Katharina Nocun, sind Sie ein misstrauischer Mensch?
Ich glaube, es gibt Situationen, in denen Misstrauen angebracht ist. Wenn Akteure in der Vergangenheit mehrfach die Unwahrheit gesagt haben und wissentlich Desinformationen verbreitet haben, ist es vollkommen rational, misstrauisch zu sein.
Am SwissMediaForum sprachen Sie über die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl von 1986. Damals war Ihre Mutter mit Ihnen schwanger. Wie erlebten Ihre Eltern die Pressezensur in Polen, wo Sie zur Welt kamen?
Es war allen klar, dass man das, was man in der Zeitung liest, mit Vorsicht geniessen und versuchen muss, zwischen den Zeilen zu lesen. Einige Dinge, die besonders wichtig waren, fand man nicht in den grossen Zeitungen, sondern eher in Flugblättern. Gleichzeitig war es natürlich so, dass einige Menschen Zugang hatten zu westlichen Medien. Denen war klar, dass eine Parallelrealität für die Bevölkerung konstruiert wird.
Sie erwähnten, dass es plötzlich Gemüse zu kaufen gab, das es früher nicht gab.
Als in Tschernobyl der Supergau eingetreten war, nahm der Westen Gemüse aus dem Osten nicht mehr an. In Supermärkten gab es also Produkte, die die Menschen sehr lange nicht mehr in diesen Mengen gesehen haben. Meinen Eltern, beide ausgebildete Chemiker, war vollkommen klar, dass ein Unfall in einem Atomkraftwerk das Potenzial hat, extrem gefährlich für die Bevölkerung zu sein. Ein Freund von ihnen an der Uni arbeitete an einem Projekt, wo es um Radioaktivität ging. Er hatte deshalb Zugang zu einem Geigerzähler und hielt diesen an die Regenpfützen, als es regnete. Meine Mutter entschied in der Folge, dass sie sich erstmal nur noch von Eingemachtem ernähren wird.
«Es gibt Akteure, die im Kern die Pressefreiheit ablehnen»
Ihre Mutter hat das gemacht, was Sie Journalisten auch empfehlen: Geht raus und überprüft die Fakten selbst.
Journalismus ist für mich nicht, zwei Menschen zu interviewen und sie nach ihrer Meinung zu Radioaktivität zu befragen. Es ist die Aufgabe des Investigativjournalismus, hinzugehen und entweder selbst mit dem Geigerzähler zu schauen oder jemanden zu finden, der einen Geigerzähler hat, um dies zu verifizieren. Heute haben wir aber eine komplett andere Bedrohungslage: Es gibt Akteure, die im Kern die Pressefreiheit ablehnen und die systematisch darauf hinarbeiten, das Vertrauen in Medien zu zerstören.
In Ihrer Keynote übten Sie Kritik an sogenannten Verschwörungstheoretikern. Warum sind diese eine Gefahr für die Demokratie?
Man muss sich klarmachen, dass Verschwörungserzählungen gerade über Medien oder wichtige zentrale Institutionen der Demokratie schon immer Bestandteil von rechtsextremen Narrativen waren. Das ist nichts, was wir nur bei sogenannten Corona-Leugnern und auf diesen Demonstrationen finden.
Während der Corona-Pandemie wurde dies aber sehr gut sichtbar.
Genau. Aber dieses Narrativ, dass man beispielsweise Faktenchecks nicht glauben kann oder dass Journalisten und Wissenschaftler lügen, finden wir eben auch in der extrem rechten Szene, wenn es um ganz andere Themen wie beispielsweise die Klimakrise geht. Man muss einfach verstehen, dass autoritär gestrickte Parteien und Akteure Verschwörungserzählung als Immunisierungsstrategie gegen Kritik nutzen. Wenn ich meiner Anhängerschaft klarmachen kann, keinen Medien zu glauben ausser jenen, die ich freigebe und als genehm erachte, dann kann ich mir die Welt die Realität bauen, wie sie mir gefällt. Ich muss mich dann nicht mit lästiger Kritik oder Faktenchecks rumschlagen.
Und wie sollen Medien auf Menschen reagieren, die erwiesenermassen Falschinformationen verbreiten?
Es ist Aufgabe des Journalismus, zu schauen, wer qualifiziert ist, zu einem Thema zu sprechen und wer nicht. Wenn ich einen Akteur habe, der systematisch in der Vergangenheit falsche Informationen verbreitet hat und selbst dann Dinge nicht richtigstellt, nachdem er mit den Fakten konfrontiert wurde, dann sollte man sich aus moralischer Sicht fragen: Ist es richtig, diesem Akteur weiterhin eine Bühne zu geben?
«Ich halte nichts von einer Emotionalisierung solcher Debatten»
Stichwort «False Balance», also falsche Ausgewogenheit.
Ja, wir kennen das aus der Diskussion um die Klimakrise. Natürlich bringt es Einschaltquoten und Klicks, wenn ich möglichst extreme Positionen einander gegenüberstelle. Bei einer physikalischen Wissenssendung würde auch niemand auf die Idee kommen, einen Flat-Earther einzuladen, einfach nur, um mal eine extreme andere Position darzulegen. Deshalb verstehe ich nicht, warum wir genau das im übertragenen Sinne bei anderen Themen immer wieder machen.
Sie sagten am Donnerstag in Luzern: Mythen über Medien sind Bestandteil jedes verschwörungsideologischen Weltbildes. Muss man davor Angst haben – oder zumindest Respekt?
