01.08.2024

In eigener Sache

Einmal von Zürich nach Rapperswil und zurück

60 Jahre persönlich ist die wechselvolle Geschichte eines Kleinverlags aus den spröden 1960er-Jahren bis in die Gegenwart, über dessen Schicksal in Sichtweite des Kremls, im Zürcher Commercio, im Eden Roc in Ascona und im Wetziker Spital entschieden wurde. Doch erfunden wurde das Ganze von einem «Blick»-Reporter der ersten Stunde.
In eigener Sache: Einmal von Zürich nach Rapperswil und zurück
Kleine Feier mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden anlässlich 20 Jahre persoenlich.com (v.l.): Loris Lehmann, Birgit Roth, Tim Frei, Edith Hollenstein, Adrian Schräder, Rahel Martinez, David Vonplon, Benedict Neff, Corinne Bauer, Roman Frank, Flavio Niederhauser, Alberto Venzago, Christian Lüscher, Peter Scheider, Matthias Ackeret, Michèle Widmer, Christine Schnyder, Christian Beck, Bruno Hug, Corinne Lüthi, Marion Loher, Jrene Shirazi, Andrea Herculeijns-Heusi, Maya Yanic, Manfred Klemann und Hans-Peter Rohner. (Bilder: Sandra Schunck, Archiv)

Der Chinese lachte. Worauf die Chinesin lachte und ich – obwohl ich den Grund nicht ganz verstand – auch in das gemeinsame Gelächter einstimmte. Es war an einem Freitagnachmittag vor bald zwölf Jahren. Der persönlich-Verlag, damals noch zu Publigroupe gehörend, hielt im obersten Stock eines sorgsam renovierten Altstadthauses am Rapperswiler Hauptplatz seine halbjährliche Verwaltungsratssitzung ab. Durch das geöffnete Fenster strahlten im gleissenden Winterlicht die schneebedeckten Glarner Alpen. Dass die Publigroupe mittlerweile zu einem weltumspannenden Konzern mit Schwerpunkt Asien geworden war, widerspiegelte sich vor allem im Verwaltungsrat: zwei Hongkong-Chinesen mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Der Grund der plötzlichen Heiterkeit: der rote und der blaue Punkt auf dem Titelzug, eine Erfindung übrigens von meinem Vorgänger Oliver Prange als kleine Hommage an «persönlich rot» und «persönlich blau», die seit 2008 unter einem Titel fungieren.

Die chinesische Annäherung ist eine winzig kleine Anekdote aus den vergangenen 60 Jahren. Wie jedes vitale Unternehmen hat auch der persönlich-Verlag eine wechselvolle Geschichte. Und wie bei jedem guten Unternehmen gehört dabei auch ein bisschen Verklärung dazu: Bei der Migros ist es Gottlieb Duttweiler, bei Radio 24 der Pizzo Groppera, und bei persönlich sind es die Rapperswil-Jahre. Doch dazu später.

Kein Prozess ohne Wyss

Entstanden ist persönlich im Zürcher Seefeld. Dessen Gründer Walter P. Wyss war eine schillernde und visionäre Persönlichkeit, die zur ersten Generation der Blick-Journalisten im legendären Büro an der Dianastrasse 9 gehörte, was auf eine dicke Haut gegen alle äusseren Anfeindungen hindeutete, denen die ersten Boulevardreporter des Landes ausgesetzt waren. Gleichzeitig deutete es aber auch auf einen sicheren Themeninstinkt hin. Wyss war akkreditierter Gerichtsreporter. Der damalige Nachrichtenchef Fibo Deutsch erinnert sich: «Wir waren eine richtige Legionärstruppe. Wenn Wyss ein Thema in der Konferenz vorschlug, bekräftigte er sein Votum, indem er kräftig mit einem Fuss auf den Boden stampfte.» Oder auf die Kürzestformel gebracht: «Kein Prozess ohne Wyss.»

