30.07.2024

Countryside

«1000 bezahlte Abos wären das höchste der Gefühle»

Der Agrarjournalist Jürg Vollmer lancierte den Landwirtschaft-Newsletter «Countryside» nach US-Vorbild. Mit seinem Einmannprojekt will er ein realistisches Bild der schweizerischen Landwirtschaft zeigen.
Countryside: «1000 bezahlte Abos wären das höchste der Gefühle»
Seit 40 Jahren als Journalist tätig: Jürg Vollmer veröffentlicht neu seine Artikel zu Landwirtschaftsthemen in einem Newsletter. (Bild: zVg)

Jürg Vollmer, mit «Countryside» wollen Sie Konsumentinnen und Stimmbürger ansprechen, die mehr über die Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft wissen möchten. Gibt es dafür nicht schon genügend andere Medien, die das tun?
In den Schweizer Publikumsmedien gibt es leider kaum noch Journalisten, die sich auf die Landwirtschaft spezialisieren können. Dasselbe gilt für viele andere Fachbereiche auch und ist angesichts der radikal verdünnten Redaktionen nur logisch. Das Resultat ist ein Informationsdefizit.

Woran machen Sie dieses Informationsdefizit fest?
Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass Journalisten die Schweizer Kartoffelbauern für den Pflanzenschutzmittel-Einsatz kritisieren. Dass aber mangels genehmigter Pflanzenschutzmittel 2022 und 2023 ein grosser Teil der Schweizer Kartoffelernte ausgefallen ist und 2024 wohl wieder ausfällt, das wissen sie nicht. Und sie wissen auch nicht, woher dann die Kartoffeln für unsere Pommes frites und Rösti kommen. Unter anderem aus Ägypten. Das ist aus drei Gründen unverantwortlich: Weil in Ägypten kübelweise krebserregende Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, wegen der hirnrissigen Transportdistanz und weil wir Schweizer diese Kartoffeln den Ägyptern wegessen.

«Wenn der eine oder andere Journalist Countryside liest, umso besser»

Mit wie vielen Abos rechnen Sie?
Wenn der Newsletter irgendwann einmal 5000 Abonnenten hat, von denen 1000 das Monatsabonnement von fünf Franken bezahlen, dann ist das für mich schon das höchste der Gefühle. Und wenn der eine oder andere Journalist «Countryside» liest und sich davon inspirieren lässt, umso besser.

Wollen Sie auch ein Publikum ausserhalb der Schweiz ansprechen?
Wenn «Countryside» bis Ende 2026 eine tragende Basis hat, dann kann ich auf unsere deutschsprachigen Nachbarländer skalieren. Ich denke mit dem Projekt «Countryside» also langfristig.

«Ich will das Positive zeigen, ohne das Negative zu verstecken»

Wie setzen Sie das journalistisch um?
Ich werde auf der einen Seite zeigen, wie die Legehennen nach einem Produktionsjahr vergast und kompostiert werden, weil die Schweizer Konsumenten deren Fleisch nicht essen wollen. Auf der anderen werde ich einen Landwirtschaftsbetrieb porträtieren, der alle seine Legehennen nach ihrem Produktionsjahr schlachtet und in seinem Hofladen erfolgreich verkauft. Also das Positive zeigen, ohne das Negative zu verstecken.

Seit dem 1. Juli arbeiten Sie als Projektleiter digitale Medien beim Zürcher Bauernverband ZBV. Warum lancieren Sie nun als Privatperson einen Newsletter, der thematisch auch ganz gut zum publizistischen Angebot des ZBV passen würde?
Den «Countryside»-Newsletter habe ich schon im Herbst 2023 aufgegleist. Ich war 62 Jahre alt und überlegte mir, wie ich als Chefredaktor bis zum Rentenalter 65 einen sanften Übergang und eine interessante Aufgabe für danach gestalten kann. Dass man mich als Chefredaktor kurz vor der Rente ohne nachvollziehbare Begründung kaltschnäuzig entlässt, war nicht geplant. Dass ich jetzt für gut zwei Jahre zwei Hüte trage, ist zugegeben nicht die eleganteste Lösung. Aber solange ich es klar deklariere, scheint es mir vertretbar. Ausserdem konzentriert sich der Zürcher Bauernverband auf den Kanton Zürich, während ich im Newsletter die Landwirtschaft auf nationaler Ebene und darüber hinaus betrachte.

