Interview: Yvonne Graf Bilder: zVg
Auf welche Produktion bist du besonders stolz – und warum?
Nicola Genni: Auf die grossen Dokumentarfilme wie «Douglas Sirk – Hope As In Despair» von Roman Hüben, der an Filmfestivals in der Schweiz und weltweit Preise gewonnen hat und auch auf Arte gezeigt wurde. Mir sind aber auch die kleineren Projekte wichtig. Eine schöne Produktion war «Osteria all’Undici», auch ein Dokumentarfilm. Er handelt vom Burn-out des Regisseurs Filippo De Marchi und von seiner beruflichen Wiedereingliederung als Kellner in einem sozialen Unternehmen.
Désirée Wismer: «Uftakt», ein Dokumentarfilm über dreissig Jahre Mundart-Rap, bleibt für immer ein Traumprojekt. Auch auf den Film «Du entscheidest», für den wir unseren ersten Edi. – einen goldenen – erhalten haben, bin ich immer noch stolz. Am Anfang stand ein Briefing mit dem Titel «Jugendspezifisches Risikoverhalten im Strassenverkehr». Wir haben es in berührende Geschichten umgewandelt und vom Drehbuch bis zum fertigen Film alles inhouse produziert. Obwohl die Filme jetzt schon mehr als vier Jahre alt sind, machen sie immer noch viel Freude.
Welche Rolle spielt KI in deinen Produktionen – heute und in Zukunft?
Désirée Wismer: Wenn ich so nachdenke … im eigentlichen Berufsalltag recht wenig – ich brauche KI aber für Visualisierungen in Konzepten. Und ChatGPT, als wäre es Google.
Nicola Genni: Aktuell verwenden wir noch keine künstliche Intelligenz – ausser bei einigen wenigen Gelegenheiten, bei denen wir KI für Übersetzungen nutzen, die wir dann noch einmal überprüfen.
Was tust du für mehr Gleichstellung vor und hinter der Kamera?
Nicola Genni: Es liegt in unserer Geschichte, dass wir uns für Gleichstellung engagieren … Picfilm wurde von einer Frau gegründet, meiner Mutter Caterina Genni. Damals durften Frauen im Tessin noch nicht wählen, und meine Mutter musste jeden Vertrag, den sie unterschrieb, von meinem Vater gegenzeichnen lassen. Wir machen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, auch nicht beim Lohn. Persönlich glaube ich, dass die Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration der Schlüssel zur Schaffung einer Branche ist, die die Vielfalt der Erfahrungen und Geschichten besser widerspiegelt.
Désirée Wismer: Ich achte auf Diversität bei den Darstellern und darauf, dass wir in unseren Filmen keine überholten Rollenbilder oder Stereotype verwenden. Für mehr Gleichstellung hinter der Kamera versuche ich Frauen, die sich für einen Job interessieren, den Einstieg zu ermöglichen. Ich erlebe das eigentlich als relativ einfach. Auch in diesen sonst männerdominierten Berufen gibt es qualifizierte Frauen. Man muss sie nur buchen.
Was tust du für eine nachhaltige Filmproduktion?
Désirée Wismer: Wir produzieren bewusst in der Schweiz – mit einer inländischen Crew und mit in der Schweiz wohnhaften Schauspielern. Jemanden aus dem Ausland zu holen, macht für uns nur Sinn, wenn es in der Schweiz niemanden gibt, der dasselbe kann. Das gilt auch für die Location: Wir drehen nur im Ausland, wenn wir eine Art von Location benötigen, die es hier nicht gibt.
Nicola Genni: Nachhaltigkeit zu fördern, unseren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren, ist meiner Meinung nach unerlässlich, und wir können das in jeder Phase der Filmproduktion tun – vom Drehbuch bis zur Postproduktion. Damit verbessern wir auf der einen Seite die Lebensqualität aller Beteiligten, auf der anderen schaffen wir eine Industrie, die nicht nur künstlerisch wertvolle Inhalte produziert, sondern auch danach strebt, unseren Planeten zu schützen. Unser junger Produktionsleiter, Mattia De Marco, hat gerade das Diplom des Green Consultant erworben.
Was wünschst du dir von Swissfilm Association?
Nicola Genni: Das Tessin rückt immer näher an Zürich. Wir wünschen uns vom Verband, dass er die Präsenz der italienischen Schweiz in der Schweizer Filmszene stärkt und auch ganz allgemein die Zusammenarbeit der Filmproduzenten aus den verschiedenen Regionen fördert. Die Schaffung gemeinsamer Projekte in der Produktion wie auch in der Promotion könnte dazu beitragen.
Désirée Wismer: Ich wünsche mir, dass Swissfilm Association als Vermittlerin zwischen Auftraggebenden und Produzenten für faire Bedingungen kämpft, damit die Filmproduktion in der Schweiz im internationalen Vergleich mithalten kann. Schweizer Talente sollen gross denken und sich hier verwirklichen können.
Welchen Nicht-Auftragsfilm hättest du gerne selber gemacht?
Désirée Wismer: Ach, schwierig zu beantworten! Ich bin sonst ein extremer «Listen-Mensch» – aber ich habe tatsächlich keine Liste mit dem Titel «Nicht-Auftragsfilme, die ich gern selber gemacht hätte» … So aus dem Bauch heraus: das Video zum Song «Territory» von The Blaze.
Nicola Genni: Da gibt es viele, und es fällt mir jetzt schwer, mich spontan auf einen festzulegen …
Zu den Personen
Désirée Wismer ist Produzentin und Geschäftsführerin bei Get Some Popcorn. Die Film- und Kreativagentur mit Sitz in Zürich produziert Bewegtbilder von der Idee bis zum fertigen Film für Kunden wie Swisscom, SRF, MTV, On Running x Schweiz Tourismus, Sucht Schweiz und BFU. Get Some Popcorn gewann in den letzten Jahren regelmässig den Schweizer Auftragsfilmpreis Edi in den Kategorien Kamera, Regie, Branded Content und wurde für den Prix Walo in der Kategorie TV-Produktionen mit dem Dokfilm
«Typisch Volksmusik» nominiert.
Nicola Genni ist Produzent und Inhaber von Picfilm. Das Tessiner Unternehmen setzt einen Schwerpunkt in der Produktion von Dokumentarfilmen für Fernsehen und Kino und ist auch international für sein Postproduktionszentrum bekannt. Es nimmt immer wieder an Filmfestivals im In- und Ausland teil. Der Spielfilm «Reinas», dessen Audio-Postproduktion in den Studios von Picfilm realisiert wurde, gewann den Publikumspreis am Filmfestival von Locarno. Er wurde als offizieller Schweizer Kandidat in der Kategorie «Bester internationaler Film» für eine Nominierung an den Oscars 2025 ins Rennen geschickt.