Die 1960er-Jahre waren auch die Geburtszeit der ersten Medien-Infodienste. Der Stuttgarter Journalist Waldemar Schweitzer, verwundeter Zweit-Weltkrieg-Panzergrenadier, Jungsozialist und Spiegel-Korrespondent, verbreitete als erster Branchennews über Journalisten, Werbung und Verlage auf hektographierten Blättern auf rosa Papier. «Amateurhafte Kollegennews», umschrieb Fibo Deutsch das neue Medium mit dem Titel: «Aus unseren Kreisen». 1961 gründete Schweitzer zudem die Zeitschrift «DM», die sich im deutschsprachigen Raum erstmals mit Verbraucherschutz und Warentests beschäftigte und die – unter anderem Namen – heute noch existiert. Zum Mitarbeiterstamm gehörte Walter P. Wyss. Fibo Deutsch erinnert sich noch, wie Wyss – inspiriert vom Erfolg des deutschen Pendants «Aus unseren Kreisen» – die Urmutter des heutigen persönlich kreierte. So versandte er 1962 erstmals News aus der Medien- und Werbebranche an ein auserwähltes Schweizer Publikum. Aber erst zwei Jahre später – 1964 – wird das persönlich erstmals im Schweizerischen Bundesarchiv als neue Publikation aufgeführt, was auch der Grund für die 60-Jahr-Feierlichkeiten ist.

Seine Branchennews hackte Wyss mit der Schreibmaschine auf ein weisses Papier, das er anschliessend vervielfältigte und gegen eine Gebühr von 700 Franken an seine Abonnenten versandte. Auch ein Novum: Wyss bestimmte persönlich, daher der Name, wer zum Abonnentenkreis gehörte und wer nicht. Heute völlig undenkbar. Nimmt man es ganz genau, publizierte Wyss ein halbes Jahrhundert vor dessen digitalem Siegeszug den ersten Schweizer Newsletter, nur in haptischer Form und – heute ebenfalls undenkbar – ohne Werbung. Obwohl Wyss auch über Werbung schrieb, wollte er – finanziell zumindest – nicht allzu fest mit dieser Branche in Verbindung gebracht werden. «Werber oder Reklameberater», bilanzierte er rückblickend, mussten ihre «Anerkennung als ehrenwerte Berufsleute» erstreiten, da weder «Verleger noch Annoncenverwaltungen ohne Weiteres bereit waren, den Werbern einen gleichberechtigten Platz auf dem Kommunikationskarussell einzuräumen».

Das sass. Doch Wyss war seiner Zeit voraus, die goldenen Werbejahre, in denen man sich als kommerzielle Picassos fühlte und den Arbeitsplatz am frühen Nachmittag in die Kronenhalle verlegte, kamen erst fünfzehn Jahre später.

Commercio-Treffen mit Folgen

Die Kommunikationsbranche der 1960er war überschaubar: ein paar Verlagshäuser (von denen die meisten immer noch existieren), die SRG, die Publicitas als eigentliche Weltmacht und ein paar Grossagenturen wie die Werbeagentur Wirz oder die PR-Agentur Farner mit ihren charismatischen Gründerpersönlichkeiten Adolf Wirz oder Dr. Rudolf Farner. Mitte der 1980er-Jahre erkrankte Wyss, der später auch noch als Pressechef des Diner Club und Stellenvermittler agierte, schwer. Headhunter Hans Hofmann, heute immer noch aktiv, vermittelte in der Folge einen Kontakt zum aufstrebenden Rapperswiler Verleger und Gratiszeitungspionier Bruno Hug (Uster Nachrichten, Zürioberland Nachrichten und Obersee Nachrichten). Wyss und Hug trafen sich im Zürcher Restaurant Commercio – eine Begegnung mit Folgen.

