Blick
«Noch bevor das Verhandlungsergebnis überhaupt auf dem Tisch lag, wurde das Abkommen zerredet und zerpflückt. Der Bundesrat hielt stur an seiner Nicht-Kommunikation fest. Ein groteskes Verhalten in einer Zeit des Dauersendens, in der jede Lücke gnadenlos gefüllt wird. Nun schlägt die Stunde der Wahrheit: Schluss mit ‹Low Level›! Hat der Bundesrat mehr Lust zu erklären, warum es aus seiner Sicht ein Abkommen braucht? Wollen Cassis und Co. die Debatte drehen? Wenn ja, braucht der Bundesrat eine Strategie, wie er Parlament und Volk vom EU-Deal überzeugen will. Vor allem aber muss er ehrlich aufzeigen, welche Verpflichtungen die Schweiz eingeht. Was das Land gewinnt – und was es verliert. Oder haben im Bundesrat längst die Skeptiker das Sagen? Glaubt die Mehrheit insgeheim gar nicht mehr an den Erfolg eines neuen Abkommens? Auch dann wäre Ehrlichkeit gefragt. Sonst werden die Endlos-Konsultationen nach den Endlos-Verhandlungen zur Alibiübung.»
Handelszeitung
«Die Bundesräte haben zu Recht auf den grösseren Zusammenhang der ganzen Übung hingewiesen. Da sind zum einen die wirtschaftlichen Abhängigkeiten: Die Schweiz ist sehr eng mit der EU verflochten – beim Handel, bei den Wertschöpfungsketten und bei der Personenfreizügigkeit. Unsere Unternehmen sind auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen und sie tragen zu unserem Wohlstand bei. Und dann gibt es da den geopolitischen Kontext: Die Welt spaltet sich immer stärker in sich feindlich gesinnte Blöcke auf. Da ist es nicht ratsam, sich der Zusammenarbeit mit Europa zu verweigern; jenem Block, der uns historisch und wirtschaftlich am nächsten steht und für uns am wichtigsten ist. (…) Dass die erzielte Einigung die Debatten in der Schweiz fundamental verändert, ist nicht zu erwarten. Wer auf kompletter Eigenständigkeit in der Rechtssetzung der Schweiz beharrt – bei der Zuwanderung, wie bei Regeln in anderen Bereichen des bilateralen Austauschs – wird mit dem Erreichten unzufrieden sein und es ablehnen. Mit einer solchen Haltung ist aber jeder Versuch, eine geregelte Übereinkunft zu finden, zum Scheitern verurteilt. Zum einen kann die EU der Schweiz nicht mehr anbieten, als die eigenen Mitgliedsländer zu befolgen haben. Zum zweiten existiert eine komplette Unabhängigkeit in keiner Art von Beziehung.»
NZZ
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt, dass dem Vorsteher des Departements für Auswärtige Angelegenheiten, Ignazio Cassis, das kommunizieren «etwas verleidet» sei: «Beim Besuch der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte er guten Tag und auf Wiedersehen. Später, bei der Medienkonferenz, die er gemeinsam mit Justizminister Beat Jans und Wirtschaftsminister Guy Parmelin bestritt, betonte er, wie wichtig stabile und geregelte Beziehungen mit der EU seien. Die Welt sei instabil genug.» Der fehlende Enthusiasmus sei so auffällig gewesen, dass Cassis von Journalisten darauf angesprochen worden sei, schrieb die Zeitung. «Es handle sich um ein sensibles Thema, aber er könne der allgemeinen Zufriedenheit des Bundesrats über das Ergebnis Ausdruck verleihen», sei die Antwort des Bundesrates gewesen.
Schweiz am Wochenende
«(…) Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist klar, wo die Schweiz steht: auf der Seite der EU. Wir teilen Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir sind keine Insel der Glückseligen, sondern mitten in Europa – hochgradig vernetzt. (…) Vor dem Hintergrund der unsicheren geopolitischen Lage verstand auch die EU, dass die Schweiz eine verlässliche Partnerin ist und gute Beziehungen auch in ihrem Interesse sind. Ja, der Bundesrat respektive seine Unterhändler haben hervorragend verhandelt. In wesentlichen Punkten sind die neuen Abkommen besser als der gescheiterte Rahmenvertrag. Massgeschneidert umschreibt dies am besten. (…) Diese Abkommen verdienen mehr als Schlagworte - sie verdienen eine echte Diskussion.»
