12.02.2025

UKW-Aus

Was Norwegen der Schweiz voraus hat

Die SRG-Radios sollen nach der UKW-Abschaltung massiv Hörer verloren haben. Die Erfahrungen aus dem hohen Norden zeigen, wie sich die Hörerzahlen nach der Umstellung entwickeln können – und wie unterschiedlich die Ausgangslage in der Schweiz ist.
UKW-Aus: Was Norwegen der Schweiz voraus hat
Während in Norwegen nur etwa 60 Prozent der Neuwagen mit DAB+-Radios ausgestattet waren, sind es in der Schweiz rund 80 Prozent, seit 2021 gar nahezu 100 Prozent. (Bild: Keystone/Michael Buholzer)

Die jüngst vom Tages-Anzeiger publizierten Zahlen über angeblich massive Hörerverluste bei den SRF-Radiosendern nach der UKW-Abschaltung sorgen für Aufregung. Die Analyse des Tages-Anzeigers hatte zwar mehrere methodische Schwächen (persoenlich.com berichtete). Dennoch ist unbestritten: Einen Taucher der Hörerzahlen gibt es. Wie tief dieser ist, lässt sich momentan aber nicht seriös beziffern.

Doch wie schnell erholen sich diese Werte wieder – wenn überhaupt? Ein Blick nach Norwegen hilft, erste Rückschlüsse zu ziehen. Im Jahr 2017 führte das Land als weltweit erster Staat die DAB-Technologie als Nationalstandard ein und schaltete – bis auf kleine Lokalsender – alle UKW-Stationen ab. Die Zahlen aus einem Bericht der internationalen gemeinnützigen Organisation World DAB zeigen einen klaren Verlauf: Im Januar 2018 sank die tägliche Radionutzung von 68 auf 57 Prozent, während die wöchentliche Reichweite von 93 auf 81 Prozent zurückging. Nach einer Übergangsphase von etwa einem Jahr stabilisierten sich die Werte wieder. Ende 2018 pendelten sich die Zahlen bei 62 bis 64 Prozent täglich und 86 bis 88 Prozent wöchentlich ein. Absolute Hörerzahlen nennt die Studie nicht.

«Die Übergangsphase und insbesondere das folgende Jahr waren herausfordernd», schreibt World DAB in seinem Bericht, der 2019 erstellt und 2020 aktualisiert wurde. «Die gesamte Radionutzung ist 2019 wieder auf einem ähnlichen Niveau wie 2016.» Die Daten zeigen, dass sich die jüngeren und älteren Hörergruppen am schnellsten an die neue Situation anpassten.

Andere Voraussetzungen in der Schweiz

Die Ausgangslage in Norwegen unterscheidet sich von der heutigen Situation in der Schweiz: «Die Digitalisierung des Radiokonsums war damals in Norwegen viel tiefer als heute in der Schweiz», erklärt Marco Derighetti, Leiter Operations bei der SRG, auf Anfrage von persoenlich.com. «Ein Unterschied zu Norwegen ist, dass in der Schweiz vor einigen Jahren bereits die Mittelwelle abgeschaltet wurde. Das betraf zwar mit der Musigwälle nur einen Sender, aber damit hat ein gewisses Hörersegment schon damals auf DAB gewechselt», ergänzt Medienprofessor Manuel Puppis.

Während in Norwegen nur etwa 60 Prozent der Neuwagen mit DAB+-Radios ausgestattet waren, sind es in der Schweiz rund 80 Prozent, seit 2021 gar nahezu 100 Prozent. In der Schweiz nutzen bereits seit Jahren über 80 Prozent der Hörerschaft digitales Radio. «Wir haben weniger als 10 Prozent der Nutzer, die ausschliesslich auf UKW Radio konsumieren», so Derighetti.

Mehr Programme durch Digitalisierung

In Norwegen stieg durch DAB die Zahl der landesweit empfangbaren Programme von 5 auf 32 Sender. Diese neuen Stationen erreichen heute einen Anteil von 36 Prozent der gesamten Hörzeit. Der öffentlich-rechtliche Sender NRK schaltete UKW drei Monate vor den Privatradios ab. «So hatten die Nutzerinnen und Nutzer mehr Zeit, ihre Radios umzurüsten und die kommerziellen Einbussen für die Privatradios wurden minimiert», erklärt Derighetti.

Nicht zu bestreiten sei, dass der Wechsel in der Schweiz von UKW auf DAB+ bei den Nutzern viel rascher zu erreichen wäre, wenn die gesamte Branche vereint und zeitnah agieren würde, so Derighetti. Die Zeitspanne von zwei Jahren für die vollständige Umstellung – die SRG hat bereits abgeschaltet, die Privatradios folgen bis 2026 – sei aus seiner Sicht «noch angemessen».

Erkenntnisse aus der norwegischen Umstellung

Die norwegische Analyse identifiziert auch Verbesserungspotenzial: Der Übergang hätte für die einzelnen Hörerinnen und Hörer einfacher gestaltet werden müssen. Die technische Umstellung führte zu Diskussionen über Kosten und Aufwand. Die negative Berichterstattung wirkte sich auf die Werbeeinnahmen aus.

Die Werbeeinnahmen im norwegischen Radiomarkt zeigten eine markante Entwicklung. Von 492 Millionen norwegischen Kronen (NOK, heute umgerechnet 39 Millionen Franken) im Jahr 2004 stiegen sie bis 2015 auf den höchsten Stand von 742 Millionen NOK (59 Millionen Franken). Nach der Umstellung auf DAB gingen die Einnahmen jedoch zurück. Im Jahr 2018 sanken sie auf 618 Millionen NOK (49 Millionen Franken) und fielen 2019 weiter auf 554 Millionen NOK (44 Millionen Franken).

Diese Entwicklung korrelierte mit den Herausforderungen während der Digitalisierung, insbesondere der negativen Medienberichterstattung und den sinkenden Hörerzahlen in der Übergangsphase. Allerdings lässt sich der Rückgang der Werbeeinnahmen nicht eindeutig der UKW-Abschaltung zuschreiben, da gleichzeitig auch die generelle digitale Migration der Nutzer stattfand. Die Prognose für 2020 deutete mit 536 Millionen NOK (43 Millionen Franken) auf eine weitere Konsolidierung des Werbemarktes hin.

Wie sich die Werbeeinnahmen in der Schweiz entwickeln werden, lässt sich schwer prognostizieren. Medienprofessor Manuel Puppis sieht die Situation differenziert: «Ob es nochmals zu einem Rückgang kommt, wenn die Privatradios UKW abschalten, ist nicht so klar. Klar ist einzig: Die Konkurrenz durch Streaming ist gross, zumindest wenn es um Musik und Special Interest geht. Wenn Lokalinformation, Moderation im Dialekt, Nähe zählt, dann verändert sich wenig an der Bedeutung der privaten Sender.»

Medienpolitische Bedeutung

Ob UKW oder DAB – die Wahl der Technologie sei dabei gar nicht so entscheidend, meint Puppis. Zentral sei vielmehr, dass es sich weiterhin um eine Broadcast-Technologie handle. «Wer ein Gerät besitzt, kann damit einfach Radio empfangen. Es ist kein Abo nötig, das Geld kostet und Abhängigkeit von einem Telekommunikationsunternehmen mit sich bringt», betont der Medienprofessor.

Medienpolitisch sei es wichtig, auch künftig die Beibehaltung von Broadcasting sicherzustellen – etwa durch 5G Broadcast für mobile Geräte. «Da muss auch die Rundfunkbranche ein Interesse daran haben, anders als die Telekom- und Internetbranche», schliesst Puppis.


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