1987 kaufte Hug den persönlich-Verlag und verlagerte diesen nach Rapperswil, wo er sich ganze 28 Jahre befinden würde. In einer ersten Ära produzierte die Redaktion mit dessen Chefredaktor Erich Liebi, einem ehemaligen «Tagesschau»-Redaktor und langjährigen Journalisten, ein formal sorgfältig gestaltetes und nach journalistischen Kriterien geführtes Fachmagazin, das «zu einer kompetenten Stimme in der Schweizer Kommunikationsbranche» (SonntagsZeitung) wurde. Doch die Konkurrenz durch die 1973 gegründete Werbewoche und der immer kleiner werdende Inseratemarkt veranlassten Hug, neben der monatlich erscheinenden Zeitschrift ein wöchentlich erscheinendes «persönlich aktuell» zu lancieren, das den temporären Bedürfnissen der Branche Rechnung tragen sollte. Doch die Idee stiess bei der Redaktion auf wenig Gegenliebe, man befürchtete eine höhere Arbeitsbelastung und das Abgleiten in den PR-Bereich. Es sei nicht leicht, stänkerte der Klartext, redaktionelle Qualität und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Das brutale Fazit: persönlich sei ein «Schönwetterprodukt».

Verleger Hug zog – wie es seinem Naturell entspricht – kurzerhand den Stecker, stellte die Produktion des Blattes für einige Wochen ein und suchte nach einem neuen Konzept.

Die goldenen Rapperswiler Jahre

Der Heilsbringer kam in der Gestalt von Oliver Prange. Der heutige Du-Verleger absolvierte seine ersten journalistischen Gehversuche beim Wirtschaftssender European Business Channel (EBC) in Schlieren, bevor er als freier Journalist für Werbewoche und Bilanz arbeitete, wo er unter anderem die hundert Reichsten ermittelte. Sein Gesellenstück war aber die Gründung der Publishingfirma Denon – benannt nach dem französischen Politiker Dominique-Vivant Denon –, die Prange die ersten unternehmerischen Erfahrungen bescherte. Im Sommer 1996 beschlossen Hug und Prange in einem Fünfsternhotel in Ascona den Zusammenschluss ihrer unternehmerischen Aktivitäten. Rückblickend eine äusserst fruchtbare Entscheidung, sowohl für Denon, die damit eines der grössten Publizistikunternehmen der Schweiz wurde, als auch den persönlich-Verlag, der unter der Federführung Pranges eine neue Dynamik entwickelte.

Die Neugründung von persönlich stand unter einem guten Stern: Während Hug den Innendienst organisierte, holte Prange sogleich die internationalen Werbestars zum Blatt und verschaffte der Zeitschrift damit mehr Attraktivität, Glamour und auch Akzeptanz. Während eines Jahrzehnts ergänzten sich der charismatische Hug und der dynamische Prange optimal und machten aus dem biederen Fachverlag ein Unternehmen mit nationaler Ausstrahlung. Ende der 1990er-Jahre entstand das «persönlich blau», ein Magazin, das sich ausschliesslich an die Auftraggeber – und somit die Geldgeber – richtete. Der richtige Entscheid: Schon damals zeigte sich, dass auf Werbeagenturen kommerziell kein Verlass war, da ausgerechnet diese kaum Eigenwerbung schalteten – als misstrauten sie ihrer eigenen Tätigkeit.

Erster Verbandspartner für «persönlich blau» war die Gesellschaft für Marketing (gfm) mit dem damaligen Präsidenten Elmar Wohlgensinger. Kurz nach der Jahrtausendwende gründeten Hug und Prange den Onlinedienst persoenlich.com. Dank der beiden Ur-Redaktoren Almuth Berger und Alain Egli und eines ausgeklügelten Empfängerkreises entwickelte sich persoenlich.com schon bald zum führenden Branchenmedium. In den vergangenen 24 Jahren fiel dieses immer wieder durch besondere Primeurs auf: So vermeldete persoenlich.com als Erstes, als dessen letzter Wille, den Tod von Showstar und TV-Legende Kurt Felix oder den Verkauf des Werbefilmfestivals Cannes Lions an eine englische Investmentfirma.

