Edi Estermann, soeben ist Ihr neues Herzensprojekt, das Buch «Der Elefant im Personalladen», erschienen. Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet Versprecher sammeln?
Als Journalist und Kommunikationsmensch ist die Sprache mein tägliches Werkzeug. Irgendwann fiel mir auf, wie viele Sprichwörter und Redewendungen wir im Alltag verwenden – und vor allem wie viele wir falsch verwenden. Und wenn man darauf achtet, dann wird das total frappant: Sie sind plötzlich überall, dauernd, von allen, in jedem Gespräch. Und an dieser Stelle ist deshalb vielleicht eine kleine Warnung angebracht: Wer hier nun weiterliest, dem könnte es in Zukunft ebenso ergehen. Man wird verblüfft feststellen, dass wir sie massenhaft nutzen und viel mehr kennen, als uns bewusst ist. Sagen Sie also nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.
Und dann haben Sie irgendwann angefangen, die aufzuschreiben?
Ja, eine gute Freundin machte die Initialzündung, indem sie am Ende eines Gesprächs dramatisch betonte «Der Apfel fällt eben nicht weit von der Grube, die man sich selber gräbt». Man stockt dann, überlegt – und meistens lacht man dann laut auf. Und ja, dann habe ich angefangen, die in mein Handy zu tippen. Denn wenn man sie nicht sofort aufschreibt, sind sie weg. Man kann sie sich oft kaum merken.
Wann wurde Ihnen klar, dass daraus ein Buch werden könnte?
Es wurden sehr rasch sehr viel mehr auf meinem Handy. Sprichwörter, also diese typischen Lebensweisheiten wie «Morgenstund hat Gold im Mund» und «Übung macht den Meister» sowie auch Redewendungen, die man per se nicht wörtlich nehmen darf wie «Tomaten auf den Augen haben» oder «Einen Bären aufbinden». Das sind ja teilweise seit Jahrhunderten stehende Begriffe. Die kann man nicht einfach nach Belieben adaptieren. Genau das tun aber viele.
«Ich finde ‹Ich zeige dir, wo der Hase hängt› beispielsweise grossartig»
Wie entstehen solche Vermischungen?
Um in einem Gespräch das eben Gesagte zu unterstreichen, behilft man sich oft mit so einem Sprichwort oder einer Redewendung. Und in der Hitze des Gesprächs geraten dann oft zwei mit ähnlicher Bedeutung durcheinander. «Im Detail liegt die Würze» oder «Auf keinen grünen Punkt kommen» oder «Jemanden auf dem kalten Fuss erwischen». Wenn ich dann mal wieder schmunzelnd eine dieser spektakulären Wortkonstruktionen ins Handy tippte, wurde ich oft gefragt, wozu ich diese denn sammle. Zuerst sagte ich jeweils, dass ich es wert fände, sie zu erhalten – und als es dann immer mehr und mehr wurden, kam irgendwann die Idee mit dem Buch. Und nun ist es da.
Sie sagen, dass alles mit der Freundin und dem «Apfel, der nicht weit von der Grube fällt, die man sich gräbt» begann. Haben Sie einen persönlichen Lieblingsversprecher aus Ihrer Sammlung?
Oh, da gibt es einige! Ich finde «Ich zeige dir, wo der Hase hängt» beispielsweise grossartig, da hat man grad so ein spektakuläres Bild im Kopf. Oder «Auch eine dumme Kuh findet mal eine Eichel», «Das Leben ist kein Ponyschlecken» ist auch so genial oder «Nicht den Löffel ins Korn werfen». Und das Grossartige ist, dass man oft ziemlich lange überlegen muss, welche zwei Redewendungen da grad miteinander zwangsfusioniert wurden.
Hat Ihnen das Sammeln von Versprechern geholfen, als Kommunikationschef präziser zu werden?
Es ist eher umgekehrt: Weil die Sprache eines meiner wichtigsten Werkzeuge ist, bin ich per se schon etwas sensibilisiert auf deren Verwendung – oh, ein Genitiv! Deswegen achtet man mehr darauf. Und wenn man mal damit anfängt, kann man gar nicht mehr aufhören. Mittlerweile bekomme ich von zahlreichen Freunden und Bekannten WhatsApp-Messages mit neuen Beispielen. Das bedeutet, auch andere achten darauf und setzen sich so mit unserer Sprache auseinander, das finde ich toll.
«Der saubere, kommunikative Abschluss eines solchen Mammut-Projektes ist enorm wichtig»
Sie waren Head of Communications des diesjährigen ESC, nur einen Monat nach dem Finale des Musikevents veröffentlichen Sie Ihr erstes Buch. War der ESC-Job so unterfordernd, dass Sie nebenbei tatsächlich noch ein Buch schreiben konnten?
