Eigentlich hatte der Streaming-Gigant Netflix im Rahmen einer Kampagne für Jacques Audiards Film geworben, der mit 13 Oscar-Trophäen mit den meisten Nominationen ins Rennen geht. Angesichts des Werdegangs der 52-jährigen Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón, die ihre Geschlechtsumwandlung im Alter von 46 Jahren vollzog, wäre eine Trophäe historisch.
Doch ihre Chancen gegen Demi Moore, die für ihre Rolle in «The Substance» nominiert ist, scheinen zu schwinden, seit alte Nachrichten in sozialen Netzwerken ausgegraben wurden. In diesen bezeichnete sie etwa den Islam als «ekelhaft für die Menschheit». In anderen Beiträgen machte sie sich über die Diversität in der Unterhaltungsbranche lustig. In einigen Kommentaren kritisierte sie auch die antirassistische Bewegung nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt.
Laut «The Hollywood Reporter» und «Variety» hat Netflix Karla Sofía Gascón aus allen seinen Kampagnen entfernt. Eine Seite auf der Netflix-Website, auf der der Film beworben wird, zeigt nun anstelle von Karla Sofia Gascón ein Bild von Zoë Saldaña. Sie ist für ihre Rolle im Film als beste Nebendarstellerin für einen Oscar nominiert.
Entschuldigung
Die Schauspielerin entschuldigte sich daraufhin in einer von Netflix übermittelten Erklärung. In einem Interview mit der spanischsprachigen Version des US-Senders CNN verteidigte sie sich dann gegen den Vorwurf, «rassistisch» zu sein. Sie werde sich nicht aus dem Oscar-Rennen zurückziehen, sagte sie ausserdem.
Auf ihrem Instagram-Account plädierte sie für ihre Sache: «In den letzten Tagen habe ich eine emotionale Achterbahnfahrt hinter mir (…) Man will ‹Cancel Culture› auf mich anwenden», schrieb sie.
«Eine Zeit lang fühlte ich mich in meiner Transition verloren und suchte nach Anerkennung in den Augen anderer. Aber heute weiss ich endlich, wer ich bin. Ich suche nur die Freiheit, ohne Angst zu existieren, Kunst ohne Barrieren zu schaffen und mit meinem neuen Leben weiterzumachen», fügte sie hinzu.
Nicht unumstritten
Der Film, der von der Geschlechtsangleichung eines mexikanischen Drogenbosses handelt, ist in der queeren Gemeinschaft nicht unumstritten. Der Intellektuelle Paul B. Preciado bezeichnete ihn in der französischen Tageszeitung «Libération» als «psychopathologische Vision des Geschlechterwechsels».
In Mexiko warfen einige dem Film vor, Klischees über das Land zu bedienen und sich die mit der Drogenkriminalität verbundenen Tragödien zu leichtfertig anzueignen. Auf der Website IMDb sind die Kritiken des Publikums, vor allem in den USA und Mexiko, mittlerweile auf einem Tiefpunkt angelangt.
Rechtfertigungen des Regisseurs
Jacques Audiard antwortete Ende Januar: «Es gibt diejenigen, die den Film gesehen haben, und diejenigen, die ihn nicht gesehen haben.» Seine Absichten seien ihm als tugendhaft erschienen. Man könne es auch sein lassen, über Drogenhandel zu sprechen. «Aber es lag mir am Herzen, vielleicht habe ich es ungeschickt gemacht», fügte er hinzu.
«Es ist eine sehr solide Kampagne, die wir führen müssen», sagte der Regisseur der französischen Nachrichtenagentur AFP, nachdem er die 13 Oscar-Nominierungen erhalten hatte. Ihm bleibt noch ein Monat, um das Ruder wieder herumzureissen, bevor am 2. März in Los Angeles die 97. Oscarverleihungen stattfinden.
«Emilia Pérez» dominierte bei den Golden Globes Anfang Januar und gewann vier Trophäen (persoenlich.com berichtete). Eine davon gewann der Film als beste Komödie und als bester nicht-englischsprachiger Film. Im Dezember holte sich der Film in Luzern den Europäischen Filmpreis, wo Karla Sofía Gascón ausserdem als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. (sda/afp/cbe)