Im Februar 2013 hatte ich sogar ein zweistündiges Exklusivinterview beim ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in dessen Privatbüro in Hannover. Schröder öffnete die Türe selbst und war äusserst kommunikativ. Irritiert war er nur, als ich ihm offenbarte, dass ich nicht vom Spiegel sei, wie er ursprünglich annahm, sondern von einem Schweizer Fachmagazin. Dafür gab er mir nach unserem Austausch einen exklusiven Restauranttipp: das Restaurant Roma an der Goethestrasse in Hannovers Innenstadt. Dieses konnte aber nicht im Entferntesten mit unserem Rapperswiler Stammhaus, dem Dieci, mithalten. Doch andere Länder, andere Sitten. Vielleicht, so dachte möglicherweise der Bundeskanzler a. D., verfüge ein persönlich-Chefredaktor auch nicht über das gleiche Spesenbudget wie dasjenige seines Amtskollegen vom Spiegel.

Mit Roman Frank wurde auf kommerzieller Seite ein sicherer Wert engagiert, was sich allein schon darin zeigt, dass der langjährige Verlags- und Anzeigenleiter seit bald einem Vierteljahrhundert für persönlich arbeitet, ein Jahr länger als der Schreibende. Corinne Lüthi, die bewährte Grafikchefin und Heftgestalterin, kam 2008 dazu.

Obwohl die Redaktion rund 40 Kilometer vom eigentlichen Medien- und Werbemekka Zürich agierte, was medial gesprochen eigentlich ein Widersinn war, machten Hug und Prange aus der Not eine Tugend und kreierten ein neues Selbstverständnis: die Aussensicht. «Wir sind am schönsten Ort der Welt», predigten die beiden Verlagschefs unisono und nahmen damit in Anspruch, mit ihren Medien einen besonderen Zugang zur Branche zu entwickeln. Oder ganz banal formuliert: In Rapperswil dauerten die Cannes Lions das ganze Jahr.

Die persönlich-Redaktion war eine Talentschmiede besonderer Art: So arbeiteten unter anderem Evi Wismer (später SRF), Sibylle Marti (heute Direktorin Kinderzoo), David Vonplon (NZZ), Maurice Thiriet (Watson), Benedict Neff (Feuilletonchef NZZ), Edith Hollenstein (Tages-Anzeiger), Corinne Bauer (SRF), Christian Lüscher (Zurich Greater Area), Adrian Schräder (Schroten) oder Christine Schnyder (TeleZüri, SRF und heutige Geschäftsführerin Spitex Linth) bei persönlich. Doch kein Glück dauert ewig: 2008 verkauften Hug und Prange ihre Anteile an die damals omnipräsente Publigroupe, die grösste Vermarktungsorganisation des Landes.

Für die Branche war die Publigroupe aber mehr: Mutter Teresa und Geliebte in Personalunion. Ohne P – so der allgemeine Duktus – passiere gar nichts. Deren Chef, Hans-Peter Rohner, wurde an den alljährlich stattfindenden Verlegertagungen in den exklusivsten Schweizer Hotels wie ein Bundesrat empfangen. Oder als noch mehr.

Im Windschatten des Kremls

Prange war mit Rohner seit 2002 in engstem Kontakt. Sie trafen sich an den verschiedensten Orten und diskutierten – zuerst noch vage, später immer konkreter – einen möglichen Verkauf. Der Durchbruch kam 2006 beim Weltkongress der Zeitungsverleger in Moskau. Präsident Putin hielt seine Begrüssungsrede mit anderthalb Stunden Verspätung. Im Vorfeld bekamen die 1700 anwesenden Verleger und Journalisten einen ungeschminkten Einblick in den Alltag einer Diktatur, als kurz vor dem präsidialen Auftritt protestierende Tschetschenen im Eingangsbereich von Sicherheitskräften verprügelt und aus dem grossen Kremlsaal geschafft wurden. Das Publikum war schockiert, Noch-nicht-Verleger Pietro Supino verliess aus Protest vor Putins Rede den Saal.