Sie haben in Ihrer langen Karriere für die unterschiedlichsten Medien gearbeitet, zuletzt als Chefredaktor des Fachmagazins für die Landwirtschaft «Die Grüne». Wie fanden Sie zum Agrarjournalismus?
Das war ein ziemlich langer Umweg. Als ich 1984 die ersten MAZ-Kurse besuchte, wollte ich Wissenschaftsjournalist werden. Irgendwie hat das aber nie geklappt – bis ich 2017 Chefredaktor von «Die Grüne» wurde, dem Fachmagazin für die Schweizer Landwirtschaft.

Den Schriftzug von «Countryside» ziert ein Traktor und nicht etwa eine Kartoffel oder eine Milchkuh. Wofür steht das Fahrzeug?
Das ist eine Frage, die nur ein nicht bäuerlicher Journalist stellen kann (lacht laut). Ein Härdöpfel und eine Milchkuh sind schön und gut – aber die Schweizer Landwirtschaft wird ohne High-Tech-Traktoren und ohne GVO, GPS und all die anderen Dreibuchstaben-Technologien niemals eine Schweiz mit zehn Millionen und noch mehr Einwohnern ernähren können. Damit sind wir wieder am Anfang: Die nicht bäuerlichen Schweizer wissen, wie man bei AliExpress aus China oder Amazon aus den USA ein Paket bestellt. Sie haben aber keine Ahnung, wie das Essen vom Bauernhof aus dem Berner Seeland, aus der Innerschweiz oder dem Bündnerland auf ihren Teller kommt. Wenn der «Countryside»-Newsletter das mit einem anschaulichen und lebendigen, emotionalen und unterhaltsamen Agrarjournalismus ändern kann, dann ist schon viel erreicht.


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KOMMENTARE

Ueli Zellweger
07.08.2024 16:07 Uhr
Jürg Vollmer nimmt mit seinem Newsletter "Countryside" eine recht selbstbewusste Haltung ein, wenn er behauptet, in den Schweizer Medien herrsche ein Informationsdefizit zur Landwirtschaft. Er kritisiert, dass Journalisten keine Ahnung von den realen Problemen der Bauern hätten, wie etwa den Ausfall von Ernten durch fehlende Pflanzenschutzmittel. Dabei stellt sich die Frage, ob es wirklich an Wissen mangelt oder ob er einfach die Kritiker des landwirtschaftlichen Sektors mundtot machen möchte. Herr Vollmer hat selbst weder einen agronomischen noch einen wissenschaftlichen Hintergrund. Er masst sich jedoch an, sich über diplomierte Agronomen mit zusätzlicher journalistischer Ausbildung zu stellen. Die Vorstellung, dass "Countryside" das einzige Medium sein könnte, das ein realistisches Bild der Landwirtschaft zeichnet, wirkt schon sehr überheblich. Vollmer scheint zu glauben, dass nur er und sein Newsletter die volle Wahrheit kennen. Dabei übersieht er, dass es in der Gesellschaft verschiedene berechtigte Ansichten gibt, die auch kritische Töne zur industriellen Landwirtschaft beinhalten. Ebenso frech ist seine Haltung gegenüber dem eigenen Publikum: Er spricht offen darüber, wie die Realität in der Landwirtschaft aussieht – von Legehennen, die vergast und kompostiert werden, weil ihr Fleisch niemand will. Diese drastischen Darstellungen sind eher eine Provokation als eine seriöse Informationsvermittlung. So wie man es bereits aus seinen Editorials der Zeitschrift «die Grüne» kennt, wimmelt es in seinen Texten von Vorwürfen, Anfeindungen und Provokationen ohne wissenschaftliche Beweise. Es zählt nur seine eigene Meinung. Man könnte den Eindruck bekommen, dass Vollmer mehr auf «Schockeffekte» setzt, um Aufmerksamkeit zu erregen, als auf eine differenzierte und sachliche Darstellung. Jürg Vollmer als Heilsbringer des seriösen Agrarjournalismus zu sehen, ist daher mehr als lächerlich.
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