28.08.2025

Ginetta

«Es bleibt ein schmerzhafter Moment»

Nach 17 Jahren schliesst Ginetta die Türen. Agenturgründer Simon Raess erklärt, warum selbst ausgezeichnete Arbeit und langjährige Kundenbeziehungen nicht ausreichten, um den veränderten Marktbedingungen standzuhalten – und wie die 30 betroffenen Mitarbeitenden aufgefangen werden.
Ginetta: «Es bleibt ein schmerzhafter Moment»
«Am Ende waren es die äusseren Marktbedingungen, die uns in die Knie gezwungen haben – nicht unsere Kultur oder unser Umgang mit den Mitarbeitenden», so Simon Raess, Gründer der Digitalagentur Ginetta. (Bilder: zVg)

Simon Raess, welche Faktoren haben letztendlich dazu geführt, dass Sie die Digitalagentur Ginetta Ende August schliessen müssen?
Die Entscheidung ist uns unglaublich schwergefallen. Über viele Jahre hinweg hatten wir das Privileg, mit grossartigen Menschen und Unternehmen zusammenzuarbeiten und erfolgreiche Projekte umzusetzen. Doch die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren stark verändert: Der Markt ist hoch dynamisch geworden, die Auftragslage ist zunehmend volatil, Investitionsentscheide sind deutlich kurzfristiger und kompakter. Zudem werden vermehrt auch nur Teilprojekte vergeben, was die Planung auch nicht einfacher macht. Für ein Unternehmen unserer Grösse bedeutet das, dass selbst ausgezeichnete Arbeit, langjährige Kundenbeziehungen und ein eingespieltes Team nicht mehr ausreichen, um eine verlässliche Grundlage für die Zukunft zu sichern.

Welche Massnahmen haben Sie ergriffen?
Wir haben vieles versucht: Wir haben die Kosten massiv gesenkt, uns fokussiert und neue Wege getestet. Aber am Ende mussten wir einsehen, dass die Bedingungen nicht mehr gegeben waren, um Ginetta langfristig weiterzuführen.

«Es war tatsächlich eher ein schleichender Prozess»

Sie haben 2019 die operative Führung abgegeben, um sich auf strategische Aufgaben zu konzentrieren. War das rückblickend ein Fehler?
Während der Covid-19-Pandemie musste ich als Eigentümer die Geschäftsführung im Rahmen einer umfassenden Restrukturierung bereits wieder übernehmen. Es war eine sehr intensive Zeit, in der wir vieles neu aufgestellt haben – vom Geschäftsmodell über die Organisation bis hin zu unserem Angebot. So konnten wir Ginetta stabilisieren und mehrere Jahre erfolgreich weiterführen. Dass wir nun dennoch schliessen müssen, hängt nicht mit dieser Phase zusammen, sondern mit den grundlegenden Marktveränderungen, die sich in den letzten Jahren verschärft haben.

Wie hat sich die Auftragslage in den letzten Jahren entwickelt – war es ein schleichender Prozess oder gab es einen plötzlichen Einbruch?
Es war tatsächlich eher ein schleichender Prozess, der sich aber in den letzten zwei Jahren deutlich verschärft hat. Die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit hat viele unserer Kunden gezwungen, Kosten zu senken oder sogar Stellen abzubauen. In dieser Situation wurden Budgets für Innovations- und Digitalisierungsprojekte oft kleiner oder sogar ganz gestrichen. Diese Entwicklung trifft die gesamte Dienstleistungsbranche, nicht nur uns. Gleichzeitig führte die sinkende Nachfrage zu einem Überangebot an Agenturen und Dienstleistern. Das hat den Konkurrenzdruck verschärft und einen zusätzlichen Preiskampf ausgelöst, der für unabhängige Firmen unserer Grösse sehr schwierig zu bestehen ist. Wir haben versucht, uns mit Qualität, Spezialisierung und langjährigen Beziehungen zu behaupten. Doch irgendwann reichten diese Stärken allein nicht mehr aus, um die Volatilität der Auftragslage aufzufangen.

