11.06.2025

Verbandspartner

«Der Medienmix wird zum Game-Changer, und Bindung muss neu gedacht werden»

Die Ergebnisse des Swissfundraising-Spenden- und Imagebarometers für das Jahr 2024 liegen vor. Ruth Wagner, Spendenmarkt-Expertin, Inhaberin der Agentur one marketing in Zürich und Mitglied des Swissfundraising-Vorstands, interpretiert im Gespräch mit «persönlich» die Ergebnisse und zieht Schlüsse für die Zukunft des Fundraisings.
05/2025: «Der Medienmix wird zum Game-Changer,  und Bindung muss neu gedacht werden»
Ruth Wagner befasst sich als Expertin und Inhaberin einer Agentur, die viele NPO betreut, seit Jahrzehnten mit dem Spendenmarkt. Sie ist auch Autorin der jährlich erscheinenden Studie «Spendenmarkt Schweiz» von Swissfundraising.

Ruth Wagner, seit kurzem liegen die Ergebnisse des Spenden- und Imagebarometers 2024 vor. Was hat das Spendenjahr 2024 aus Ihrer Sicht besonders geprägt?
Prägend waren insbesondere die geopolitische Volatilität, die Instabilität und damit einhergehend die Unsicherheit einer wankenden Welt. Dabei zeigte sich, dass die Schweiz mitnichten eine Insel ist und es weniger «nur» um Politik geht, sondern um die Erosion grundsätzlicher Werte. Spendensammelnde Organisationen hatten 2024 daher noch stärker als vorher die Aufgabe und auch die Chance, als kämpferische Gegenkraft ebenso wie als Orientierung und Hafen sicherer Werte oder als Leuchtturm zu wirken.

Die Resultate zeigen, dass die Spendenbereitschaft nach einem kleinen Taucher im Vorjahr (72 Prozent) wieder bei über 80 Prozent liegt. Wieso scheinen die Schweizer:innen wieder eher zu spenden als im Vorjahr?
Eigentlich hat mich die Zunahme der Bereitschaft zunächst erstaunt, es war ja eher kein katastrophenintensives Jahr mit medial gestützten Nothilfe-Spenden, was häufig ein Treiber ist. Hier also meine drei Deutungsversuche bzw. kombinierbaren Thesen: 

Erstens: Die meisten Organisationen haben erst in der Vorweihnachtszeit nach einem zähen Jahr massiv aufgeholt und überholt – und wohl auch ihre Massnahmen da geballt lanciert. Dank der Öffnung des Zewo-Kalenders und digitaler Möglichkeiten (z. B. Twint-Portal) waren auch Akquise-Aktivitäten in diesem Zeitfenster möglich. 

Zweitens: Jüngere sowie die ältesten Alterssegmente und generell die Westschweiz haben ihre Spendentätigkeit (wieder) deutlich verstärkt (bis 24 Jahre plus 27 Prozent, über 70 Jahre plus 24 Prozent, Westschweiz plus 20 Prozent).

Drittens: Das statistisch konsolidierte Wachstum beschränkt sich auf einige wenige Organisationen, die sich auch in der Awareness und digital durchsetzen konnten: klassisch sehr grosse und bekannte oder auch ganz pointierte Nischenplayer. Eher noch enger wurde es für mittelgrosse «Stuck in the middle»-NGO. 