Doch irgendwann beruhigte sich die Lage, und die anwesenden Journalisten lauschten der emotionslosen und abgeklärten Rede des russischen Präsidenten, der 16 Jahre später die Welt beinahe in den Abgrund reissen wird. Wenige Stunden später sassen Prange und Rohner bereits wieder in der Lobby eines Moskauer Hotels und gingen im Dunstkreis des Roten Platzes verschiedene Verkaufsoptionen durch, wobei – und dies muss fairerweise auch gesagt werden – der Publigroupe-Boss weniger am persönlich-Verlag als an der Denon-Gruppe interessiert war. Diese wollte er – vom oberen Zürichsee aus – mit dem Claim Rapperswil-Hongkong-Shanghai zu einem führenden Player des Corporate Publishing im asiatischen Raum machen.

Anfang 2008 ging der Verkauf wirklich und eigentlich sehr schnell über die Bühne. Dies hatte – wie anfänglich erwähnt – auch Auswirkungen auf das persönlich, da dessen Verwaltungsratsmitglieder plötzlich aus dem kommunistischen China stammten. Obwohl unser Verlag vorerst in Rapperswil blieb und ein Standortwechsel kein Thema war, zog sich Hug zurück und konzentrierte sich wieder auf die Obersee Nachrichten, die mittlerweile der Somedia gehörten. Daneben widmete er sich seinen politischen Aktivitäten, wie dem Kampf gegen die KESB oder – kurz danach – dem Kampf gegen die indirekte Presseförderung, deren Abstimmung er vor zwei Jahren deutlich gewann. 2016 wurde Hug beinahe zum Stadtpräsidenten von Rapperswil gewählt, hätte er sich vor dem zweiten Wahlgang nicht zurückgezogen. Oliver Prange hingegen erwarb das Du, rettete damit dessen Existenz und wechselte nach Zürich.

Ursula von der Leyens Bruder als Geburtshelfer

Anfang April 2014 ein weiterer Paukenschlag. Publigroupe-Boss Hans-Peter Rohner verkündete in einer eilend zusammengerufenen Pressekonferenz im oberen Stock des Zürcher Hauptbahnhofs den Verkauf der Werbevermarkterin Publicitas, des wichtigsten Teils der Publigroupe. Künftiger Eigentümer war die deutsche Privat-Equity-Gruppe Aurelius. Der damalige Chef Donatus Albrecht sass mit Rohner vor den Medien und prophezeite eine erfolgreiche Zukunft des soeben erworbenen Unternehmens. Doch dies hatte nur beschränkte Gültigkeit: Nicht einmal vier Jahre später meldete Publicitas Konkurs an, ihre rechtliche Abwicklung dauert bis heute an. Erfolgreicher war hingegen Donatus Albrechts Schwester Ursula von der Leyen, sie erklomm den höchsten Chefposten der Europäischen Union.

Die Anwesenden der denkwürdigen Pressekonferenz ahnten bereits: Mit dem Verkauf des Filetstücks Publicitas war auch die Selbstständigkeit der Publigroupe besiegelt. Schon kurze Zeit später wurde diese wirklich an die Swisscom verkauft, nicht zuletzt wegen ihrer Plattformen local.ch und search.ch, die diese neu zu localsearch.ch zusammenführte. Gleichzeitig war aber auch klar – um auf das eigentliche Thema zurückzukommen –, dass die Swisscom den persönlich-Verlag nicht führen konnte und wollte. Dessen Verkauf musste vorher geschehen.

Nierenstein und Tränen in den Augen

Für den Schreibenden begann im Hochsommer 2014 eine aufreibende Zeit. Bereits bei der fulminanten 50-Jahr-Party im Schloss Rapperswil – exakt zehn Jahre vor den Feierlichkeiten im Kaufleuten – zeichnete sich ab, dass es sich dabei wohl um den letzten persönlich-Grossanlass im beschaulichen Rapperswil handelte. Schon im Vorfeld des Festes – von den meisten Gästen unbemerkt – vertraute mir Hans-Peter Rohner in einer Ecke des pittoresken Schlosses an, dass er mich als künftigen persönlich-Eigentümer bevorzuge. Wobei, und dies erwähnte er en passant: Es seien noch einige andere Mitbewerber im Spiel. persönlich sei ja, und das wisse ich am besten, eine begehrte Marke.

