Tanja Hackenbruch, Sie messen das Medienverhalten der in der Schweiz wohnhaften Personen. Wenn wir Ihr persönliches Nutzungsverhalten analysieren würden – wären Sie Durchschnitt oder Ausreisser?
Mein Nutzungsverhalten ist sicherlich nicht aussergewöhnlich. Einerseits wende ich mich gerne Unbekanntem zu, vor allem neue Formate der Schweizer Medien interessieren mich sehr. Andererseits verbringe ich die meiste Medienzeit in meinen alten Mustern. Zum Beispiel Radio höre ich beim Aufstehen, News schaue ich gezielt am TV, Filme und Serien konsumiere ich meist auf Streamingplattformen und Kurzinfos checke ich laufend auf dem Handy.
Seit Januar senden die SRG-Sender nur noch auf DAB+ (persoenlich.com berichtete). Macht das die Messung einfacher oder komplizierter?
Weder noch. Wir messen mit der Audiomatching-Technologie, das heisst, wir erkennen die Sender respektive Sendungen auf Grund des «Tons» und der ist stets unabhängig vom Verbreitungsvektor.
«Es bräuchte eine dezidierte Begleitstudie»
Könnte man eigentlich messen, wohin die ehemaligen UKW-Hörerinnen und -Hörer der SRG-Programme nun gehen – sprich: Wechseln sie zu DAB+ oder zu anderen Radios?
Aufgrund unserer Messdaten kann man den Zuwachs, respektive den Verlust der einzelnen Sender verorten. Welcher Effekt jedoch tatsächlich der UKW-Abschaltung zuzurechnen ist, können wir nicht sagen. Es gibt viele weitere intervenierende Variablen, die das Hörerverhalten beeinflussen. Um hier Klarheit zu bekommen, bräuchte es eine dezidierten Begleitstudie, jedoch wurde eine solche Studie zumindest bei Mediapulse nicht in Auftrag gegeben.
Der Tages-Anzeiger berichtete Ende Januar über einen massiven Reichweitenverlust bei den SRF-Radios. Doch die Analyse hatte methodische Schwächen. Was schätzen Sie: Sorgt die UKW-Abschaltung langfristig für einen weiteren Reichweitenverlust oder pendelt sich das rasch wieder ein?
Vorausschickend möchte ich festhalten, dass die Daten zwar korrekt waren, sich aber auf einen kurzen Zeitraum beziehen und deshalb eine entsprechend eingeschränkte Aussagekraft haben. Und nun zu Ihrer Frage: Insgesamt ist das Bedürfnis, Audio zu konsumieren, sicher ungebrochen. Man weiss auch, dass die «Medienzeit» insgesamt relativ stabil ist, es jedoch immer mal wieder zu Verschiebungen kommt. Zu welchem Effekt nun die UKW-Abschaltung führt, ist schwer zu sagen. In Norwegen zum Beispiel hat sich die Radionutzung nach der UKW-Abschaltung nach einer Baisse wieder ziemlich gut erholt. Ebenso wurde in der Schweiz 2008 die Mittelwelle abgeschaltet, wofür das SRF Programm Musikwelle von Mittelwelle direkt auf DAB wechselte, was in dieser eher älteren Zielgruppe gut funktioniert hat. Eine gute Ausgangslage ist zudem, dass die Schweiz ein ausgesprochenes Radioland ist. Das Medium Radio hat insgesamt eine sehr hohe Durchdringung und lange Tradition.
Die Energy-Gruppe kritisiert seit Längerem, dass die Radioforschung weder Kopfhörernutzung noch On-Demand-Angebote erfasst. Wie gehen Sie damit um?
Wir stehen mit Energy sowie mit all unseren Kunden im Austausch. Dies geschieht via unsere Gremien und Arbeitsgruppen sowie via Radioverbände und über direkten Kundenkontakt. Entscheide über Ausweitungen des Messspektrums werden immer unter Einbezug der Radioanbieter gefällt. So war es auch bei diesen beiden Themen. Im Jahr 2023 wurde unser Konzept zur Erfassung der Kopfhörernutzung der Radios von der Branche aus Kostengründen abgelehnt und Ende 2023 hat man sich darauf geeinigt, dass auch künftig nur Liveradio in der Währung erfasst werden soll. Wir können daher unsere Radiokunden nur weiterhin bitten, sich in den Gesamtprozess bei solchen Entscheiden einzubringen und ihn mitzusteuern. Und natürlich danach diese Entscheide auch mitzutragen. Wer mit am Entscheidungstisch sitzt, sollte – wie es der Bundesrat praktiziert – auch öffentlich hinter den gefällten Entscheiden stehen. Dies ist wichtig, um das Medium Radio zu stärken und die Radiowährung zu schützen, auf der ja die Vermarktung basiert.
«Wir kommen gut an die Jungen ran»
Auch immer wieder in der Kritik stehen die Uhren für die Radiomessung. Unsere redaktionseigene Gen-Z-Spezialistin kann sich mit dem Design nicht anfreunden. Finden Sie überhaupt genügend junge Panelisten?
