Stefan Schmid, das St. Galler Tagblatt ist gemäss Medienqualitätsrating MQR 2024 «Aufsteiger des Jahres». Überrascht Sie diese Auszeichnung?
Rankings sind immer unberechenbar. Manchmal gehört man zu den Gewinnern, ein anderes Mal zu den Verlierern. Ich würde das nicht überbewerten. Aber grundsätzlich bin ich natürlich schon der Meinung, dass wir eine gute Regionalzeitung machen. Mit einem starken Mantel und einem vifen Regionalteil, der nahe bei den Leuten ist. Das zeigt ja nun auch die Studie. Das freut mich natürlich.
Wenn man die Zahlen des MQR genauer anschaut, dann schneidet das St. Galler Tagblatt so gut ab wegen einer sehr starken Zunahme der Qualitätswahrnehmung im Publikum. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Zuerst einmal ist es für uns wichtig, dass wir vom Publikum gute Noten erhalten. Schliesslich müssen wir unser Produkt verkaufen können. Offenbar zahlen sich unsere Anstrengungen aus.
«Wir versuchen stets, nüchtern und wohlwollend distanziert zu berichten»
Kriegen Sie diesen Zuspruch auch im Alltag mit?
Durchaus. Es gibt immer wieder Leute, die uns anerkennend sagen, ihr habt keinen einfachen Job in diesen Zeiten des digitalen Wandels. Oder andere, die uns für unsere Recherchen loben, etwa zur HSG, zum FC St. Gallen oder zu den Sektenschulen in der Ostschweiz. Die Leute merken, dass wir nicht verbandelt sind. Dass wir wichtige Themen anpacken. Wir versuchen stets, nüchtern und wohlwollend distanziert zu berichten.
Kritik vernehmen Sie auch?
Natürlich gibt es auch jene, die bedauern, dass wir nicht mehr über jede Gemeinde berichten. Aber das ist eine Frage der Mittel. Wir können nicht mehr an jede Gemeindeversammlung gehen. Diese Leute, die das kritisieren, sind nicht enttäuscht von unserer Qualität, sondern einfach über die Tatsache, dass wir nicht mehr alles machen. Quantität ist im Lokalen halt manchmal auch Qualität.
Die Herausgeber des MQR sehen den Lokaljournalismus des St. Galler Tagblatts als Schlüssel zum Erfolg. Was machen Sie besser oder anders als die Schwesterpublikationen bei CH Media, die deutlich schlechter abschneiden beim Publikum?
Ich kann mir das nicht ganz erklären. Wir stehen im regelmässigen Austausch mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Aarau und Luzern, wir sehen, was sie machen und können viel voneinander lernen. Wir haben engagierte Kolleginnen und Kollegen und machen alle einen ähnlichen Job.
«Wir sind die publizistische Klammer der Ostschweiz»
Sehen Sie dennoch eine Erklärung für den grösseren Publikumszuspruch in der Ostschweiz?
Vielleicht so: Die Ostschweiz ist eine Randregion. Man beklagt sich hier zum Teil zu Recht, dass sich die nationalen Medien nicht mehr oder immer weniger für die Region interessieren, manche haben keine Korrespondenten mehr in der Region. Gleichzeitig suchen wir mit unserer Berichterstattung vermehrt das Verbindende zwischen den vier Ostschweizer Kantonen St. Gallen, Thurgau, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden und pflegen so die Identität der ganzen Region. Wir sind die publizistische Klammer der Ostschweiz.
Widerspiegelt sich der Publikumszuspruch, den die Medienforschung gemessen hat, auch in der wirtschaftlichen Entwicklung Ihrer Zeitung?
Wir haben die gleichen Probleme wie die bezahlte Regionalpresse überall. Darum haben wir Synergien im überregionalen Bereich unter dem Dach von CH Media gesucht. Für eine gute Regionalberichterstattung braucht es viele Leute. Wir kämpfen um jedes Abo. Bei der abonnierten Printauflage liegt unser Rückgang im Durchschnitt der Branche bei fünf bis sechs Prozent pro Jahr. Uns gelingt es nicht, diese Verluste vollumfänglich aufzufangen. Online verdienen wir weniger Geld. Die Preise sind tiefer. Es ist ja schön, wenn uns die Leute gut finden. Aber damit können wir uns wenig kaufen. Wichtig ist darum, dass wir Printabonnenten möglichst lange halten und online neue gewinnen können. Das ist ein hartes Business.
Vor bald einem Jahr setzte CH Media zu einem grossen Personalabbau an, der auch Ihre Redaktion betraf. Sind dessen Folgen schon verdaut?
Doch, das ist inzwischen verdaut. Aber es war ein harter Schnitt. Zehn Prozent sparen kann man nicht, wenn man das frühere Angebot aufrechterhält. Wir mussten deshalb Abstriche machen. Aber man kann es auch so sehen: 90 Prozent der Belegschaft sind geblieben und wir haben wenig Fluktuationen. Wir geben weiterhin alles, um unserer Leserschaft täglich ein gutes Produkt zu präsentieren.
«Im Lokalen sind die vielen Gemeindeblätter oft näher dran»
Wie meistern Sie die Herausforderung, mit weniger Personal ein grosses Einzugsgebiet in Print und Online mit Nachrichten zu versorgen?
Wir haben uns als regionales Medium definiert und müssen Geschichten bringen, die möglichst alle Menschen in der Ostschweiz kantonsübergreifend interessieren. Den hyperlokalen Journalismus können wir uns immer weniger leisten. Da sind die vielen Gemeindeblätter oft auch näher dran. Natürlich berichten wir noch über mittlere und grössere Gemeinden. Und fallweise über die kleineren. Was weggefallen ist, kompensieren wir wie erwähnt mit regionalen Geschichten. Ein aktuelles Beispiel ist die Serie von tödlichen Unfällen im Alpstein. Darüber haben wir ausführlich unter verschiedenen Aspekten berichtet. Auch über Themen wie Verkehrsinfrastruktur, Gesundheitsversorgung und Sicherheit kann man aus einer gesamtostschweizerischen Optik viele Leute erreichen.
CH Media hat mit dem St. Galler Tagblatt sowie mit Radio und TV eine starke Stellung in der Ostschweiz. Welche Medien sind Ihre härtesten Konkurrenten auf dem Leser- und Werbemarkt?
Im Lesermarkt ist Social Media die härteste Konkurrenz. Statt beim Tagblatt sind die Jungen auf Tiktok. Uns muss es gelingen, auch die jüngeren Leute an unsere Medienmarken heranzuführen. Nicht nur punktuell, dass sie mal einen Bericht über den FC St. Gallen lesen, sondern dass sie bereit sind, ein Abo zu kaufen. Im Werbemarkt gibt es hingegen weiterhin auch lokale Konkurrenz, etwa Gemeindeblätter, die staatlich finanziert werden. Die sind auf dem Werbemarkt sehr aktiv, was wir auch spüren. Ein Metzger, der früher in der Appenzeller Zeitung inseriert hat, macht das nun oft in seinem lokalen Anzeiger.
Kürzlich wurde bekannt, dass die Newsplattform Die Ostschweiz nicht mehr weitergeführt wird. Ist das auch eine Chance für das St. Galler Tagblatt, neues Publikum zu erschliessen?
Ich bin nicht sicher, ob uns diese Einstellung wirklich ein zusätzliches Publikum bringt. Grundsätzlich bedauere ich das Ende von Die Ostschweiz. Es wäre wünschenswert, wenn es eine vielfältige Medienszene auch in den Regionen und nicht bloss in Zürich oder Basel gäbe.