«Unser Ziel ist es, ein volles Haus zu haben. Das ist die wichtigste Kennzahl.» Was Miriam Walther, Co-Leiterin des Theaters Gessnerallee sagt, würden wohl auch andere Kulturmanagerinnen so formulieren. Doch die Wege zum Ziel sind vielfältig.
Miriam Walther und Kathrin Veser, die sich die Intendanz und Geschäftsführung des Hauses zwischen Schanzengraben und Sihl teilen, haben sich entschieden, klassische PR- und Öffentlichkeitsarbeit zu reduzieren. Dabei spielten auch finanzielle Überlegungen eine Rolle: Plakate und Inserate kosten viel Geld und verursachen hohe Streuverluste. Darum dient der Gessnerallee als wichtigster Kommunikationskanal fortan eine Zeitung und ein regelmässig erscheinender elektronischer «Wochenbrief». Die erste Ausgabe der Zeitung ist Ende September erschienen.
Das hätte wohl kaum Aufsehen erregt, hiesse die Publikation nicht «Zeitung» und hätten die Macherinnen ihren Entscheid nicht in den Kontext der Medienkrise gestellt. Im Editorial der ersten Ausgabe schrieben sie: «Wir wünschen uns sehr, dass es dem Journalismus und der Medienbranche insgesamt irgendwann wieder besser geht. Da dies aber höchstwahrscheinlich noch eine lange Weile dauern wird, haben auch wir uns gesagt: Lasst uns aus der Not – und der Liebe zum Journalismus – eine Tugend machen.»
Die Theaterzeitung als unlautere Konkurrenz?
Diese Botschaft weckte bei den einen Hoffnungen, bei den anderen Ängste – und sie rief Kritiker auf den Plan. So sah die NZZ am Sonntag eine «Zweckentfremdung von Theatersubventionen» und warnte vor dem Staat als «zweifelhaftem Freund des Journalismus». In der Beschreibung der Zürcher Zeitung erscheint die Theaterzeitung als unlautere Konkurrenz zu den darbenden Medien, denn sie enthalte so ziemlich alles, «was eine privat finanzierte Zeitung ebenfalls anbietet». Die Kritik bezog sich auf die Aussage im Editorial, wonach man mit «unterschiedlichen Formen wie zum Beispiel Analysen, Essays, Interviews, Porträts, Kolumnen, Horoskopen, Playlist» arbeiten werde; alles journalistische Formen.
Ein Blick in die 32 Seiten im Tabloid-Format zeigt nun, dass die Angst vor Konkurrenz unbegründet ist, ebenso wie die Hoffnung, dass hier ein Ersatz entsteht für die zusammengesparten Kulturressorts der grossen Publikumsmedien. Wie sollte das eine Publikation schaffen, die viermal im Jahr erscheint?
Die Artikel in der «Gessnerallee Zeitung» bewegen sich thematisch alle nah am Angebot und Programm des Theaters. So finden sich in der ersten Ausgabe Interviews mit Künstlerinnen, die in Produktionen des Hauses involviert sind, oder ein Erklärstück zum barrierefreien Theater, ein Schwerpunkt der Gessnerallee für die kommenden vier Jahre. Alles Texte, die in Publikumsmedien nie oder zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit und Tiefe Platz finden würden.
Einzig ein Doppelporträt von zwei Bühnentechnikern, die nach 40 Jahren im Beruf pensioniert werden, hätte das Potenzial im Tages-Anzeiger oder in der NZZ zu erscheinen. Dieser Text weist über die Institution hinaus und erzählt eine Geschichte des Kulturschaffens in der Stadt Zürich seit den 1980er-Jahren. Geschrieben hat den Text Rahel Bains. Sie ist die Kommunikationschefin des Theaters. Dass Bains, ehemalige Redaktionsleiterin von Tsüri.ch und danach Redaktorin und Blattmacherin beim Tages-Anzeiger, heute für das Theater Gessnerallee kommuniziert, ist kein Zufall. «Wir haben keine Sekunde überlegt, ob wir eine klassische Kommunikationsfrau wollen», sagt Co-Leiterin Miriam Walther. «Wir wollten eine Journalistin.»
Diese Entscheidung hat auch mit Walthers beruflichem Werdegang zu tun. Die ausgebildete Tänzerin und Theaterregisseurin arbeitete die letzten sieben Jahre in journalistischen Projekten; bis 2022 als Geschäftsführerin des Online-Magazins Republik, danach baute sie in Berlin Publix, ein Haus für Journalismus und Öffentlichkeit, mit auf. Eine gedruckte Zeitung hat sie allerdings noch nie gemacht.
Inspiration von Berliner Theaterpublikation
Dass sich die neue Leitung der Gessnerallee für eine gedruckte Publikation entschieden hat und nicht, dem Zeitgeist entsprechend, für einen Podcast oder für ein anderes digitales Format, hat emotionale und rationale Gründe. «Ich liebe gedruckte Zeitungen», sagt Miriam Walther. Damit meint sie auch die Zeitungen von vergleichbaren Institutionen wie der Gessnerallee, etwa dem Theater Hebbel am Ufer HAU in Berlin. Die Gessnerallee-Zeitung gleicht der HAU-Publikation sowohl in Format, Umfang, Bildsprache, Layout als auch Themensetzung. «Wir haben uns stark davon inspirieren lassen», gibt Walther unumwunden zu; man kennt sich und tauscht sich aus.
Auch die Flüchtigkeit der darstellenden Künste spricht für ein physisches Kommunikationsmedium. Eine gedruckte Zeitung kann dokumentieren und archivieren, was auf der Bühne nur im Moment stattfindet. In diesem Sinne kann die Zeitung auch als zusätzliche Bühne des Theaters verstanden werden. So findet sich in der ersten Ausgabe ein Textauszug aus einer Spoken-Word-Show, die im Januar auf dem Spielplan steht und ein Foto-Essay zu einer weiteren kommenden Produktion.
Zeitung kostet fünf Franken
Trotz dieser Nähe zum Angebot auf der Bühne ist die Gessnerallee-Zeitung kein klassisches Programmheft, sondern versteht sich als eigenständiges, journalistisches Produkt. Deshalb liegt sie auch nicht gratis auf. Eine Ausgabe kostet 5 Franken, ein Jahresabo mit vier Ausgaben, inklusive Versand 28 Franken. «Das ist einerseits ein symbolischer Betrag, andererseits trägt der Erlös natürlich auch zur Finanzierung bei», erklärt Miriam Walther.
Bei einer Auflage von 1000 Exemplaren und mit vier Ausgaben pro Jahr kämen so im besten Fall 20’000 Franken zusammen. Das wäre nicht ganz die Hälfte der jährlichen Gesamtkosten von rund 50’000 Franken für die Produktion der Zeitung. Nicht eingerechnet sind die 50 Stellenprozente für die Redaktion, die über die städtischen Subventionen finanziert sind. Insgesamt hat die neue Leitung das Budget für PR- und Kommunikation reduziert. «Letztlich machen wir Öffentlichkeitsarbeit mit den Mitteln und Formen des Journalismus», sagt Miriam Walther. Im Fall der Gessnerallee bedeutet das: Die Zeitung ist Mittel zum Zweck, um Publikum ins Theater zu bringen.
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17.11.2024 08:53 Uhr
15.11.2024 14:37 Uhr