Ein bekannter PR-Experte, der im Sold der P stand, lud mich in jener Zeit in die Kronenhalle ein und verriet mir unter einem Picasso, dass er den Wert des persönlich-Verlags auf mindestens zehn Millionen Franken schätze. Diese Information versetzte mich als potenziellen Käufer nicht gerade in einen Freudentaumel, vor allem, weil ich die wirklichen Zahlen kannte. In der Folge traf ich Hans-Peter Rohner mehrere Male. Zwar nicht mehr in Moskau wie mein Vorgänger Oliver Prange, aber an anderen filmreifen Orten wie der Bar des Berner «Schweizerhofs» oder derjenigen des «Eden Roc» in Ascona. Rohner tönte an, dass ein anderer Mitbewerber bereits mit einem Koffer voller Geldnoten – Gesamtsumme eine Million Franken – bei ihm aufgetaucht sei, um einen schnellen Deal zu besiegeln. Doch Hampi hielt Wort, gab mir aber mit seinem Appenzeller Witz und Charme unmissverständlich zu verstehen, dass er mich trotz meines Zögerns immer noch für den geeignetsten Käufer hielte. Der Kauf müsse aber vor der Übergabe des Gesamtkonzerns an die Swisscom stattfinden. Also subito.

Meine Bekannten, Roger Schawinski und Christoph Blocher, die ich ins Vertrauen zog und die zweifelsohne über grosse unternehmerische Erfahrungen verfügten, bekräftigten mich, das persönlich zu kaufen, selbst wenn es etwas Kleingeld koste. Dieselbe Ansicht teilte auch der Banker einer Grossbank, der mich in sein Sitzungszimmer oberhalb der Bahnhofstrasse einlud. Neben dem üblichen Smalltalk wollte er ein paar Insights über meine Begegnungen mit Schawinski und Blocher hören, die ich – zum allgemeinen Entertainment der anderen anwesenden Banker und für die gute Sache – gerne lieferte. Was aber wenig bewirkte. Wenige Tage später die Absage; die Bank könne leider, leider nur auf sichere Werte setzen. Mit grösstem Erstaunen las ich kurz danach auf einer Plakatwand, wie sich ausgerechnet die gleiche Bank für die Förderung von Start-ups engagiere. Ich war unsicher, wusste nicht, wie das Ganze enden werde. Damals wurde mir erstmals richtig bewusst, dass der Unterschied zwischen dem beobachtenden Journalisten und dem handelnden Verleger doch sehr gross sein muss.

Als ich auf der Autobahn Richtung Rapperswil plötzlich einen stechenden Schmerz in der Magengegend verspürte, wurde mir dies auch körperlich bewusst, instinktiv glaubte ich an einen Herzinfarkt. Doch es waren nur kollabierende Nierensteine. Die nächsten Verhandlungstermine sagte ich ab und verbrachte meine Zeit stattdessen in einem abgedunkelten Zimmer des Spitals Wetzikon. Die Lösung war einmal mehr mein Uralt-Freund Manfred Klemann, den ich bereits seit meinen Radio-Munot-Zeiten in den späten achtziger Jahren kannte. Klemann moderierte damals die Sendung «Hallo Nachbarn», die sich an die deutschen Zuhörer im Grenzgebiet richtete. Zuvor studierte Klemann Politologie, war SPD-Gemeinderat in seiner Heimatstadt Singen, schrieb für den Südkurier und moderierte kurzzeitig mit Christian Heeb und Elmar Hörig für SWR 3. Daneben – und das war für mich weitaus wichtiger – hat er sich als äusserst erfolgreicher Verleger von alternativen Reiseführern (Kuba, Albanien, Formentera, Sansibar) einen Namen gemacht.

