Andreas Mösli, was war Ihre erste Reaktion, als Tamedia angekündigt hatte, den Landboten online nicht mehr weiterzuführen und die Redaktion in Zürich zu integrieren?
Durch Gespräche im Vorfeld mit betroffenen Medienschaffenden hatte ich eine Ahnung, in welche Richtung es gehen könnte. Deshalb war ich weniger geschockt, eher fassungslos und enttäuscht, weil meine Befürchtungen sogar noch übertroffen worden sind.
Wirklich überrascht waren Sie also nicht. Wieso?
Leider entwickelt sich die Branche durch die wirtschaftliche Entwicklung und die politische Stimmung mit wenigen Ausnahmen in eine andere Richtung. Die jüngste Hiobsbotschaft von Tamedia ist nur eine logische Konsequenz einer jahrelangen Abbaustrategie.
«Ich bin immer mehr von der Wichtigkeit eines starken Journalismus überzeugt»
Was geht damit verloren?
Als politisch denkender und freiheitsliebender Bürger, langjähriger Journalist und Kommunikationsverantwortlicher bin ich mehr denn je von der Wichtigkeit eines starken, unabhängigen und kritischen Journalismus überzeugt. Freier Zugang zu Informationen, freie Meinungsäusserung und eine kritische Haltung gegenüber den Mächtigen sind Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie.
Sie sind Leiter Kommunikation vom FC Winterthur. Wie wichtig ist eine lokale Zeitung für einen Fussballklub?
Lokale Medien sind sehr wichtig, nicht nur für den Fussball, für alle Lebensbereiche. Es geht um Informationen, Wissen, Teilhabe und Verständnis, was warum in unserer Stadt geschieht. Lokaljournalismus erklärt uns, wie die Welt vor der Haustür funktioniert – also dort, wo die Menschen am direktesten betroffen sind und am meisten bewirken können. Bevor man sich als Bürger:in eine Meinung bilden und entsprechend handeln kann, braucht es Informationen von möglichst unabhängigen und transparent funktionierenden Medien, die das Geschehen und die handelnden Personen und Institutionen von möglichst vielen Seiten kritisch beleuchten. Damit meine ich nicht nur Zeitungen, sondern auch Radio, TV und Onlineplattformen.
Welche Auswirkungen befürchten Sie insbesondere für den FCW infolge der Fusion der Tamedia-Redaktionen?
Es geht nicht primär um den FCW. Immerhin haben wir als Sportverein Nummer eins in der Region und als Super-Ligist mit nationaler Ausstrahlung die Argumente noch auf unserer Seite. Die seit Jahren laufenden Abbaumassnahmen führen aber dazu, dass weniger populäre Sportarten sowie die kleineren Vereine immer weniger wahrgenommen werden. Ich weiss nicht, wie lange Vereine wie Pfadi Winterthur, EHC Winterthur oder HC Rychenberg noch medial begleitet werden – geschweige denn die Frauen-Abteilungen der Klubs oder lokale Attraktionen wie zum Beispiel die Fussballderbys in der 2. Liga zwischen Töss, Phönix-Seen, Veltheim, Seuzach und Wiesendangen.
«Kleinere Lokalmedien erreichen nicht die nötige Breite und Tiefe»
Aber es gibt ja in Winterthur eine ganze Reihe lokaler Medien.
Die Mediensituation in Winterthur ist sehr speziell: Die einst komfortable Konkurrenzsituation mit fünf lokalen Tageszeitungen ist schon lange Geschichte, seit vielen Jahren gibt es nur noch den Landboten, der täglich über Winterthur berichtet. Der Tages-Anzeiger und die NZZ, deren Redaktionen nur wenige Kilometer von Winterthur entfernt liegen, behandeln die grösste Nicht-Kantonshauptstadt der Schweiz aus der Vogelperspektive oder anders gesagt: wie ein Provinznest. Die anderen lokalen Medienunternehmen wie Radio/Tele Top, Radio Stadtfilter, das Gratiswochenblatt Winterthurer Zeitung oder das Kulturmagazin Coucou sind zwar wichtig, erreichen aber nicht die nötige Breite und Tiefe, …
… die der Landbote bisher erreichte.
Genau. In Anbetracht dieser Situation ist der Landbote sehr wichtig für den FCW, um auf die Frage zurückzukommen. Dank seines professionellen Anspruchs und seiner breiten Verankerung in der Region konnte er das sportliche, unternehmerische und gesellschaftliche Geschehen rund um die Schützenwiese regelmässig und in allen Facetten begleiten. Diese umfangreiche und seriöse Berichterstattung bröckelt aber seit Jahren, weil die Ressourcen seit Jahren schleichend abgebaut werden.
