13.09.2024

MQR 2024

«Wir müssen zur Vielfalt Sorge tragen»

Philipp Bachmann kommentiert die Ergebnisse des diesjährigen Medienqualitätsratings. Der für die Studie mitverantwortliche Kommunikationswissenschaftler der Hochschule Luzern erklärt den Unterschied zwischen gemessener und wahrgenommener Qualität und betont die Bedeutung des Lokaljournalismus.
MQR 2024: «Wir müssen zur Vielfalt Sorge tragen»
«Eine Erklärung für den Qualitätsrückgang liegt in der generellen Abnahme der Vielfalt in der Berichterstattung»: Philipp Bachmann von der Hochschule Luzern. (Bild: zVg)

Philipp Bachmann, 30 der 42 von Ihnen untersuchten Medienmarken haben im Vergleich zu 2022 an inhaltlicher Qualität eingebüsst. Wieso diese Entwicklung?
Es ist tatsächlich auffällig, dass dieser Qualitätsrückgang so flächendeckend ist und sich selbst bei den top-platzierten Medienmarken wie NZZ, WOZ und Echo der Zeit zeigt. Das kann daran liegen, dass das Publikumsurteil volatiler ist und die Markenbindung abnimmt. Eine andere Erklärung für den Qualitätsrückgang liegt in der generellen Abnahme der Vielfalt in der Berichterstattung der jeweiligen Titel. Das haben auch schon frühere Untersuchungen gezeigt. Das Publikum nimmt diese Entwicklung aber gar nicht unbedingt wahr.

Das würde auch erklären, warum die Qualitätswahrnehmung in vielen Fällen sogar zugenommen hat. Woher kommt diese Diskrepanz zwischen gemessener und wahrgenommener Qualität?
Wenn Medienmarken tendenziell an Publikum verlieren, dann bleibt ein loyaler Kern zurück, und dieser zeigt sich zufriedener mit «seiner» Marke. Das sieht man auch darin, dass Titel mit einem homogeneren Publikum, wie etwa Weltwoche, Republik oder WOZ, in der Befragung sehr gut abschneiden. Anders etwa die Massenblätter Sonntagsblick oder NZZ am Sonntag mit einem breiteren Publikum. Sie haben deutliche Einbussen erlitten in der Qualitätswahrnehmung.

Was dagegen auffällt: Besonders in der Westschweiz sieht das Publikum eine Zunahme der Medienqualität. Wie erklären Sie sich das?
So genau wissen wir das auch nicht. Aber ein möglicher Erklärungsansatz könnte darauf hinweisen, dass die dort intensiver geführte Debatte um den Stellenabbau und die Medienkonzentration in der Westschweiz Spuren hinterlassen hat und das französischsprachige Publikum deshalb die noch verbleibenden Medien wohlwollender beurteilt.

«Blick Romandie kommt insgesamt sachlicher daher als Blick in der Deutschschweiz»

Apropos Westschweiz: Blick Romandie, der erstmals im Qualitätsrating figuriert, belegt aus dem Stand den Top-Platz in der Kategorie Populärmedien, vor Watson und Blue News. Wie kommt das?
Blick Romandie bietet weniger Inhalte und kommt insgesamt sachlicher daher als Blick in der Deutschschweiz. Dieser hat sich in den letzten Jahren ebenfalls zwar auch durch eine sachlichere und relevantere Berichterstattung profiliert. Aber die deutschsprachige Ausgabe wird in der Qualitätsmessung weiterhin durch den nach wie vor erheblichen Anteil boulevardesker Themen abgewertet.

Die Auszeichnung «Aufsteiger des Jahres» erhält das St. Galler Tagblatt. Warum hat die Zeitung den grössten Sprung nach vorn gemacht?
Das liegt meines Erachtens an der Lokalberichterstattung. Zum Vergleich: Die Aargauer Zeitung, die auch bei CH Media erscheint und über weite Strecken die gleichen Inhalte anbietet, verzeichnet tiefere Qualitätswerte. Daher muss es am Lokalen liegen. Das zeigt sich auch daran, dass das St. Galler Tagblatt in den letzten Jahren immer wieder Auszeichnungen für seine Berichterstattung erhalten hat.

Wieso fehlen eigentlich seit jeher Tessiner Medien im Medienqualitätsrating?
Aus Kostengründen. Kostspielig ist weniger unser wissenschaftlicher Aufwand als die Datenerhebung der Publikumsforschung. Es ist aber unser grosser Wunsch, dass wir künftig auch Medien aus der italienischsprachigen Schweiz ins Rating aufnehmen können. Der Name Medienqualität Schweiz verspricht in dem Sinn heute mehr, als er halten kann. Wir bedauern dieses Manko sehr.

Welche positiven Erkenntnisse nehmen Sie aus den Ergebnissen des diesjährigen Qualitätsratings mit?
Die Online-Magazine Heidi.News und Republik, die wir erstmals untersucht haben, belegten gleich Top-Ränge. Beide setzen auf neue Formen der Finanzierung. Die Republik als Genossenschaft, die sich massgeblich über Mitgliederbeiträge finanziert und ohne Werbung auskommt. Heidi.News wird von der Aventinus-Stiftung getragen, die meines Wissens wiederum Geld aus der Hans-Wilsdorf-Stiftung von Rolex erhält.

«Es gibt trotz aller Herausforderungen eine vielfältige Medienlandschaft»

Was zeigen diese beiden Beispiele mit Blick auf die ganze Medienlandschaft?
Es gibt trotz aller Herausforderungen eine vielfältige Medienlandschaft mit hochwertigem Journalismus, der unsere Wertschätzung verdient. Aber ähnlich wie beim Umweltschutz muss man um die Vielfalt Sorge tragen. Wie hoch die Qualität in der Schweiz noch immer ist, wird in unserer Medienblase – die ja aus stets einen kritischen Blick auf die Dinge hat – manchmal vergessen.


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KOMMENTARE

Victor Brunner
14.09.2024 12:12 Uhr
Bachmann: «Es gibt trotz aller Herausforderungen eine vielfältige Medienlandschaft». Tatsächlich? Dann gibt es keine Medienkonzentration, keine zentralen Redaktionen, keine Entlassungen? Mit Verlaub was Bachmann da behauptet ist Unsinn und blendet alle Veränderungen in der Medienlandschaft in den letzten Jahren aus!

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