17.09.2024

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Gesucht: Funny Girls und Heldinnen für den Werbefilm

Frauen spielen im Auftragsfilm auch heute noch eine Nebenrolle. Vor und hinter der Kamera. Dabei wäre mit mehr Diversität so viel zu gewinnen – nicht nur für die Frauen und Minderheiten, sondern für alle: die Gesellschaft, die Filmproduktion selbst und ihre Kunden.
Ausgabe 08/09 2024: Gesucht: Funny Girls und Heldinnen für den Werbefilm
Sie kümmert sich um alle – aber wer kümmert sich um sie? 2023 ist «Die Kümmerin» die am meisten verwendete Stereotypie im Schweizer Werbefilm. Am Grill ist «That one funny guy» in seinem Element.

Text: Yvonne Graf Illustrationen: Vaudeville Studios

Im Werbefernsehen schleppt sich eine Frau im Businessanzug zur Arbeit. Obwohl es erst frühmorgens ist, blickt sie erschöpft in die Kamera. Wir wundern uns so lange, bis wir in der Rückblende erfahren, was die Frau an diesem Tag schon alles hinter sich hat: Hund ausführen, Frühstück bereiten, die Kinder für die Schule fertig machen, Essen vorkochen. Doch es naht Rettung in Form einer Stimme aus dem Off. Sie rät zu einem Vitaminpräparat. So versorgt, kann die Frau mit ihrem Leben fortfahren. Glücklich lächelt sie uns jetzt aus einem spiegelblanken Wohnzimmer entgegen. 

Im Werbefernsehen schleppt sich eine Frau im Businessanzug zur Arbeit. Obwohl erst frühmorgens, blickt sie erschöpft in die Kamera. Wir wundern uns so lange, bis wir in der Rückblende erfahren,  was die Frau an diesem Tag schon alles hinter sich hat: Hund ausführen, Frühstück bereiten, die Kinder für die Schule fertig machen, Essen vorkochen. Doch es naht Rettung in Form einer Stimme aus dem Off. Sie rät zu einem Vitaminpräparat. So versorgt, kann die Frau mit ihrem Leben fortfahren. Glücklich lächelt sie uns jetzt aus einem spiegelblanken Wohnzimmer entgegen. 

Die Rolle der Frau im Werbespot wird als «Die Kümmerin» bezeichnet. Es ist die 2023 am meisten verwendete Stereotypie bei den Darstellerinnen im Schweizer Werbefilm. Das zugrunde liegende Muster ist eine Frau, die sich um alle und alles kümmert: den Partner, die Kinder, den Schwiegervater, den Hund, die verkalkte Kaffeemaschine. Bei den Männern ist die beliebteste Stereotypie «That one funny guy», der smarte und erfolgreiche Mann, der sich – weil erfolgreich – einen witzigen Spruch leisten kann, zum Beispiel, wenn er für seine Freunde abends am Grill steht. 

Nach wie vor sind Stereotypien im Schweizer Werbefilm weit verbreitet. Im Jahr 2023 enthielt jede zweite TV-Werbung Rollenklischees. Zu diesem Schluss kommt der Verein Gislerprotokoll, der für mehr Gleichstellung in der Werbung eintritt und jedes Jahr Schweizer Werbespots im Fernsehen und in sozialen Netzwerken analysiert.

Während im richtigen Leben die Rollenbilder langsam in Bewegung kommen, scheint die Botschaft in der Werbung noch nicht ganz angekommen zu sein. Männer strahlen Kompetenz aus, sie erklären die Welt, Frauen verschönern sie. Und manchmal tun sie nur dies, zum Beispiel als stumme Beifahrerin im Cabriolet oder im Bikini am Pool des Eigenheims. 

Warum sind solche Rollenvorstellungen im Werbefilm so persistent? Eine Erklärung dafür ist die Tatsache, dass die Filmindustrie historisch gesehen eine Männerdomäne war – hinter der Kamera wie auch in Führungspositionen – und es bis heute geblieben ist.

Der durchschnittliche Frauenanteil lag im Jahr 2020 bei 11,5 Prozent, wobei Frauen am häufigsten im Filmschnitt und am wenigsten als Regisseurinnen und Produzentinnen tätig sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: Arbeitsbedingungen, die es schwierig bis unmöglich machen, Beruf und Familie zu vereinbaren, Lohnungleichheit und eine als patriarchalisch wahrgenommene Arbeitskultur spielen eine grosse Rolle. Letztere erschwert weiblichen Filmschaffenden auch den Zugang zu informellen Netzwerken und Kontakten in der Branche. Und sie beeinflusst – bewusst oder unbewusst – auch das Verhalten und die Entscheidungen der Filmschaffenden: Während Männer eher mit erfolgsrelevanten Attributen in Verbindung gebracht werden, wird Frauen weniger zugetraut, dass sie sich am Filmset durchsetzen oder ein grosses Filmprojekt realisieren können. Solche Fremdeinschätzungen prägen auch die Selbsteinschätzung der Frauen: Sie haben häufiger Selbstzweifel, es fehlt ihnen der Mut und der Glaube an sich selbst – was wiederum das fehlende Zutrauen von aussen bestärkt. 

Aus dieser Spirale auszubrechen und ausgeglichenere Verhältnisse zu schaffen, würde sich jedoch lohnen und wäre nicht nur im Interesse der Frauen und Minderheiten, sondern zum Vorteil aller: der Gesellschaft, der Filmproduktion selbst und ihrer Kunden. Denn Diversität bringt vielfältigere Storys hervor, welche (Produkte) besser verkaufen und einen Imagegewinn generieren. Auf der anderen Seite kann bei Nichtbeachtung von Diversität die Fallhöhe für ein Unternehmen gross sein – wie wir seit #MeToo wissen.

Zum Glück ist nicht hoffnungslos, was so klingen mag: Ein wachsendes Bewusstsein hat Bewegung in die Geschlechterrollen gebracht. Immer mehr Institutionen und Verbände engagieren sich in der Sache. Swissfilm Association, der Verband Schweizer Auftragsfilmproduzenten, hat mit SFA Gender einen eigenen thematischen Bereich für die Gleichstellung geschaffen. Derya Tuna ist Filmemacherin und Vorstandsmitglied bei Swissfilm Association. Sie leitet diesen Bereich und sagt: «Das Thema hat Rückenwind, auch von Auftraggeberseite her. Immer mehr Kunden verlangen eine Quote am Set. In einigen Ländern, beispielsweise in Grossbritannien, ist dies bereits zum Standard geworden.» SFA Gender macht sich für die Vertretung aller Geschlechter in führenden Positionen und für Lohngleichheit stark, bietet Mitgliedern aber auch Unterstützung in Form von Coaching und ganz pragmatischen Hilfen.

Rollenvorstellungen sind über Generationen hinweg gesellschaftlich tief verankert. Sie zu ändern, braucht unermüdliches Engagement von allen Seiten. Die Kommunikations- und Marketingbranche steht mehr noch als andere in der Verantwortung, Diversität in ihrer Arbeit zu widerspiegeln, denn sie hat die Macht, beim Publikum etwas zu bewegen. An manche Werbebotschaften erinnern wir uns jahrzehntelang. Was in der Vergangenheit vielleicht nicht immer gut war, ist für die Zukunft hingegen eine grosse Chance: Neue, positive Rollenbilder haben die Kraft, etwas zu bewegen.


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