17.09.2024

Tamedia

Wenn die Deutschschweizer Perspektive aus der Romandie fehlt

Bis Dezember und dem Stellenantritt von Benno Tuchschmid muss Tamedia ohne Deutschschweizer Korrespondenten in der Romandie auskommen. Als Ersatz werden vermehrt Texte aus Westschweizer Medien übersetzt.
Tamedia: Wenn die Deutschschweizer Perspektive aus der Romandie fehlt
Über die Zahl der Übersetzungen führt Tamedia keine Statistik. (Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott)

Anfang Juli verabschiedete sich Philipp Reichen als Tamedia-Korrespondent in der Romandie mit einem Rückblick seiner Erfahrung in der Westschweiz und demontierte dabei die Klischees der Deutschschweizer über diese Region.

Seitdem steht Tamedia ohne Korrespondenten in der Westschweiz da. Der Nachfolger von Reichen, Benno Tuchschmid, wird erst im Dezember seine neue Stelle antreten (persoenlich.com berichtete). Tamedia verzichtet dabei auf den befristeten Einsatz eines Korrespondenten. «Die Übergangszeit bis zu seinem Antritt überbrücken wir mit einer engeren Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Romandie, mit Übersetzungen und mit eigenen Einsätzen», schreibt die Medienstelle auf Anfrage.

«Verständnis für die andere Seite»

Es werden spürbar mehr Artikel aus den französischsprachigen Titeln 24 Heures und La Tribune de Genève übersetzt, wie eine Beobachtung von persoenlich.com zeigt. Über die Zahl der Übersetzungen führt Tamedia allerdings keine Statistik. Zum Beispiel wurde der Berufungsprozess von sechs Polizisten wegen des Todes des Nigerianers Mike Ben Peter von der Gerichtsreporterin von 24 Heures abgedeckt. Zur Berichterstattung über ein Familiendrama mit drei Toten in Vétroz (VS) hat ein Inlandjournalist aus der Westschweiz beigetragen.

Dabei können Übersetzungen die Rolle von Korrespondentinnen und Korrespondenten nicht übernehmen. «Mit ihnen fördern die Medien das Verständnis für die ‹andere Seite›», hatte Daniel Vogler, Forschungsleiter am Fög, im Juli gegenüber persoenlich.com erklärt. Bei Übersetzungen erfahre man zwar etwas über die «andere Seite», so der Experte weiter. «Aber es fehlt die Perspektive des Zielpublikums.»

Das fällt zum Beispiel im Interview mit dem Anführer der Bauernproteste, dem Waadtländer Arnaud Rochat, auf. Der Artikel macht keinen Bezug zur Deutschschweiz, da er für das Zielpublikum in der Romandie geschrieben wurde.

Zweisprachiges Team

Gleich verhält es sich mit einem Artikel über die offene Drogenszene am Place de la Riponne in Lausanne. Auf die Bedeutung dieses Platzes für die Stadt wird nicht näher eingegangen, da der Ort für die Leserschaft von 24 Heures ein Begriff ist. Die Leserschaft aus der Deutschschweiz erhält hingegen wenig Elemente, um eine Einordnung vorzunehmen.

«Es gibt Arbeiten, die nahe am Originalwortlaut sind, zum Beispiel News. Dann gibt es Texte, bei welchen mehr Adaptionsarbeit nötig ist, um Kontext einzuarbeiten», betont die Medienstelle. «Oftmals kollaborieren unsere Journalistinnen und Journalisten auch über die Sprachgrenze hinweg und arbeiten an gemeinsamen Artikeln. Überdies arbeitet eines unserer Teams mit dem Recherchedesk zweisprachig.»

Mit dem geplanten radikalen Abbau von Tamedia, bei dem 90 Vollzeitstellen in den Redaktionen gestrichen werden sollen, ist zu erwarten, dass auch in Zukunft immer öfter auf Übersetzungen zurückgegriffen wird.


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KOMMENTARE

Erich Heini
17.09.2024 15:12 Uhr
Die nennen es 'Qualitätsjournalismus'. Realsatire.

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