Andererseits ist der Spendenbetrag (Median) nach zwei starken Jahren mit jeweils 400 Franken auf neu 300 Franken gesunken. Das war letztmals im Jahr 2019 der Fall. 
Wie interpretieren Sie diese Veränderung?
Diese «Veränderung» ist mit minus 25 Prozent substanziell, vor allem auch beim höchsten Beitrag pro Jahr und Haushalt (Reduktion um 80 Franken oder 40 Prozent). Hier spielen 2024 wohl die ökonomischen Faktoren und die in verschiedenen Segmenten hohe effektive oder auch befürchtete Haushaltsbelastung eine grössere Rolle: Wir hatten 2024 im Schnitt einen Anstieg von fast 9 Prozent bei den Krankenkassenprämien und von 3 Prozent bei den Mieten – gemäss dem UBS-Sorgenbarometer 2024 lag die Gesundheitskrise auch vor den grössten Ängsten betreffend Klimawandel, Altersvorsorge und Migrationsthemen. Gerade junge Familien reagierten stark (–50 Prozent Medianspende), und die Börsenunsicherheit beeinflusste wohl insbesondere die finanzstärksten Segmente deutlich. Diese haben ihre Spendentätigkeit teilweise reduziert und vor allem ihre Beiträge massiv gesenkt (bis zu –40 Prozent). Allerdings: Das Spendenbarometer untersucht Public Fundraising explizit ohne Legate und Grossspenden – es könnte hier auch eine Verlagerung der (beabsichtigten) Zuwendungen stattfinden, so dass die Potenziale dort für entsprechende Fundraising-Disziplinen weiter steigen dürften. 

Welche Spendenzwecke waren 2024 besonders beliebt? 
Insgesamt kam es 2024 zu einer grösseren Themendiffusion oder Streuung in den Nennungen – Topthemen waren «Natur-, Umwelt- und Tierschutz» sowie mit starkem Anstieg «Sozial- und Nothilfe Inland» (je 48 Prozent), vor «Kinder und Jugendliche» (46 Prozent) und «Menschen mit Behinderung» (45 Prozent). Die Zunahme beim Inlandthema «Sozial- und Nothilfe» (+12 Prozent) spiegelt die Inlandfokussierung aufgrund der ökonomischen Entwicklung, aber auch aufgrund «mangelnder» Noteinsätze im Ausland, was sich direkt in der Abnahme bei der Katastrophenhilfe als Verlagerung zeigt (–17 Prozent). Gleichzeitig traten Migrationsthemen und anhaltende Krisen etwas in den Hintergrund, auch medial: «Flüchtlinge» nahm als Thema von 31 Prozent im Jahr 2023 um 23 Prozent ab, und «Menschenrechte» büsste 19 Prozent ein – aber auch «Umweltschutz» sank im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent. Generell zeigt sich als Trend, dass wie bei der Nothilfe für die Beseitigung eines akuten «Problems» bzw. für ein konkretes Projekt und einen konkreten Zweck eher als für eine Marke und Werte gespendet wird. 

Wie sieht die Entwicklung in den Bereichen Vertrauen in NPO und Image des Sektors als Ganzes aus?
Die Werte des Vertrauens in die Branche und für NGO als Brands liegen weiterhin sehr hoch. Auch die Relevanz der Arbeit und der Kampfgeist für die Anliegen werden sehr positiv beurteilt, und generell ist die Reputation des Sektors gut und stabil. Einzelne Aspekte wie Transparenz oder Innovationskraft werden 2024 (noch) etwas kritischer eingeschätzt, und gerade als Argument für Nichtspenden nehmen mangelnde Vertrauenswerte und die Infragestellung von Wirkung zu. Generell stellt sich auch hier die Frage, wie stark das Image einer NGO-Marke gerade für jüngere Zielgruppen überhaupt ein Treiber für Spenden ist – und ob nicht die reine Sichtbarkeit und Strahlkraft im zunehmend «lauten» Werbemarkt mit hohen Schwellenwerten eine immer grössere Rolle spielt. 

Generell wichtiger wird einerseits der Einfluss der individuellen psychologischen Motive auf die Spendentätigkeit und entsprechend die gezielte Motivansprache – andererseits gewinnen Mittlerstrukturen und beeinflussende Faktoren zunehmend an Bedeutung. Das bei der Nothilfe mehr noch als Solidarität wichtige Mitleidsmotiv hat 2024 ohne viele Katastrophenspenden quasi folgerichtig generell abgenommen. Dagegen haben die Community als Einflussfaktor sowie dynamisierende Mitmachmotive dazugewonnen und können direkter bespielt werden, auch bei nicht mehr ganz jungen Generationen. 