Generell wird es für jede Forschung herausfordernder, Mitmachende zu finden – dies vor allem aufgrund der Datenschutzbestimmungen, die rigider werden. Aber auch weil sich die Gesellschaft natürlich verändert und niemand daheim wartet, bis sein Festnetztelefon klingelt und jemand ihn bittet, bei einer Befragung oder Messung mitzumachen. Mit der Mediawatch funktioniert die Rekrutierung aber sehr gut. Dies vor allem auch, weil unser Feldanbieter GfK immer wieder neue Rekrutierungswege ausprobiert und testet. So kommen wir gut an die Jungen, aber auch an jede andere notwendige Zielgruppe ran. Übrigens gibt es zu genau solchen Fragen und Prozessen jährlich Audits. Die Zusammenfassung dieser Qualitätsaudits ist öffentlich zugänglich. Es würde mich freuen, wenn jemand diese Berichte der medienwissenschaftlichen Kommission lesen würde.
Mit Radio Streaming Data haben Sie Anfang Jahr ein neues Produkt lanciert. Was können Radiostationen damit anfangen?
Die Daten sind eine simple Zählung der Streaming-Nutzung, also Kontakt und Dauer. Neu ist, dass für alle mitmachenden Radios die gleichen Regeln gelten: Wann zählt etwas als eine Hörsession oder wie lange ist die Session et cetera? Somit kann man seine Daten mit jenen der Kollegen vergleichen. Ebenso kann man aufgrund der Stream-Sessions das Potenzial für Werbung, die nur auf dem Stream läuft, abschätzen. Damit kann das digitale Vermarktungspotenzial der Radios sichtbar gemacht werden.
Die Radioforschung soll ab 2028 neu aufgestellt werden. Was genau soll sich ändern?
Es geht nicht darum, was sich ändern soll, sondern darum, was sich zwangsweise ändern wird. Und das ist in erster Linie der Preis. Der Gesamtmarktpreis der Radioforschung soll um 50 Prozent gesenkt werden. Wir stehen nun vor der Herausforderung, mit der Hälfte des Geldes eine Forschung aufzubauen, die einerseits dem Gesetzesauftrag genügt und andererseits vom Markt akzeptiert wird. Dazu haben wir insgesamt neun unterschiedliche Angebote basierend auf einem Briefing des Marktes eingeholt. In den nächsten Wochen muss sich die Branche für zwei dieser Angebote entscheiden, die wir dann detailliert ausarbeiten. Der massiv kleinere Finanzrahmen lässt nicht viel Raum für grosse Sprünge. Daher ist es essenziell, dass wir mit der Radiobranche sehr eng zusammenarbeiten. Wir geben alle unser Bestes und werden dann diese Forschung gemeinsam zur Marktakzeptanz führen.
«Herausfordernd wird eine künftige und nachhaltige Finanzierung sein»
Vom Radio zum Fernsehen: Bei der TV-Messung investieren Sie in neue Technologien. Welche Entwicklung bereitet Ihnen dabei am meisten Kopfzerbrechen?
Auch hier bereiten uns keine technischen Entwicklungen Kopfzerbrechen. Wir sind mit unserem Panel, der hybriden Messung, der Messung auf allen Geräten et cetera, so weit fortgeschritten, dass wir aktuell in der Lage sind, alles, was gefordert ist und auf uns zukommt, zu messen. Herausfordernd wird auch hier eine künftige und nachhaltige Finanzierung sein. Aktuell bemühen wir uns um die finanzielle Absicherung der Panelhaushalte, die kein fixes TV-Gerät haben. Dort wird TV anders konsumiert – zum Beispiel auf mobilen Geräten, via Apps – entsprechend wichtig wäre es, dies auch weiterhin zu messen.
Es gibt immer neue Werbeformen, beispielsweise Replay-Ads. Können Sie mit allen Formaten umgehen?
Ja, wir messen alle Replay-Ad-Formate.
Was stellen Sie in der Forschung bezüglich Werbung fest: Wird häufiger überspult als früher?
Das wurde bis jetzt nicht untersucht.
Wie ist das eigentlich rein technisch, wenn ein Werbeblock eines Senders mit einem anderen Werbeblock überdeckt wird – das kann beispielsweise bei Zattoo geschehen. Werten Sie das alles aus, damit Werbeauftraggeber nur für das bezahlen, was wirklich ausgespielt wurde?
Unsere Messung stellt zunächst einmal sicher, dass diese neuen Werbeformen die herkömmlichen Nutzungsdaten nicht beeinträchtigen. Um diese Werbeformen als Teil der TV-Währung zu erfassen, müssten aber die WebTVs wie Zattoo und Blue aktiv kooperieren. Das heisst, sie müssten den Messtag unseres Dienstleisters implementieren, damit wir diese Werbeformen messen können. Seit dem Jahr 2018 versuchen wir, die WebTVs zur Kooperation zu überzeugen. Die kleineren Angebote Yallo und Teleboy haben hier wacker teilgenommen, wofür wir sehr dankbar sind. Dadurch haben wir das notwendige Wissen und die Erfahrung gesammelt und beherrschen nun auch diese Messung. Es wäre schön, Zattoo und Blue würden hier im Sinne der TV-Branche mitmachen.
