Vor einem Jahr kündigte die SBB eine «bessere Kundeninformation im Ereignisfall» an. Für den Störungsfall gab es fortan zwei unterschiedliche Begriffe. Wenn der Betrieb wegen eines Suizids unterbrochen war, sollte nur noch das Personal in den betroffenen Zügen den Begriff «Personenunfall» verwenden. Auf allen anderen Kanälen wurde fortan ein «Fremdereignis» als Grund genannt. Das betraf etwa den elektronischen Fahrplan oder Anzeigetafeln in Bahnhöfen. Dieses Vorgehen hatte die Nationale Kommission Kundeninformation so beschlossen, wo die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs das gemeinsame Vorgehen in unterschiedlichen Belangen koordinieren.
Die vereinten Verkehrsbetriebe sahen in der angepassten Terminologie auch einen Beitrag zur Suizidprävention. Eine seltenere Verwendung von «Personenunfall» sollte helfen, «Nachahmungstaten zu verhindern», steht in den Unterlagen zur Sitzung, in deren Rahmen das neue Wording beschlossen wurde. Damit das «Fremdereignis» nicht einfach als Synonym zum «Personenunfall» entschlüsselt werden konnte, wurden damit auch weitere Störungsfälle beschrieben, etwa «Tiere in Gleisnähe» oder «Hindernis auf den Gleisen».
«Mitarbeitende oft mit Unverständnis konfrontiert»
Nach weniger als einem Jahr wurde klar, dass diese Lösung nicht funktioniert. Wie die SBB kürzlich mitteilten, verschwindet das «Fremdereignis» wieder aus dem Vokabular der Kundeninformation. Die Reisenden hätten den Begriff nicht verstanden, was auch das Bahnpersonal zu spüren bekommen habe. «Mitarbeitende der SBB waren oft mit Unverständnis und vermehrt auch mit Aggressionen konfrontiert», schreibt das Bahnunternehmen. Deshalb werde ab dem 4. Juni 2025 auf allen Kanälen der Begriff «Personenunfall» verwendet. Auch dieser Entscheid wird von der Branche getragen und von anderen Unternehmen verwendet, wie sowohl BLS als auch SOB auf Anfrage von persoenlich.com bestätigen.
Die SBB als grösstes Verkehrsunternehmen steht damit dort, wo es eigentlich schon vor zwei Jahren hätte sein wollen. Die für die Kundeninformation zuständige Abteilung hatte sich bereits im Januar 2023 für den Begriff «Personenunfall» ausgesprochen. Damit wollte sie der Kundschaft transparent vermitteln: Die Auswirkungen einer solchen Betriebsstörung sind «nicht das Verschulden der Eisenbahnverkehrsunternehmen». Seit 2015 nannten die Transportunternehmen nämlich gar keinen Grund mehr ausserhalb der direkt betroffenen Züge und Bahnhöfe. Mit ihrem Vorschlag drangen die SBB in der Nationalen Kommission Kundeninformation nicht durch, trugen aber den Entscheid der Branche mit. So kam es zum Umweg mit dem Begriff «Fremdereignis». Dieser war hinsichtlich der Suizidprävention zwar gut gemeint, erwies sich jedoch als nicht wirklich hilfreich.
«Wir unterstützen eine klare und transparente Information»
Für Martin Bolliger, Vizepräsident der Suizidpräventionsorganisation 143.ch Die Dargebotene Hand Bern, ist der Fall klar: «Aus unserer Sicht ist ‹Personenunfall› der treffendere Begriff als der allgemeine Überbegriff ‹Fremdereignis›. Wir unterstützen eine klare und transparente Information», sagt Bolliger im Gespräch mit persoenlich.com. Der Begriff «Personenunfall» helfe auch, das Thema Suizid zu entstigmatisieren. «Wenn ich diese Information als Bahnreisender höre, dann löst das bei mir eher Betroffenheit aus, und ich kann den Vorgang und eine ärgerliche Verspätung wenigstens einordnen. So trägt das zur Sensibilisierung bei», argumentiert der Präventionsfachmann.
Die Gefahr eines Nachahmereffekts, wie sie die Transportunternehmen mit der Verwendung des neutralen Begriffs «Fremdereignis» vermeiden wollten, sieht Martin Bolliger nicht. «Sonst müssten ja auch unsere Hinweise bei den Brücken zum Suizid animieren. Das tun sie aber nicht», so der Vertreter der Dargebotenen Hand. Seine Aussage stützt Bolliger auf eine Studie von 2014. Das Bundesamt für Strassen untersuchte damals die Suizidprävention bei Brücken. Die Ergebnisse zeigten: Die Schilder mit der Notfallnummer 143 haben keine animierende Wirkung, tragen also nicht zum Werther-Effekt bei.
Auch wenn die neue alte Sprachregelung gemäss Fachmeinung nicht zur Nachahmung animiert, erinnern die SBB insbesondere Medien an ihre spezielle Verantwortung im Umgang mit Suiziden. Das Bahnunternehmen verweist in seiner Medienmitteilung zur Anpassung der Kundeninformation auf die Empfehlungen des Schweizer Presserats. Diese legen Medienschaffenden «eine äusserst zurückhaltende Berichterstattung im Zusammenhang mit Suiziden» nahe.
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09.05.2025 22:15 Uhr
09.05.2025 19:52 Uhr