(Lacht.) Herrje, nein, der ESC war quasi ein Marathonlauf im Sprinttempo über mehrere Monate, ein kommunikatives Stahlbad, das wir – wie ich finde – grossartig ins Ziel gebracht haben. Für anderes blieb da keine Zeit. Wir haben insbesondere die letzten Wochen in Basel gewohnt, die Tage waren lang, die Nächte kurz und der Workload immens. «Der Elefant im Personalladen» hätte ursprünglich schon letztes Jahr erscheinen sollen – Nemo kam aber dazwischen. So konnte die Sammlung noch etwas weiter wachsen und jetzt, wo der ESC-Kelch an Österreich weitergereicht wurde, darf mein Buch auf den Markt.
Auch nach Beendigung des ESC 2025 beschäftigen Sie noch ein vierköpfiges Kommunikationsteam. Was für Medienanfragen erreichen Sie noch?
Der saubere, kommunikative Abschluss eines solchen Mammut-Projektes ist enorm wichtig. Wir haben vor allem in den beiden Wochen nach dem grossen Finale noch zahlreiche Medien- und Interviewanfragen erhalten. Es galt, die grossartigen Zuschauerzahlen zu kommunizieren, den Event auch auf Social Media noch ausklingen zu lassen, der Song «Made in Switzerland» wurde noch auf den Musikplattformen lanciert – und aktuell sind wir dabei, die Arbeit unseres ganzen Projektteams für den ORF aufzubereiten und zu dokumentieren und möglichst viele Learnings auch in die Kommunikation der SRG einfliessen zu lassen. Ende Monat heisst es dann aber «Ende gut, alles gut».
Die Hauptkommunikation für den ESC ist mittlerweile an die österreichische Delegation für 2026 übergegangen. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Der ORF hat mit Conchita Wurst und «Rise Like A Phoenix» 2014 in Kopenhagen gewonnen und das Jahr darauf den ESC in Wien durchgeführt. Die Projekterfahrungen liegen also noch nicht so lange zurück. Wir haben dieses Jahr in Basel aber sehr viele tolle Initiativen in den ESC eingebracht, die den Event für eine breitere Bevölkerungsschicht erlebbar gemacht haben. Diese möchten wir den Kolleginnen und Kollegen vom ORF gerne weitergeben. Auch in der Kommunikation ist unsere Strategie mit dem Rampenbau hin zum Event grossartig aufgegangen – auch dieses Wissen dokumentieren wir aktuell und das steht zur Verfügung.
«Das Team fiel sich in die Arme und einige weinten»
In unserem letzten Gespräch sprachen Sie von 150 E-Mails täglich während der heissen Phase. Wie sieht Ihr Alltag jetzt aus?
(Lacht.) Ja, das ist schon krass: Als ESC-Sieger JJ unser Mediencenter in Basel gegen halb vier Uhr morgens nach den letzten Interviews verliess, wussten wir: «Das war’s». Das Team fiel sich in die Arme und einige weinten, vor Erschöpfung, vor Erleichterung, die pure Überwältigung und Freude ob dieses Erfolgs, auf den wir so stolz sind. Und natürlich nahm auch die Zahl der Mails schlagartig ab, von täglich 150 auf vielleicht 50. So krass, dass ich die ersten Tage mehrmals checkte, ob der Laptop okay ist.
Vermissen Sie das Adrenalin oder geniessen Sie die Ruhephase?
Es ist eine Mischung aus beidem: Wir waren alle über eine solch lange Zeit auf einem enormen Adrenalinpegel und hatten gelernt, damit zu leben. Dann dieser Zieleinlauf mit diesem unvergesslichen, einmalig historischen Event. Nun schalten wir sukzessive und vorsichtig einige Gänge runter. Das ist gar nicht so einfach nach so langer Zeit. Ich bin froh, dass wir noch ein paar wenige Wochen haben und ich damit die Gelegenheit habe, das Team wieder auf eine gesunde Flughöhe runterzubringen.
Ihre ESC-Nachbetreuung läuft aus, das Buch ist erschienen – was bringt die Zukunft?
Das werden wir sehen, noch ist nichts spruchreif – vorerst einmal Ferien. Oder um es in Redewendungen zu sagen: «Das war ganz grosses Kino», nun wird «ein neues Kapitel aufgeschlagen», «Jeder Abschied ist auch ein Anfang», «Man soll gehen, wenn’s am schönsten ist» – und «Neue Wege entstehen, indem man sie geht.»
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