Warum tun sich Medienhäuser so schwer mit #MediaToo? Über diese Frage wurde am JournalismusTag.23 in Winterthur diskutiert. Auf dem Panel, moderiert von Hannes Britschgi, sassen Salvador Atasoy, Journalist SRF, Simona Boscardin, Co-Präsidentin Junge Journalistinnen & Journalisten Schweiz (JJS), und Monika Hirzel, Geschäftsführerin Kanzlei BeTrieb.
Atasoy, der für SRF unter anderem den «Medientalk» verantwortet, hatte im Sommer zusammen mit seinem Kollegen Oliver Kerrison eine grosse Recherche über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen einen Republik-Reporter veröffentlicht (persoenlich.com berichtete). Für Atasoy ist einige Monate später klar: Es ist der erste solche Fall in der Schweiz, bei dem keine der betroffenen Personen einen persönlichen Nachteil hat. Weder die Opfer noch der Täter seien mit dem Namen über Google auffindbar, sagte er, auch im Vergleich zu den Fällen Roshani/Canonica bei Tamedia und Patrizia Laeri bei SRF im Frühjahr. Für ihn ist das eine Errungenschaft. Denn: «Wir müssen über die Struktur reden und nicht über Einzelfälle.» Nur so würden sich Opfer künftig trauen, sich zu melden.
Kritikpunkt «offenes Geheimnis»
Ist der beschuldigte Journalist wirklich so anonym geblieben, wie es Atasoy sagt? Darüber liess sich diskutieren. «In der Branche ist der Mann im Moment beruflich tot», sagte Moderator Britschgi. Er stellte die Frage in den Raum, ob diese Strafe für den Beschuldigten nicht zu hart sei – gerade im Hinblick, dass die Republik diesen mit sofortiger Wirkung freigestellt und danach entlassen habe, offenbar ohne ihn anzuhören. Die Expertin Monika Hirzel von der Kanzlei BeTrieb sagte dazu: «Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gilt auch den Personen gegenüber, die belästigen.» Im Fall Republik habe es viele schriftliche Sachen gegeben, mit dem man den Beschuldigten hätte konfrontieren können. Spätestens an dieser Stelle vermisste man als Zuschauerin eine Vertreterin oder einen Vertreter der Republik auf dem Panel.
An dieser Stelle brachte sich ein Republik-Journalist aus den Zuschauerreihen ein. Philipp Albrecht kritisierte Atasoy für die Beschreibung in seiner Recherche, dass die Vorwürfe gegen den Beschuldigten ein «offenes Geheimnis» in der Branche gewesen seien. Das hätte den Anschein erweckt, jede und jeder bei der Republik habe davon gewusst und bewusst geschwiegen. Auf Social Media sei entsprechend auf die Redaktion eingedroschen worden. Der Journalist nimmt die Redaktion in Schutz: Er selbst, sowie viele andere bei der Republik, hätten nichts von diesen Vorwürfen gewusst. Atasoy sagte in der Folge: «Weisst du, mit wie vielen Leuten wir von der Republik gesprochen haben?». Die Antwort von Albrecht: «Bei der Republik arbeiten 50 Leute.»
Besetzung von Schlüsselpositionen
Hier bringt sich Simona Boscardin, Co-Präsidentin JJS, in die Diskussion ein. Sie findet die Bezeichnung «offenes Geheimnis» stimmig. Sie lasse offen, dass es Leute gibt, die davon nichts wussten. Sie selbst habe von den Vorwürfen gegen den Republik-Reporter gewusst und sei diesbezüglich auch schon vorgewarnt worden. Solche Informationen würden vielleicht eher Vertrauenspersonen, wie sie als JJS-Co-Präsidentin eine sei, zugetragen.
Boscardin bringt die Diskussion zurück auf die strukturelle Ebene. «In der Medienbranche herrschen Umstände, dass ein Klima von Machtmissbrauch und Sexismus fruchtet.» Die Frage sollte sein, welche Schrauben wir drehen können. Darüber wurde auf dem Podium nur wenig diskutiert. Aber Atasoy appellierte an die kluge Besetzung von Schlüsselpositionen in HR und anderen Abteilungen der Medienhäuser: «Es gibt in den Medienhäusern Verhaltenskodexe. Aber all diese Reglemente sind nur so gut wie die Menschen, die sie anwenden.»
Hat die Medienszene im Vergleich mit anderen Branchen ein besonders grosses Sexismusproblem? Diese Frage wurde zum Schluss aus dem Publikum an Monika Hirzel gerichtet. Sie verneinte dies aufgrund ihrer Untersuchungsaufträge, die genauso häufig aus anderen Branchen kämen.
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24.11.2023 19:43 Uhr