Sein Gesellenstück war aber das Internet, dessen Bedeutung er bereits Ende der neunziger Jahre erkannte, indem er die ersten Domainadressen wie beispielsweise wetter.com oder reisefuehrer.com schützen liess. Um die Jahrtausendwende baute er mit Unterstützung des damaligen Pro7-Sat1-Chefs Urs Rohner das von ihm initiierte Wetterportal wetter.com auf und belieferte die ganze Kirch-Gruppe von Singen aus mit Wetterinformationen. Eine Herkulesaufgabe mit Happy End.

Gemeinsames Bild mit Gorbatschow

Klemann kam für mich zum richtigen Moment mit dem richtigen Vorschlag. Er übernehme 40 Prozent der persönlich-Aktien, meinte er, als ich ihn – einmal mehr – an einem exklusiven Ort traf: In der Lobby des «Dolder Grand». Auf einem Blatt Papier skizzierte er das weitere Vorgehen. Dass der Kaufpreis schlussendlich mehr als einen symbolischen Franken betragen werde, wie wir ursprünglich angenommen hatten, wurde uns spätestens im Berner Publicitas-Gebäude klar. Draussen regnete es in Strömen, im Raum eine Topfpflanze, die bestimmt schon das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Der damalige Finanzchef der P, ein sympathischer Deutscher, nannte eine mögliche Kaufsumme im tieferen siebenstelligen Bereich. Wir schluckten. Danach füllten sich seine Augen mit Wasser. Wegen des baldigen Endes der Publigroupe.

Am 18. September 2014 ging der Verkauf endlich über die Bühne. Ende gut, alles gut. Mein Bankkonto war zwar leer, doch eine grosse Heiterkeit erfasste mich. Ich hörte pausenlos «Freiheit» von Marius Müller-Westernhagen mit der Liedzeile: «Die Verträge sind gemacht und es wurde viel gelacht.» Direkt nach Börsenschluss vermeldete die börsenkotierte Publigroupe den Verkauf des persönlich-Verlags. Von allen Seiten kamen SMS. Meine damalige Freundin Susanne lud mich zu einem kurzen Dinner im «Prime Tower» ein. Standesgerecht. Unter uns lag die Kommunikations- und Werbemetropole Zürich. Trotz aller Euphorie breitete sich plötzlich ein fahles Gefühl in meinem Magen aus, eine leichte Unsicherheit, ob der Wechsel zum Unternehmer als Mitfünfziger wirklich gelingen werde.

Doch bereits zwei Stunden später, am gleichen Abend, erfolgte der erste Deal als frischgekürter persönlich-Verleger. In der «Schweizerhof»-Bar gegenüber dem Zürcher Hauptbahnhof traf ich Filippo Lombardi, Tessiner Ewig-Ständerat und damaliger Präsident von Kommunikation Schweiz. Euphorisiert zückte die Tessiner Frohnatur das iPhone und zeigte mir ein gemeinsames Bild mit Michael Gorbatschow, den er wenige Stunden zuvor in der Messe Zürich getroffen habe. Dann stiessen wir mit einem Cüpli auf den persönlich-Verkauf an und besiegelten die Verbandspartnerschaft, die bis heute andauert. Gegen Mitternacht begleitete ich Lombardi zu seinem Zug. Vielleicht könne ich, meinte er, einem Herrliberger Altbundesrat noch seine Grüsse ausrichten.

Zurück nach Zürich

Der Wechsel von Rapperswil nach Zürich erfolgte Anfang April 2015. Gewissermassen vom Herzensort zurück zu den Anfängen. Zwar nicht mehr ins Seefeld, wie zu Walter P. Wyss’ Zeiten, sondern nach Wiedikon, dem aufstrebenden In-Viertel unterhalb des Üetlibergs. Dies war einem kleinen Zufall in Form einer Homegate-Anzeige geschuldet. Doch nun befand sich die Redaktion wieder in der Welthauptstadt der Schweizer Kommunikationsbrache, direkt im Auge des Taifuns. Am 8. Juli wurden die Räume im Beisein von Stadtrat Filippo Leutenegger feierlich eingeweiht.

