fussballkompetenz einer der Geschäftsführer von 11Freunde geworden. Dafür gibt es zum Glück genügend Wissen und Begeisterung in der echt tollen Redaktion in Berlin.
«Ich bin im Schnitt jede zweite Woche in Hamburg»
Beim Wechsel nach Hamburg hatten Sie den Plan, die Hälfte der Zeit aus der Schweiz zu arbeiten. Sind Sie Pendler geblieben oder sesshaft geworden an der Elbe?
Ich pendle weiterhin, meine Familie lebt nach wie vor in der Schweiz und ich bin im Schnitt jede zweite Woche in Hamburg. Ich empfinde es als Privileg, mich zwischen diesen zwei unterschiedlichen Welten bewegen zu können. Dieses Jahr kommen zudem meine älteren Töchter für einige Monate mit mir nach Hamburg und besuchen dort das Gymnasium, dann bin ich vorübergehend etwas öfter in Deutschland. Darauf freue ich mich.