Der angekündigte Abbau von Tamedia sorgt für viel Kopfschütteln und Bedauern. Aber konkrete Aktionen gibt es wenige. Wie erklären Sie sich das?
Die Medien sind längst zu Profitmaschinen geworden, bei denen für die Unternehmen nicht die Lust und die Leidenschaft zum Journalismus im Vordergrund steht, sondern die Rendite. Entsprechend geht es bei den Diskussionen immer nur um wirtschaftliche Rentabilität. Viele Menschen fühlen sich überfordert, wenn es um Wirtschaftsthemen geht, weil die Wirtschaft nicht mehr ein Teil der Gesellschaft ist. Aber diese Entwicklung betrifft ja nicht nur die Medienbranche.
«Die Medienlandschaft in Winterthur gibt schon seit vielen Jahren immer wieder zu reden»
Den Aufruf in Winterthur haben mittlerweile über 1000 Personen unterschrieben. Wie ordnen Sie die Zahl ein?
Wir sind überrascht, dass der allgemein gehaltene Aufruf, den wir nur in unseren eigenen Kreisen lanciert hatten, eine solche grosse und breite Resonanz findet. Angesichts der dramatischen Entwicklung wundert mich das Echo aber überhaupt nicht. Die Medienlandschaft in Winterthur gibt schon seit vielen Jahren immer wieder zu reden.
Ein Aufruf ist schnell unterschrieben. Sind die Leute auch bereit, für ein potenzielles Lokalmedium etwas zu zahlen oder sich auf sonstige Weise zu engagieren?
Wir haben in unserem Aufruf bewusst auch die Bereitschaft zum Engagement abgefragt – wenn auch nur grundsätzlich. Tatsächlich wäre ein grosser Teil der Unterzeichnenden bereit, finanziell oder ideell mitzuhelfen und zum Beispiel für ein Onlineangebot zu zahlen.
Wie auch im Aufruf steht, geht die Medienkrise weit über Winterthur hinaus. So wichtig Journalismus auch ist, kann er noch rentabel sein?
Die Frage ist für mich mehr: Wie rentabel muss Journalismus sein? Meiner Meinung nach muss ein Teil des Medienbereichs klar aus dem profitorientierten Hamsterrad herausgenommen werden. Journalismus darf nicht Zweck zur Profitmaximierung sein. Guter Journalismus gehört zu den elementaren Pfeilern einer funktionierenden Demokratie. Das ist wie im Gesundheits- oder Bildungswesen. Was ist wichtiger: Gesundheit und Bildung für alle oder profitabwerfende Spitäler und Schulen? Das sind wichtige politische Diskussionen, die noch viel breiter und offener geführt werden müssen.
«Guter Journalismus muss uns allen etwas wert sein»
Aber qualitativ hochstehende Angebote gibt es nicht gratis, weder im Gesundheits- und Bildungswesen noch in den Medien.
Das stimmt. Aber gerade in den Medien hat uns eine unsägliche Gratis-Mentalität überkommen. Es ist paradox und war aber sicher einer der Kardinalsfehler der Branche, dass die Medienunternehmen ihre Onlineangebote viel zu lange für alle gratis offen hielten. Guter Journalismus muss uns allen etwas wert sein.
Wie geht es nun weiter mit dem Aufruf in Winterthur? Simon Jacoby von Tsüri.ch schlägt ein «Winti Briefing» vor, nach dem Modell des täglichen Newsletters «Züri Briefing». Kostenpunkt 100'000 Franken pro Jahr. Was halten Sie von der Idee?
Es gibt verschiedene gute Ideen und Möglichkeiten. Ich fühle mich zum heutigen Zeitpunkt nicht befähigt, einzelne Vorschläge zu bewerten. Wir haben unseren Aufruf bewusst offen gestaltet, in der Hoffnung auf eine breite Diskussion. Wir wollen aufrütteln, verbinden und verbünden, damit etwas Konkretes entstehen kann. Entscheidend sind drei Fragen: Was sind die Bedürfnisse in Winterthur? Wie können sie befriedigt werden? Und wie kann man die Finanzierung sichern?
KOMMENTARE
17.10.2024 09:31 Uhr
15.10.2024 22:22 Uhr
15.10.2024 18:09 Uhr