Mediapulse hat einiges vor in Sachen TV-Forschung. Wird diese künftig genauer? Technisch möglich müsste es ja sein.
Ja, die neue Messtechnologie, welche sukzessive seit Sommer 2024 ausgerollt wird, erlaubt eine noch genauere Erfassung der TV-Nutzung. Wir sprechen hier jetzt von einer echten Sekundengranularität.
«Wir waren sehr innovativ und haben viel Lob dafür geerntet»
Sie möchten die RTVG-Subventionen künftig nicht wie bis anhin nur für Investitionen, sondern auch für den Betrieb einsetzen können. Was würde das konkret ermöglichen?
Dies würde es uns ermöglichen, mit einem Teil der Gelder, die wir vom Bund erhalten, auch dedizierte Teile des Betriebs mitzufinanzieren. Zum Beispiel unsere disproportionalen Panels, die es auch den kleinen Sprachregionen ermöglichen, qualitativ gute Daten zu erhalten. Wir würden nicht mehr Geld erhalten, jedoch Flexibilität gewinnen und könnten die Gelder zielgerichtet und sinnvoller einsetzen als bisher. Die Investitionen im Forschungsbereich werden ja in der Tendenz immer weniger, alles läuft Richtung Betrieb respektive Managed Services.
Zu einem weiteren Standbein, der Onlineforschung. Ist das ein grosser Verlust für Sie?
Natürlich ist dies ein grosser Verlust. Dies vor allem auch, weil unser ganzes Team während rund drei Jahren für den Aufbau dieser Forschung mit sehr viel Herzblut gearbeitet hat. Wir waren sehr innovativ und haben viel Lob dafür geerntet. So gesehen ist es tragisch, dass diese Innovation nicht am Leben bleibt. Dies tat schon richtig weh. Andererseits bin ich sehr froh, dass wir die Onlineforschung unter den gegebenen Umständen nicht mehr betreiben müssen. Sie war defizitär und ein solch totes Pferd weiterzureiten, macht einfach keinen Sinn. Die Finanzierungsbereitschaft, die man uns am Anfang zugesichert hat, wurde nicht realisiert. Ich bin froh, dass wir das alles antizipiert haben und korrekt abwickeln konnten. Es gab keinen Knall, sondern einen geordneten Prozess und wir konnten mit allen Parteien sauber abschliessen.
Welche personellen Auswirkungen hat dieser Entscheid der Verlage für Sie?
Die Stellenreduktionen in der Forschung und im Marketing sind bereits Ende 2024 erfolgt.
«Der Kostendruck auf Forschungsprojekte hält an, während die Anforderungen an die erhobenen Daten weiter steigen», sagte IGEM-Geschäftsführerin Siri Fischer in einer persoenlich.com-Umfrage. Würden Sie das so unterschreiben?
Im Grunde ist das sicher richtig. Andererseits erlebe ich unsere Kunden auch als sehr konstruktiv und wir finden oft auch gemeinsame Wege, um kostengünstiger zu werden. Wir sind an dieser Front schon lange kreativ und realisieren zum Beispiel den aktuellen Technologiewechsel in der TV-Forschung während des laufenden Betriebs. Das heisst, wir machen eine Operation am schlagenden Herzen, können so aber massiv Geld sparen.
«Qualität manifestiert sich ganz stark in der betrieblichen Stabilität»
Alle Medienhäuser sparen. Wie stark wirkt sich der Kostendruck der Branche auf die Qualität der Forschung aus?
Man kann sich über Qualität natürlich immer streiten. Für mich manifestiert sich die Qualität bei unserer Art der Forschung ganz stark in der betrieblichen Stabilität und Verlässlichkeit und in der Stichprobenqualität. Bei Letzterer geht es vor allem auch um deren Pflege, deren Korrektheit und deren Grösse. Dies sind auch die eindeutigen Kostentreiber. Bis anhin können wir die Qualität halten und zum Teil sogar verbessern. Weil wir eben kreativ sind und immer besser werden.
Wenn wir in die Zukunft schauen: Wie wird die Mediennutzung in zehn Jahren gemessen?
Zehn Jahre sind nicht so weit weg. Da für verschiedene digitale Technologien die Regularien rigider werden, glaube ich daran, dass Panels respektive Erhebungen, die direkt bei Personen ansetzen, weiter ihre Bedeutung festigen. Nur auf Basis von Panels kann man qualifizierte Aussagen über Nutzerinnen und Nutzer machen und hat dafür die sogenannte Source of Truth. Des Weiteren denke ich, dass Modelle, die wir zum Beispiel für die Integration der Set-top-Box-Daten in die Panelmessung verwenden, die Zukunft prägen werden. Dies vor allem auch, um Kosten zu sparen und der «granularen» Mediennutzung gerecht zu werden.