Kurz danach trat Rahel Martinez als neue Chefin des Sekretariats ihre Stelle an. Als erste Massnahme wurde – in Zusammenarbeit mit der Zuger Innovationsagentur GLA United – das Onlineportal persoenlich.com völlig neu designt mit Schwerpunt auf dem Jobportal. Trotz anfänglichen Unbehagens – auch bei der Redaktion – war das neue Layout «State of the Art», wie der heutige gfm-Präsident Dominique von Matt kurz nach Aufschaltung schrieb, und trug massgeblich zum Erfolg der Seite bei.

Erst vor Kurzem wurde das Portal nach fast einem Jahrzehnt den neuesten Lesebedürfnissen angepasst. Die Redaktion zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Stabilität aus: Mit der Redaktionsleiterin Michèle Widmer – als Nachfolgerin von Edith Hollenstein – sowie den Redaktoren Christian Beck, Nick Lüthi und zuletzt Sandra Porchet, als erste Romand in der Redaktion, berichtet ein Powerteam tagtäglich über die Belange der gesamten Schweizer Kommunikations- und Medienwelt. Bis zur Pandemie wurden im benachbarten Café Plüsch in einem Videotalk wöchentlich Branchengrössen wie Roger Schawinski, Martin Suter oder Roger Köppel interviewt, später – nach der temporären Schliessung des Restaurants – verlagerte sich die Diskussion auf das kurzzeitig als Übermedium gefeierte «Clubhouse».

Seit einigen Wochen diskutieren die persönlich-Mitarbeiter jeweils im persönlich-Podcast am Dienstagmorgen über die aktuellen Branchenthemen. Zwei Höhepunkte der letzten Jahre ereigneten sich zweifelsohne 2018, als die damalige Medienministerin Doris Leuthard auf Einladung von persönlich im mittlerweile geschlossenen Kulturzentrum Kosmos vor versammelten Rängen gegen die No-Billag-Initiative ankämpfte sowie – ein halbes Jahr später – als der mittlerweile verstorbene deutsche Dichterfürst Martin Walser an gleicher Stelle zusammen mit persönlich-VRP Manfred Klemann und mir aus unserem Weltreiseroman «Die ganze Welt ist Ballermann – Karten an Martin Walser» vorlas.

Am 3. Juli 2024 kam ein weiteres Highlight unserer Firmengeschichte dazu, als wir im Clubsaal des «Kaufleuten» den 60. Geburtstag von persönlich feierten. Ein Ort mit zweifacher Bedeutung: Zum einen strahlt der legendäre Raum immer noch das aus, was die Werbebranche einmal zu sein versprach: eine permanente Überdosis von Sex-Appeal und Weltläufigkeit. Und zum anderen wäre ich ohne das «Kaufleuten» gar nie zum persönlich gekommen. Vor 22 Jahren stellte Roger Schawinski in der benachbarten Orell-Füssli-Buchhandlung seinen Lebensratgeber «Lebenslust bis 100. Das Ego-Projekt» vor, anschliessend lud er zum Essen ins «Kaufleuten»-Restaurant ein. Unter der Türe begegnete ich erstmals Oliver Prange, der mich – zu meiner Überraschung – am nächsten Morgen anrief und nach Rapperswil beorderte. Sein Angebot: Chefredaktor von «persönlich rot». Eigentlich ein Kompliment, doch ich zickte herum, täuschte Kopfweh vor, bis es Prange zu bunt wurde: «Tun Sie nicht so blöd.» Ich hielt inne; der Rest ist bekannt.



Dieser Text erschien zuerst in der persönlich-Printausgabe vom Juli.


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