Wenn wir einen Blick in die USA und die politische Debatte dort werfen, muss man sagen: Verschwörungserzählungen zu unterschätzen, ist einfach ein grandioser Fehler. Wir haben in den letzten Jahren eine derartige Radikalisierung der republikanischen Partei gesehen, wie niemand sie vor zehn Jahren erwartet hätte. Wenn vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, Donald Trump wird Präsident, dann hätte man die Hände über den Kopf geschlagen. Verschwörungserzählungen haben die Macht, eine Parallelrealität zu konstruieren, die politische Akteure für sich nutzen, um ihre Agenda durchzusetzen. Angst ist der falsche Begriff. Ich halte nichts von einer Emotionalisierung solcher Debatten. Ich halte es aber für eine realistische Bedrohung.
Es brauche Vertrauen in seriöse Medien und die Wissenschaft, fordern Sie. Wie können Medien Vertrauen gewinnen?
Es ist extrem schwierig, Menschen aus einem verschwörungsideologischen Weltbild wieder rauszuholen, wenn sie da einmal drin sind. Die einzigen, die dann noch durchdringen, sind oft Angehörige – und die nutzen Faktenchecks. Wir müssen viel mehr Energie in Prävention stecken – dies ist im Vergleich zur Energie, die es kostet, jemanden wieder rauszuholen, viel effizienter. Ja, wie können wir das Vertrauen in Medien stärken? Wir können den Kindern und Jugendlichen zeigen, wo sie den Geigerzähler finden, um selber Informationen bewerten zu können.
«Jetzt ist die richtige Zeit, um viel Geld und Energie in die Prävention zu stecken»
Sie sagten auf der Bühne im KKL: Die beste Impfung gegen Desinformation ist, darüber zu sprechen. In der Schweiz gibt es neu die Dachorganisation UseTheNews oder die Initiative YouMedia – beide wollen die Medienkompetenz fördern. Ist das der richtige Ansatz?
Ich halte das für einen extrem wichtigen Ansatz. Wir müssen den Leuten Geigerzähler besorgen. Wir müssen uns auch klarmachen, dass die Bedeutung von Medien und Faktencheckern in Zukunft angesichts von künstlicher Intelligenz und neuen Technologien noch zunehmen wird. Wenn KI so weit ist, dass wir wirklich auch auf den fünften Blick nicht mehr unterscheiden können, ob das Bild echt ist oder nicht. Wenn wir also das nicht mehr unterscheiden können, dann brauchen wir Instanzen, die das für uns bewerten. Daher ist jetzt die richtige Zeit, um viel Geld und Energie in die Prävention zu stecken.
Also in die Förderung von Medienkompetenz?
Einerseits in die Förderung von Medienkompetenz, andererseits aber auch mit Mitmenschen darüber sprechen, was die Maschen von Verschwörungsideologen sind. Warum ist es so anziehend für Menschen? In welchen Situationen sind Menschen anfällig? Und wie erkenne ich vielleicht auch, dass etwas auf den ersten Blick schon verdächtig ist? Ja, ich glaube, das kann sehr viel bringen.
Verraten Sie uns eine der Maschen …
Wir wissen aus Studien, dass Menschen in Kontrollverlustsituationen dazu neigen, anfälliger zu sein für den Glauben an Verschwörungserzählungen. Das heisst: Immer dann, wenn Krisen in der Welt da sind oder auch Menschen in persönlichen Krisensituationen stecken, neigen sie manchmal dazu, sich ein psychologisches Hilfskonstrukt zu bauen. Es ist einfacher zu glauben, dass es einen Plan gibt, der zwar bedrohlich ist, als einem Chaos und der Ungewissheit ausgeliefert zu sein. In Krisensituation ist es wichtig, sich selbst zu zügeln und auf seinen Nächsten zu schauen.
Und Verschwörungstheorien funktionieren, weil Menschen gerne Antworten haben …
… und vor allem Antworten, die zu ihrem Weltbild passen. Wenn man eh der Meinung ist, dass Waffen grosszügig erlaubt sein sollen, dann ist es für einige Menschen natürlich erst recht opportun zu glauben, dass Amokläufe in dieser Form gar nicht stattfinden, sondern dies alles bezahlte Agenten sind.
Gibt es für Medien eigentlich ein besseres Wort, als solche Akteure als «Verschwörungstheoretiker» zu bezeichnen?
Ich finde es wichtig, Dinge beim Namen zu nennen. Wenn jemand auf der Bühne steht und von einer Verschwörung spricht und sagt, dass Leute gesteuert sind und dass alle Medien Marionetten von dahinterstehenden Mächten sind – wenn man dann von «Massnahmenkritikern» spricht, verniedlicht man das einfach. In solchen Ideologien steckt eine fundamentale Ablehnung von Demokratie. Ich spreche häufig von Verschwörungsideologen, weil die Theorie ja eine wissenschaftliche Kategorie ist. Wir sehen hier aber ein in sich gefestigtes ideologisches Weltbild.
Katharina Nocun ist Publizistin und ehemalige Politikerin. Sie lebt in Berlin. Nocun studierte in Münster und Hamburg Wirtschafts- und Politikwissenschaften. In ihrer Arbeit setzt sie sich vor allem mit dem Spannungsfeld Digitalisierung und Demokratie auseinander. Ihr Podcast «Denkangebot» war 2020 für den Grimme Online Award nominiert. Seit 2020 publiziert sie, häufig gemeinsam mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty, Sachbücher und Artikel zu Verschwörungstheorien und Esoterik.