07.10.2025

Studie

Schweizer wünschen sich anderen Journalismus

Eine aktuelle Erhebung des Marktforschungsinstituts Marketagent zeichnet ein deutliches Bild der Medienlandschaft: Die Bevölkerung ist erschöpft von der ständigen Flut negativer Nachrichten. Während reisserische Schlagzeilen kurzfristig Aufmerksamkeit erregen, wächst der Wunsch nach einem konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus.
Studie: Schweizer wünschen sich anderen Journalismus
Über die Hälfte der Schweizer fühlt sich von der täglichen Informationsflut erschöpft. (Bild: Keystone/Gaëtan Bally)

Die digitale Nachrichtenflut hinterlässt Spuren: Mehr als die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer (56,3 Prozent) fühlt sich von der Menge an Nachrichten «eher schon» oder «auf jeden Fall» erschöpft, wie aus einer repräsentativen DACH-Studie von Marketagent hervorgeht. Die vorherrschenden Emotionen beim Nachrichtenkonsum sind negativ: Sorge (46,3 Prozent), Ärger (44,6 Prozent) und Wut (34,4 Prozent) dominieren die Gefühlswelt der Rezipienten.

Thomas Schwabl, Founder von Marketagent, sieht darin ein grundlegendes Problem, wie er gegenüber persoenlich.com sagt: «Für uns ist besonders bemerkenswert, dass das Bedürfnis nach Nachrichten weiterhin sehr hoch ist – 86 Prozent interessieren sich zumindest eher für aktuelle Themen. Gleichzeitig zeigt sich aber eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach fundierter Einordnung und der Realität des Nachrichtenkonsums.»

Der Widerspruch des Klicks

Ein interessanter Widerspruch zeigt sich im Umgang mit Schlagzeilen. Obwohl knapp 40 Prozent der Befragten finden, dass reisserische Titel nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun haben, gibt gleichzeitig gut jeder Fünfte (20,7 Prozent) zu, bei solchen Überschriften doch «tendenziell häufiger hängenzubleiben». In der Schweiz ist der reine Schlagzeilenkonsum mit 38,8 Prozent, bei dem «häufig» oder «fast immer» nur die Überschrift gelesen wird, im DACH-Vergleich am höchsten.

Schwabl erklärt dieses Paradox: «Dieser scheinbare Widerspruch ist ein klassisches Beispiel für das Spannungsfeld zwischen rationalem Anspruch und emotionalem Verhalten. Intellektuell wissen viele Menschen, dass reisserische Schlagzeilen selten Qualitätsjournalismus sind, dennoch wecken sie Aufmerksamkeit und Neugier. Das zeigt, wie stark emotionale Trigger den Medienkonsum beeinflussen.»

Der Ruf nach Lösungen und Objektivität

Was also erwartet das Publikum? Die Daten der Studie, die persoenlich.com exklusiv vorab vorliegen, belegen einen klaren Wunsch nach konstruktiven Ansätzen. Fast 60 Prozent der Befragten finden es wichtig, dass ein Thema von mehreren Seiten beleuchtet wird, um objektiver zu bleiben. Zudem wünschen sich 47,3 Prozent einen Verzicht auf zynische und angstfördernde Berichterstattung. Ebenso viele möchten, dass neben Problemen auch mögliche Lösungen und langfristige Entwicklungen aufgezeigt werden.

Für den Schweizer Markt sieht Schwabl darin eine klare Richtung: «Dass fast 39 Prozent in der Schweiz häufig nur Schlagzeilen lesen, ist kein Widerspruch zum Wunsch nach mehr Hintergrund. Es verdeutlicht vielmehr ein Zeit- und Aufmerksamkeitsproblem: Man möchte informiert bleiben, aber nicht in der Nachrichtenflut untergehen. Für den Schweizer Medienmarkt bedeutet das: Wer komplexe Themen verständlich, kompakt und gleichzeitig lösungsorientiert aufbereitet, hat beste Chancen, das Publikum abzuholen. Kurze Formate mit Substanz sind hier der Schlüssel.»

Skepsis gegenüber künstlicher Intelligenz

Dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Journalismus stehen die Nutzer skeptisch gegenüber. Eine überwältigende Mehrheit von knapp 80 Prozent in der Schweiz wünscht sich eine klare Kennzeichnung von Beiträgen, die mithilfe von KI erstellt wurden. Nur eine kleine Minderheit glaubt, dass KI-generierte Nachrichten konstruktiver (35,4 Prozent) oder vertrauenswürdiger (26,8 Prozent) sind.

Schwabl plädiert für einen transparenten Umgang: «Künstliche Intelligenz wird im Journalismus künftig eine Rolle spielen – daran führt kein Weg vorbei. Unsere Studie zeigt aber klar: Vertrauen entsteht nur durch Transparenz. Wenn gekennzeichnet ist, wo KI im Einsatz ist, und wenn die Inhalte nachvollziehbar, überprüfbar und qualitativ hochwertig bleiben, kann KI sogar unterstützen – etwa durch Datenaufbereitung oder Fact-Checking.» Die menschliche journalistische Einordnung bleibe jedoch zentral, gerade beim konstruktiven Journalismus.

Zur Studie

Für die repräsentative Erhebung von Marketagent wurden im Februar 2025 insgesamt 3000 Personen zwischen 18 und 75 Jahren in der DACH-Region online befragt, davon 1000 in der Schweiz. Die Untersuchung umfasste 50 Fragen zum Nachrichtenkonsum und zur Wahrnehmung von konstruktivem Journalismus.


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KOMMENTARE

Stefan Frey
09.10.2025 18:24 Uhr
Vielleicht würde es ja schon ein guter Anfang sein, wenn in solchen Artikeln auf Anglismen oder Amerikanismen verzichtet würde. Warum zum Teufel muss ein Gründer plötzlich Founder heissen? Zugegeben, das Beispiel ist harmlos, aber nach eigener Beobachtung strotzen die reisserischen Artikel geradezu davon. Unlesbar.
Victor Brunner
07.10.2025 15:14 Uhr
Vor allem wünschen sich viele einen Journalismus der informiert und nicht belehrt! Das "wir müssen" muss weg!
Basil Weiss
07.10.2025 10:46 Uhr
Was nützt es mir, konstruktive, aufwändig produzierte Inhalte anzubieten, wenn sie dann doch nicht gelesen werden? Solche Wünsche klingen für mich eher wie der Wunsch nach tierwohl-produziertem Fleisch, das dann doch nicht gekauft wird, da es mehr kostet.
Claude Bürki
07.10.2025 08:45 Uhr
Overnewsed, undermeinungsgebildet – ja, macht Schluss mit dem Bad-News-Overkill.
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