Gibt es Erkenntnisse, die besonders überraschend sind?
Ich hätte den Anteil «direkte digitale Spenden» am Spendenvolumen höher geschätzt bzw. überhaupt ein Wachstum erwartet: In diesen Bereich wurde viel investiert – die direkt messbare Wirkung als gesamthafter Marktanteil wirkt eher disproportional. Zu beachten ist, dass die Zuordnung von direkten digitalen Spenden bzw. die Einordnung durch die Befragten nicht immer ganz eindeutig ist – insgesamt hat der Anteil digitaler Spenden über die eigene Banken-App auch durch QR-Zahlungen über Einzahlungsscheine weiter zugenommen, und Twint hat sich als Plattform mit eigener Community definitiv durchgesetzt und etabliert. Dennoch bleibt die Frage: Machen wir digitales Fundraising mit Ausnahme einiger weniger Organisationen «noch nicht richtig», und wie könnte man die Spendenerfolge des politischen Campaigning (nicht nur aus den USA) als Mechanik und Inspiration auch für die Schweiz adaptieren?

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse für die Arbeit von Fundraiser:innen?
Aus meiner Sicht gibt es zwei enorm wichtige Aspekte für die zukünftige «Marktbearbeitung» und den Erfolg: Der Medienmix wird verstärkt zum Game-Changer – und Bindung muss neu gedacht werden. Gerade in digitalen Kanälen, aber auch in der Streuung kann vergleichsweise günstig Reichweite erzielt werden – und Awareness zu schaffen, ist grundsätzlich als Grundrauschen und Dynamisierung wichtig, nicht nur für Conversion. Zwei Dinge werden jetzt zu einem eigentlichen USP: relevanter Content in den relevanten Kanälen, in Bezug auf das Individuum ebenso wie hinsichtlich beeinflussender Faktoren wie des Beziehungsumfelds, und die Community – digital wie analog. 

2024 hat gleichzeitig die Loyalität gegenüber Hilfswerken abgenommen bzw. die Anzahl berücksichtigter Organisationen je Haushalt – wenn Akquise zudem immer aufwendiger wird, muss das Augenmerk auch auf der Bindung liegen. Wir haben uns lange auf Bequemlichkeit und technische Bindung verlassen, nun läuft LSV/DD als Modell bald aus, und in digitalen Medien ist mit einem kleinen «Reglerschubser» die Regelmässigkeit weggeswipt oder sistiert. Wir müssen also in der Beziehung immer wieder neu begeistern, als Serie positive Erlebnisse, als Redaktionsplan und Dramaturgie ganz neue Bindungsprogramme, insbesondere auch digital, entwickeln, testen und laufend messen: Bindung und Beziehung neu denken. 

Zum Schluss: Das war die letzte Befragung nach der bisherigen Methodik mit einer Mischung aus Telefon- und Online-Befragung. Neu wird die Befragung nur noch mit  einem Online-Panel erfolgen. Was sind die Gründe dafür?
Seit einiger Zeit wird es immer aufwendiger, über Telefon die Quoten nach Alter zu erreichen – entsprechend wurde der Kostendruck laufend höher. Mit einer Onlinebefragung werden wir insgesamt für die teilnehmenden NGO günstiger. Gleichzeitig können wir die Frequenz und Segmentierung im Imagebarometer erhöhen, auch um Ermüdungseffekte aufgrund der Befragungslänge zu eliminieren. Die Chancen auch für eine inhaltliche Auffrischung und Aktualisierung der Befragung überwiegen die Risiken allfälliger Paneleffekte oder auch eines Medienbias des Befragungsuniversums deutlich – die Anschlussfähigkeit schliessen wir dabei bewusst aus. 2025 haben auch die Swissfundraising-«Stimmungsbarometer» die digitale Transformation vollzogen und spielen ganz neu auf.


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