Ginetta war bekannt für umfangreiche Mitarbeiter-Benefits wie grosszügige Elternzeit oder ein Fitness-Abo. Sind diese Kosten zum Problem geworden, oder konnten Sie sie bis zum Schluss aufrechterhalten?
Unsere Mitarbeitenden waren immer das Herz von Ginetta. Wir haben fest daran geglaubt, dass zufriedene, motivierte Menschen die wichtigste Ressource eines Unternehmens sind – gerade in Zeiten von Fachkräftemangel und starker Konkurrenz. Die Benefits wie zusätzliche Elternzeit oder das gemeinsame Mittagessen waren Ausdruck dieser Haltung. Sie waren nie die Ursache unserer Probleme, sondern ein Teil unserer Kultur. Bis zum Schluss haben wir versucht, diese Leistungen aufrechtzuerhalten, weil wir überzeugt waren: Wer in Menschen investiert, investiert in die Qualität der Arbeit und in die Zukunft. Am Ende waren es die äusseren Marktbedingungen, die uns in die Knie gezwungen haben – nicht unsere Kultur oder unser Umgang mit den Mitarbeitenden. Darauf sind wir trotz allem sehr stolz.

Wie viele Mitarbeitende sind von der Schliessung betroffen und welche Unterstützung erhalten sie beim Übergang?
Von der Schliessung betroffen sind knapp 30 Festangestellte sowie eine Lernende an der Fachklasse Interactive Media Designer (IMD). Uns war von Anfang an wichtig, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen: Alle ausstehenden Löhne konnten bezahlt werden, ebenso die Rechnungen unserer Freelancer. Darüber hinaus unterstützen wir unser Team aktiv beim Übergang. Viele unserer Mitarbeitenden haben bereits konkrete Angebote von Kunden und Partneragenturen erhalten – ein Zeichen für die hohe Wertschätzung, die sie in der Branche geniessen. Natürlich bleibt es ein schmerzhafter Moment. Aber es ist tröstlich zu sehen, dass unsere Leute mit ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement schnell neue Perspektiven finden. Das war uns immer das Wichtigste.

«Wir dürfen auch mit Stolz zurückblicken»

Was bedeutet das Ende einer so etablierten Digitalagentur wie Ginetta für den Schweizer Markt und die Konkurrenz?
Was das Ende von Ginetta für den Schweizer Markt konkret bedeutet, lässt sich heute noch schwer beurteilen. Sicher ist aber: Der Markt verändert sich rasant – wirtschaftlicher Druck, technologische Entwicklungen und neue Kundenerwartungen fordern uns alle heraus. Für die Branche bedeutet das, noch flexibler, noch fokussierter und noch näher an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden zu arbeiten. Gleichzeitig dürfen wir auch mit Stolz zurückblicken. Über 17 Jahre hinweg hat Ginetta die digitale Landschaft in der Schweiz entscheidend mitgeprägt: Wir haben für namhafte Unternehmen gearbeitet, innovative Produkte auf den Markt gebracht und zahlreiche Talente ausgebildet, die heute an vielen Orten Verantwortung übernehmen. Wenn es also ein Vermächtnis von Ginetta gibt, dann ist es dieses: Qualität, Mut und Menschlichkeit hinterlassen Spuren – auch wenn die Firma selbst nicht weiterbesteht.

Welchen Rat würden Sie anderen Agentur-Gründern geben, die sich möglicherweise in einer ähnlichen Situation befinden?
Ich bin weit davon entfernt, anderen Gründern Ratschläge zu erteilen – jede Geschichte ist anders, jede Firma hat ihre eigenen Herausforderungen. Was ich aber sagen kann: Es braucht viel Mut, Leidenschaft und Durchhaltewillen, um eine Agentur über viele Jahre zu führen. Ich wünsche allen, die diesen Weg gehen, von Herzen viel Glück und drücke ihnen die Daumen für die Zukunft. Denn am Ende sind es die Menschen, die den Unterschied machen – in den Unternehmen, in den Projekten und in den Beziehungen, die über die Jahre entstehen. 

Und wie sehen nun Ihre weiteren beruflichen Pläne aus?
Persönlich mache ich zunächst einmal eine kurze Pause und überlege dann, was als Nächstes kommt. Bis jetzt war ich noch voll damit beschäftigt, mit meinem Team einen möglichst professionellen Abschluss für Ginetta zu organisieren.


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KOMMENTARE

Reto Kramber
28.08.2025 07:50 Uhr
Sehr schade um dieses tolle Unternehmen. Und Hut ab vor der Haltung und Handhabung während der Schliessung. So beendet ein man ein Business mit Stil und Würde. Chapeau.
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