Während in der Deutschschweiz der radikale Abbau bei Tamedia eher mit Resignation zur Kenntnis genommen wird, löst er in der Westschweiz eine Wutwelle aus. Im Pressespiegel der Morgensendung «La Matinale» von Radio RTS, stellte Valérie Droux am Mittwoch fest: «Es sind nur die Zeitungen der Romandie, die den Tamedia-Abbau kommentieren».
Die Chefredaktorin von Le Temps, Madeleine von Holzen, spricht von einer «Ohrfeige für die Romandie», wo das Portfolio von Tamedia immer kleiner wird. Ihr Kollege von La Liberté, François Mauron, befürchtet, dass die Schliessung der Druckzentren das Ende von kleineren Titeln bedeuten könnte, weil es schwieriger wird einen Slot im Druckzentrum Bern zu kriegen. Der Chefredaktor von Radio RTS, Laurent Caspary, erinnert sich an eine Zeit, in der die Verleger an ihren Titeln und Regionen festhielten und es klar war, dass eine Zeitung ein besonderes Produkt war. Für das Zürcher Medienhaus sei das nicht der Fall. «Tamedia hat aus der Regionalpresse ein Business wie jedes andere gemacht», lautet sein Fazit.
Seitens der betroffenen Redaktionen wurden am Dienstag zwei Communiqués verschickt: eins im Namen aller Romandie-Redaktionen und eins von der Redaktion der Tribune de Genève (TdG). Tamedia betrachtet seine Genfer Zeitung ab jetzt als nicht prioritär.
Der Publizistische Leiter von Tamedia, Simon Bärtschi, erklärte diesbezüglich, dass sich 24 Heures mit seinem «generischen Namen» besser als «Zukunftsmarke» eigne. Eine Ambition sei auch, andere Regionen der Romandie mit dem Titel «anzugreifen». Dass dies zu einem Aufschrei führt, ist verständlich. Man stelle sich vor, Tamedia hätte die Marke Basler Zeitung deklassiert und sie langfristig online mit dem Tages-Anzeiger unter ein Dach bringen wollen.
Zeichen von «Verachtung»
Die Journalistinnen und Journalisten der TdG zeigen sich konsterniert. Sie deuten den Abbau als den «angekündigten Tod» der Genfer Publikation. Die Tamedia-Strategie gehe gegen alle Studien über die Zukunft der Presse, die besagen, dass die Abdeckung ausgebaut werden soll, um zu überleben. Die Redaktion fragt sich, ob Tamedia, statt den Titel sterben zu lassen, sich nicht überlegen sollte, ihn abzugeben.
Alle Westschweizer Redaktionen prangern die «hohlen Aussagen» von Tamedia über einen «Qualitätsjournalismus» an. Sie kritisieren, dass die TdG nicht zu den «Future Brands» gehört, obwohl sie verhältnismässig mehr Abonnenten zählt als der Tages-Anzeiger. Das sei eine «Verachtung» seitens einer Direktion, die mehr und mehr von der Suisse Romande entfernt sei.
Dass sich die Romands über die Herrschaft aus Zürich ärgern, ist nicht neu. Was aber den Graben nun noch vertieft: CEO Jessica Peppel-Schulz hat am Dienstag angekündigt, dass die französischsprachigen Bezahltitel künftig von Zürich aus geleitet werden sollen. Die bisherige Leiterin Christine Gabella, die Anfang Sommer ihre Kündigung eingereicht hat, wird nicht ersetzt.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Redaktion wollen nun den Dialog mit der Direktion suchen, sagt ihr Sprecher Rocco Zacheo gegenüber persoenlich.com. Am Freitag sei eine Videokonferenz mit Jessica Peppel-Schulz geplant.
Aufruf zum Verkauf der TdG
Der Aufschrei hat auch eine politische Dimension. Die Regierungsräte von Waadt und Genf zeigen sich in jeweiligen Stellungnahmen konsterniert und besorgt über eine «Verarmung der Medienlandschaft». Auch die Westschweizer Regierungskonferenz bezeichnet die Pläne von Tamedia als «bedauernswert».
In «La Matinale» von RTS Radio haben Christelle Luisier und Nathalie Fontanet, die Regierungsratspräsidentinnen der Kantone Waadt und Genf, kritisiert, dass Tamedia die Behörden nicht wie üblich vorweg informiert hätte. Beide Kantone haben eine dringliche Sitzung mit dem Medienhaus verlangt. Dazu erklärt TX Group auf Anfrage, dass sie als börsenkotiertes Unternehmen «alle Anspruchsgruppen gleichzeitig» informieren musste. Zu einem möglichen Treffen mit den Kantonsregierungen will sich TX Group nicht äussern.
Die FDP-Regierungsrätin Nathalie Fontanet prangert auch an, dass Tamedia die Presse als gewöhnliches Konsumgut behandle. Auch sie stellt die Frage in den Raum: Sollen die Titel von Privaten, Stiftungen oder Vereinen übernommen werden?
Einen Aufruf zum Verkauf formuliert Michel Jeanneret, Chefredaktor von Blick Romandie. Tamedia soll den Titel für einen symbolischen Franken an die Stiftung Aventinus abgeben. Diese hatte 2020 bereits Le Temps von Ringier Axel Springer gekauft. Auf die Frage von persoenlich.com, ob ein Verkauf infrage käme, antwortete die Medienstelle der TX Group so: «Nein, die Traditionstitel Bund und Tribune de Genève behalten ihren eigenen digitalen Auftritt.»