SRF
«Im Frühling 2021 tat der Bundesrat etwas, was sich die EU nicht gewohnt ist: Die Schweizer Regierung brach die Verhandlungen über das Rahmenabkommen ab. Rückblickend sind sich viele einig: Es war damals der wohl richtige Entscheid. Denn das nun vorliegende Vertragspaket mit der EU ist substanziell besser als das Rahmenabkommen. Die Schweizer Unterhändler haben zwar nicht alles, aber dennoch einiges erreicht. (…) Doch der Widerstand ist nicht kleiner geworden. Neben den kritischen Gewerkschaften und der SVP, die neue Verträge mit der EU kategorisch ablehnt, mischen nun auch deutlich mehr skeptische Unternehmer mit. (…) Wenn die Gewerkschaften die neuen Verträge mit der EU am Schluss nicht unterstützen, gibt es innenpolitisch keine Mehrheit.»
Tages-Anzeiger
«(…) Die grosse Schlacht um das Vertragswerk beginnt erst jetzt – mit der alles entscheidenden Debatte im Inland. Dafür ist der Bundesrat nicht schlecht gewappnet. (…) Entsprechend sind von den meisten Parteien vorsichtig-optimistische Voten zu hören. (…) Für die richtig heissen Eisen hat der Bundesrat noch keine Lösungen präsentiert. So weiss er noch nicht, wann und wie die Schutzklausel gegen zu hohe Zuwanderung zur Anwendung kommen soll. Zudem hat er noch nicht entschieden, ob die vier Abstimmungsvorlagen dem Ständemehr unterstellt werden sollen oder nicht. Ob sie mehrheitsfähig sind, ist daher zum heutigen Zeitpunkt unklar. Im Vorteil sind aktuell die Gegner. Sie dominieren die öffentliche Debatte mit ihrer wuchtig vorgetragenen Kritik am «Kolonialvertrag». Dass der Bundesrat und die Befürworter in der Defensive sind, ist selbst verschuldet. Aussenminister Ignazio Cassis, der oberste Botschafter dieses Vertragswerks, ist während der Verhandlungen abgetaucht (…).»
Le Temps / La Liberté
«Dieser 20. Dezember ist ein Tag zum Feiern, egal was man über dieses Abkommen sagen mag», schreibt Le Temps. «Die Schlacht wird später geschlagen», so die Zeitung, die an die «tiefe» Verflechtung der Schweiz mit Europa und den «grundlegenden» Zugang zum Schweizer Markt erinnert. Die Tageszeitung ist auch der Meinung, dass die Aufteilung des ausgehandelten Pakets «geschickt» sei, um die Chancen zu erhöhen, dass das Ganze eines Tages ratifiziert wird. «Diese Debatte hat gerade erst begonnen.» Auch La Liberté betont, wie sehr die Schweiz Europa brauche. Als Beispiel nennt die Freiburger Tageszeitung das Prinzip der Personenfreizügigkeit, das «auf die Schweiz zugeschnitten» sei und der Schweiz «unverzichtbare» Arbeitskräfte sichere. Auch der Zugang zu den europäischen Bildungs-, Forschungs- und Innovationsprogrammen sei für die Schweizer Universitäten «lebenswichtig». Die Zeitung zeigt sich stolz auf die Bedeutung der Schweiz für Brüssel: «Die EU, so gross sie auch sein mag, kann auf uns nicht verzichten», heisst es in dem Artikel.
Tribune de Genève / 24 Heures
In der Tribune de Genève und in 24 Heures weicht die Euphorie der Skepsis. «Natürlich ist es wichtig, unsere Beziehungen zu Brüssel zu festigen und zu stabilisieren (…). Aber das Argument wird schon so lange wiederholt, dass es an Gewicht verliert», schreiben die beiden Genfer Titel. Um die Schweizer zu überzeugen, brauche es «engagierte und selbstbewusste» Personen, die aber «durch Abwesenheit und Schweigen glänzen». Man sucht also nach dem Funken, der die europhilen Flammen neu entfachen kann, um dieses Paket zu retten», hiess es. Diejenigen, die es in die Luft sprengen wollen, würden seit Jahren Kampagnen führen. (sda/cbe)