01.12.2000

RTVG

Der radikale Ansatz - in acht Punkten

Jost Wirz (Bild), Vorsitzender der Geschäftsleitung der Wirz-Gruppe für Kommunikation, hält die Auseinandersetzungen um die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG für flau und mutlos. Er hat deshalb acht Thesen verfasst, um die Debatte um die hiesige Medienpolitik anzustacheln.
RTVG: Der radikale Ansatz - in acht Punkten

Die Auseinandersetzungen mit dem Positionspapier des Bundesrates zur Revision des Radio-und Fernsehgesetzes (RTVG) verlaufen erstaunlich flau, um nicht zu sagen mutlos, unkreativ und ohne Perspektive. Mag sein, dass sich die Interessierten und Betroffenen mit einer mittleren Unzufriedenheit abfinden, in der Angst vielleicht, eine weitergehende Veränderung könnte auch unkalkulierbare Risiken in sich bergen. "Was man hat, das hat man." Mit dem Ziel, der Schweizer Medienpolitik doch noch Impulse zu geben, wurde das folgende Programm konzipiert.

1. Der Begriff Service public gehört abgeschafft. Der Begriff Service public taugt wenig für medienpolitische Erörterungen. Er sagt alles und doch wieder nichts. Jeder Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen erbringt einen Service public - natürlich in unterschiedlichem Ausmass. Der Anspruch der SRG aber, alleinige Anbieterin von Service-public-Sendungen zu sein, ist unhaltbar und arrogant. Es ist völlig unmöglich, die Service-public-Definition so zu fassen, dass eine Trennlinie gezogen werden könnte: hier Service public, also unterstützungswürdig, dort Nicht- Service-public, ergo keine Gebührenanteile. Die Streitgespräche ohne Ende über "staatserhaltende" Information, Bildung und Unterhaltung würde sich nach Abschaffung des unscharfen Schlagwortes erübrigen.

2. Den Begriff Qualität nicht mehr verwenden. Wer kennt sie nicht, die unergiebigen Debatten über Programmqualität? Was ist eine hochstehende Sendung? Eine, welche in der Gunst des Publikums steht - oder von den Kulturkritikern gelobt wird? Oder gilt umgekehrt: je höher die Einschaltquote, desto tiefer das Qualitätsniveau? Vielleicht geht es ums gekonnte Handwerk? "Robinson" und "Big Brother" sollen zwar Schrott sein, aber filmisch und dramaturgisch gut gemacht? Qualitätsdiskussionen sind für medienpolitische Weichenstellungen irrelevant.

3. Der Begriff Versorgung wird abgeschafft. Die Vorstellung, dass es zu den Aufgaben des Staates gehört, alle Landesgegenden gleichmässig mit Radio- und Fernsehprogrammen "zu versorgen", ist eigenartig. Was bei Wasser, Gas oder Elektrizität noch einigermassen verständlich ist, wirkt im Bereich der elektronischen Medien geradezu grotesk. Medienkonsum geschieht auf freiwilliger Basis. Wer ein Buch anschauen, eine Zeitung lesen, ein Radioprogramm hören oder eine TV-Sendung sehen will, muss etwas unternehmen, muss wollen, muss sich bemühen, für Letzteres allenfalls eine Satellitenantenne anschaffen.

4. Die Gebühren werden abgeschafft. Es gibt zwei schwer lösbare Probleme rund um die Gebühren. Einerseits nimmt die Zahl der Schwarzhörer und Schwarzseher, seit die "Chaostruppe Billag" und nicht mehr die Swisscom die Gebühren eintreibt, ständig zu. Mit verhältnismässigem Aufwand lässt sich da wenig machen. Aber einmal mehr sind die Korrekten die Dummen. Anderseits zahlen viele Haushalte eine SRG-Zwangsgebühr, ohne je SRG-Programme anzuschauen. Ist das gerecht und entspricht dies dem Verursacherprinzip?

5. Jeder kann Radio/TV-Programme anbieten. Solange Frequenzen verfügbar sind, kann jeder zu einem Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen werden. Die Schweizer Konzessionsbehörde muss nicht mehr durch das Begutachten von Businessplänen Mitverantwortung für einzelne Projekte mittragen. Das ist die Aufgabe der Investoren. Und der Markt soll entscheiden, sprich: das Publikum, ob ein Programm einem Bedürfnis entspricht - oder nicht.

6. Der SRG wird Radiowerbung gestattet. Es ist nicht einzusehen, warum die privaten Radioveranstalter durch ein Werbeverbot auf den SRG-Kanälen vor einer nationalen Konkurrenz geschützt werden müssen. Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer sollte das Prinzip einer neuen Radio- und Fernsehordnung sein. Auch in Sachen Werbung. Schaden dürfte dies niemandem.

7. Ein Medienfonds wird geschaffen. Anstelle von Zwangsgebühren, welche allein von den "anständigen" Bürgerinnen und Bürgern entrichtet werden, wird aus öffentlichen Mitteln ein Medienfonds geäufnet. Es ist unbestritten, dass im kleinen Markt Schweiz - mit den vier Kultur- und Sprachregionen - Werbung und Sponsoring allein nicht ausreichen, um ein vielfältiges Angebot an Radio- und Fernsehsendern zu finanzieren. Deswegen kann es durchaus eine Aufgabe des Staates sein mitzuhelfen, dass ein reichhaltiges Mediensystem lebensfähig ist.

8. Der Bundesrat entscheidet über Zuschüsse. Jeder Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen - auch die SRG - kann Zuschüsse beantragen. Diese werden auf Grund folgender Kriterien zugesprochen: Ist der Veranstalter an einen Programmauftrag gebunden, werden ihm Auflagen gemacht? Ist die Ausrichtung der Sendungen rein kommerziell, oder gibt es ideelle oderkulturelle Motive auszumachen? Erreicht der Sender das angestrebte Publikum? Bereichert er das elektronische Medienangebot, und leistet er einen Beitrag zur Erfüllung des Verfassungsauftrages?

Bücher, Filme, Vereine, Ausstellungen, Bildungsstätten, teilweise auch Presseerzeugnisse (Posttarife!) und viele andere Dinge werden in der Schweiz durch öffentliche Beiträge gefördert. Warum nicht auch Radio- und Fernsehmachen? Zusätzlich wird mit diesem Zuteilungssystem dem ungehemmten, wuchernden Expansionsdrang der SRG (als Folge reichlich fliessender Gebühren) Einhalt geboten. Die anstehende Revision des Radio- und Fernsehgesetzes sollte zum Anlass genommen werden, grundsätzliche Neuerungen und einfache Lösungen einzuführen. Wer nur kosmetische Korrekturen postuliert, ist unkreativ und vergibt eine nicht so schnell wiederkehrende Chance. Mut ist gefragt.

(Die acht Thesen von Jost Wirz sind in der NZZ vom 1. Dezember erschienen).

Der Hintergrund:

In diesen Wochen bespricht der Bundesrat einen Entwurf des Bundesamts für Kommunikation (BAKOM), der eine Menge Zündstoff birgt. Kernidee ist, die Medien in der Schweiz von den heute existierenden drei Ebenen – Lokal, National und International – in lediglich zwei Bereiche zu ordnen: Privat und Service public. Dabei soll eine starke SRG von den Empfangsgebühren profitieren und so der internationalen Konkurrenz, namentlich den Werbefenstern deutscher Sender, die Stirn bieten. Im Gegenzug können die Privaten "werben wie die Wilden", wie sich Roberto Rivola, Kommunikationsverantwortlicher des BAKOM, in Anlehnung an eine Aussage von Moritz Leuenberger ausdrückt.


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